Handlung
Noch immer wird in Deutschland zu Gericht gesessen über die einzige Überlebende jener Gruppe von Mördern, die sich selbst als „Nationalsozialistischen Untergrund“ bezeichnete. Noch immer sind viele Fragen unbeantwortet, noch immer stehen Rätsel im Raum, die sich vielleicht nie werden lösen lassen. Noch immer steht man fassungslos vor der Geschichte dieser Taten. Wie konnte es zu diesen Morden kommen? Wie wären sie zu verhindern gewesen? Wer hätte zu welchem Zeitpunkt was bemerken können? Wie war es möglich, dass Eltern, Lehrer, Nachbarn nicht verstanden, wohin ein Mensch steuert? Welche Rolle spielten die Sicherheitsbehörden und Staatsorgane? Welche spielen sie noch heute?
Der Dramatiker Thomas Freyer umkreist diese Fragen in seinem neuen Stück „mein deutsches deutsches Land“. Auf drei Zeitebenen erzählt er die Geschichte von Florian, Dominik und Sarah. 2004 sind sie fast noch Kinder. 2014 werden sie zu Mördern. 2024 versucht man, ihre Geschichte zu verstehen und die politischen Verflechtungen, die dahinter offenbar werden. Es ist eine Erzählung von Verlassenheit, Verstrickung und tödlichem Wahnsinn. Freyers Stück ist keine Chronik der jüngeren deutschen Geschichte, sondern der Versuch, Wege nachzuzeichnen, die in die Katastrophe führen können. Und es berichtet davon, dass die Mörder keine randständigen Außenseiter sind oder Geisteskranke, sondern dass sie ihren Weg in der Mitte der Gesellschaft begonnen haben. Regie führt Hausregisseur Tilmann Köhler, der seit Jahren mit Thomas Freyer künstlerisch verbunden ist und die meisten seiner Stücke zur Uraufführung brachte.
Der Dramatiker Thomas Freyer umkreist diese Fragen in seinem neuen Stück „mein deutsches deutsches Land“. Auf drei Zeitebenen erzählt er die Geschichte von Florian, Dominik und Sarah. 2004 sind sie fast noch Kinder. 2014 werden sie zu Mördern. 2024 versucht man, ihre Geschichte zu verstehen und die politischen Verflechtungen, die dahinter offenbar werden. Es ist eine Erzählung von Verlassenheit, Verstrickung und tödlichem Wahnsinn. Freyers Stück ist keine Chronik der jüngeren deutschen Geschichte, sondern der Versuch, Wege nachzuzeichnen, die in die Katastrophe führen können. Und es berichtet davon, dass die Mörder keine randständigen Außenseiter sind oder Geisteskranke, sondern dass sie ihren Weg in der Mitte der Gesellschaft begonnen haben. Regie führt Hausregisseur Tilmann Köhler, der seit Jahren mit Thomas Freyer künstlerisch verbunden ist und die meisten seiner Stücke zur Uraufführung brachte.
Besetzung
Regie
Bühne
Kostüme
Barbara Drosihn
Musik
Jörg-Martin Wagner
Dramaturgie
Robert Koall
Licht
Joachim Wolff / Dr. Degen / Günther / Martin
Thomas Braungardt
Florian / Minister Nöde / Florians Vater / Dagmar / Luchtmann
Kilian Land
Dominik / Matthias Meischert / Sarahs Mutter / Polizist / Hoffmann
Jonas Friedrich Leonhardi
Schmissert / Konstantin Pohl / Sarahs Vater / Herr Fleischner / Polizist / Einer
Matthias Luckey
Miriam Stotzner / Niedenberg / Dominiks Mutter / Frau Riemscheit / Polizistin
Ina Piontek
Sarah / Journalistin / Psychologin / Polizistin
Lea Ruckpaul
Video
Interview
Der Regisseur Tilmann Köhler über den gemeinsamen Weg mit dem Dramatiker Thomas Freyer und das Zwischen-den-Zeiten-Stehen als künstlerischer Impuls
Thomas Freyer und ich sind in Gera aufgewachsen. Seither sind wir uns immer wieder begegnet – das Erleben einer Zeit aus dem Blickwinkel unserer Generation verband uns für alle folgenden gemeinsamen Projekte.
Gera vor der Wende: 130 000 Einwohner, eine rote Bezirks- und Industriestadt. Heute leben dort 95 000 Einwohner, Tendenz abnehmend. In den 1990er-Jahren schlossen nahezu alle industriellen Betriebe, Gera wurde eine sterbende Stadt, die alle, die noch gehen konnten, schnellstmöglich verließen, sobald sie alt genug waren. Das bedeutete einerseits Freiraum für alle möglichen Versuche und bot die Möglichkeit, in vielem der Erste zu sein. Andererseits war in unserem Umfeld eine äußerst pragmatische Sicht auf die Zukunft üblich. Die neugewonnene Freiheit entpuppte sich sehr stark auch als ein Auslöser von Angst – Angst vor der Zukunft.
2002 schrieb sich Thomas Freyer für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin ein. Ein Jahr zuvor war ich dorthin gegangen, um Regie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zu studieren. Es entstand der Gedanke eines gemeinsamen Stückes, welches während des Probenprozesses entstehen sollte. Das war der Beginn von „Amoklauf mein Kinderspiel“, das über mehrere Etappen mit drei Schauspielern entwickelt wurde, unter ihnen Thomas Braungardt, der heute in Dresden im Ensemble ist. Unser Ausgangspunkt war der Amoklauf in Erfurt im Jahr 2002, der in uns die Frage entstehen ließ, ob so etwas auch an unserer Schule möglich gewesen wäre. Und warum. Erstaunlich war für uns, dass der Amokläufer Robert Steinhäuser ausschließlich auf Lehrer hatte schießen wollen, nur „zufällig“ fielen zwei Schüler seinen Schüssen zum Opfer. Uns schien es ein Wüten gegen die Alten gewesen zu sein, eine Abrechnung mit der Eltern- und Lehrergeneration der Nachwendezeit.
Gemeinsam mit den Schauspielern begannen wir, über unsere eigene Schulzeit nachzudenken und sie einem imaginären Amoklauf gegenüberzustellen. Das endgültige Stück wurde später oft als Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Amoklaufs interpretiert und entsprechend nachgespielt. Ich aber halte es eigentlich für ein Stück über die Nachwendezeit. Verrückterweise berührten die Wut und die Angriffslust des Textes Zuschauer aus der Elterngeneration am stärksten.
Ausgehend von diesem Thema war auch Thomas’ zweites Stück, „Separatisten“, ein Text, der vom Leben in der Nachwendezeit in den schrumpfenden Städten des Ostens erzählte. Ich hatte, als ich „Separatisten“ das erste Mal las, sofort das Geraer Plattenbaugebiet Lusan vor Augen, einen Ort, den Thomas sehr gut kannte und der exemplarisch für die sterbenden Städte stand. Der Versuch der Separatisten ging von folgenden Fragen aus: Wie macht man diese Welt lebenswert? Woran knüpft man an? Kann man diese Menschen überhaupt noch mobilisieren?
Gera vor der Wende: 130 000 Einwohner, eine rote Bezirks- und Industriestadt. Heute leben dort 95 000 Einwohner, Tendenz abnehmend. In den 1990er-Jahren schlossen nahezu alle industriellen Betriebe, Gera wurde eine sterbende Stadt, die alle, die noch gehen konnten, schnellstmöglich verließen, sobald sie alt genug waren. Das bedeutete einerseits Freiraum für alle möglichen Versuche und bot die Möglichkeit, in vielem der Erste zu sein. Andererseits war in unserem Umfeld eine äußerst pragmatische Sicht auf die Zukunft üblich. Die neugewonnene Freiheit entpuppte sich sehr stark auch als ein Auslöser von Angst – Angst vor der Zukunft.
2002 schrieb sich Thomas Freyer für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin ein. Ein Jahr zuvor war ich dorthin gegangen, um Regie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zu studieren. Es entstand der Gedanke eines gemeinsamen Stückes, welches während des Probenprozesses entstehen sollte. Das war der Beginn von „Amoklauf mein Kinderspiel“, das über mehrere Etappen mit drei Schauspielern entwickelt wurde, unter ihnen Thomas Braungardt, der heute in Dresden im Ensemble ist. Unser Ausgangspunkt war der Amoklauf in Erfurt im Jahr 2002, der in uns die Frage entstehen ließ, ob so etwas auch an unserer Schule möglich gewesen wäre. Und warum. Erstaunlich war für uns, dass der Amokläufer Robert Steinhäuser ausschließlich auf Lehrer hatte schießen wollen, nur „zufällig“ fielen zwei Schüler seinen Schüssen zum Opfer. Uns schien es ein Wüten gegen die Alten gewesen zu sein, eine Abrechnung mit der Eltern- und Lehrergeneration der Nachwendezeit.
Gemeinsam mit den Schauspielern begannen wir, über unsere eigene Schulzeit nachzudenken und sie einem imaginären Amoklauf gegenüberzustellen. Das endgültige Stück wurde später oft als Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Amoklaufs interpretiert und entsprechend nachgespielt. Ich aber halte es eigentlich für ein Stück über die Nachwendezeit. Verrückterweise berührten die Wut und die Angriffslust des Textes Zuschauer aus der Elterngeneration am stärksten.
Ausgehend von diesem Thema war auch Thomas’ zweites Stück, „Separatisten“, ein Text, der vom Leben in der Nachwendezeit in den schrumpfenden Städten des Ostens erzählte. Ich hatte, als ich „Separatisten“ das erste Mal las, sofort das Geraer Plattenbaugebiet Lusan vor Augen, einen Ort, den Thomas sehr gut kannte und der exemplarisch für die sterbenden Städte stand. Der Versuch der Separatisten ging von folgenden Fragen aus: Wie macht man diese Welt lebenswert? Woran knüpft man an? Kann man diese Menschen überhaupt noch mobilisieren?
Thomas’ Texte zeichnen sich durch eine sehr feine, dramatische, erst im Sprechen „begreifbare“ Sprache aus. Seine Figuren sind immer tiefgründig, es hat mich fasziniert, dass oft gerade ältere Schauspieler besonders viel mit seiner Sprache anfangen konnten, sich in seinen Figuren wiederfanden. Bei den Jungen schien es mir verständlich, da er meistens über die eigene Generation schreibt. Aber wie schafft es ein junger Autor, sich so tief in Figuren, die doppelt so alt sind wie er, hineinzubegeben, dass er ihre Gedanken authentisch erzählen kann?
Auch „Und in den Nächten liegen wir stumm“, dessen Uraufführung ich 2008 in Hannover inszenierte, spielt im Plattenbau und ist oberflächlich gesehen eine Ostgeschichte. Viel mehr ist es jedoch eine Geschichte über den Umgang mit Abschied, Tod und Trennung. Dieses Stück war bis dahin Thomas’ persönlichster Text. Aus der Szenerie der Plattenbausiedlung erwächst ein expressionistisches Bild, ein Ausbruch, Ausdruck für Gefühle und Gedanken, die eigentlich nicht nur aus der inneren Logik der Figuren stammen.
Thomas Freyer erzählt nicht vom Rande einer Gesellschaft, sondern aus ihrem Zentrum heraus, er beleuchtet jene Winkel, die man nicht so gerne sehen will. Und er ist ein Arbeiter an Geschichten, ein wirklicher Dramatiker. Seine Texte müssen gesprochen werden, er seziert Sprache, schreibt ihr Rhythmus ein und zelebriert sie. Thomas kennt seine Figuren sehr genau, lässt sich von ihnen entführen. Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie interessiert, angst- und vorbehaltlos er den Kontakt zu denen sucht, die seine Stücke inszenieren und spielen. Durch ihr Lesen führen sie die Arbeit am Verlauf der Geschichte und der Ausgestaltung der Figuren fort.
Im kommenden Herbst nähern wir uns gemeinsam einer neuen Geschichte, deren Entstehen von unseren Gesprächen begleitet ist. Er schreibt „mein deutsches deutsches Land“ für das Dresdner Theater und erzählt darin sechs Episoden von drei jungen Menschen, die sich treffen und den Plan fassen, ihrem diffusen Hass künftig ein Ziel zu geben. Der rechte Terror, dessen Ausmaß und Verbreitung lange Zeit kaum jemand in Deutschland für möglich gehalten hat, lässt die Gegenwart und das Land, in dem wir leben, plötzlich fremd erscheinen.
Thomas Freyer wird also ein weiteres Mal von unserer Gesellschaft erzählen und jene Ecken ausleuchten, die gerne im Dunkeln gelassen werden.
Auch „Und in den Nächten liegen wir stumm“, dessen Uraufführung ich 2008 in Hannover inszenierte, spielt im Plattenbau und ist oberflächlich gesehen eine Ostgeschichte. Viel mehr ist es jedoch eine Geschichte über den Umgang mit Abschied, Tod und Trennung. Dieses Stück war bis dahin Thomas’ persönlichster Text. Aus der Szenerie der Plattenbausiedlung erwächst ein expressionistisches Bild, ein Ausbruch, Ausdruck für Gefühle und Gedanken, die eigentlich nicht nur aus der inneren Logik der Figuren stammen.
Thomas Freyer erzählt nicht vom Rande einer Gesellschaft, sondern aus ihrem Zentrum heraus, er beleuchtet jene Winkel, die man nicht so gerne sehen will. Und er ist ein Arbeiter an Geschichten, ein wirklicher Dramatiker. Seine Texte müssen gesprochen werden, er seziert Sprache, schreibt ihr Rhythmus ein und zelebriert sie. Thomas kennt seine Figuren sehr genau, lässt sich von ihnen entführen. Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie interessiert, angst- und vorbehaltlos er den Kontakt zu denen sucht, die seine Stücke inszenieren und spielen. Durch ihr Lesen führen sie die Arbeit am Verlauf der Geschichte und der Ausgestaltung der Figuren fort.
Im kommenden Herbst nähern wir uns gemeinsam einer neuen Geschichte, deren Entstehen von unseren Gesprächen begleitet ist. Er schreibt „mein deutsches deutsches Land“ für das Dresdner Theater und erzählt darin sechs Episoden von drei jungen Menschen, die sich treffen und den Plan fassen, ihrem diffusen Hass künftig ein Ziel zu geben. Der rechte Terror, dessen Ausmaß und Verbreitung lange Zeit kaum jemand in Deutschland für möglich gehalten hat, lässt die Gegenwart und das Land, in dem wir leben, plötzlich fremd erscheinen.
Thomas Freyer wird also ein weiteres Mal von unserer Gesellschaft erzählen und jene Ecken ausleuchten, die gerne im Dunkeln gelassen werden.
Zusammen mit Thomas Braungardt, Matthias Luckey und Ina Piontek spielen sie zu sechst all die vielen Figuren, in atemberaubendem Tempo wechseln die Szenen auf der Drehbühne zwischen Wohnzimmer, Polizeipräsidium oder Kanzleramt. Es gibt Eltern in Strick und Kittelschürze, einen Polizeidirektionsleiter mit Golfschläger und einen stiernackigen Neonazi. Die Figuren sind Karikaturen, die jede mögliche Assoziation ermöglichen. Keiner ist klar definiert – aber alles ist möglich. Morgen greifen die Anti-Asyl-Demonstranten von heute vielleicht schon zu anderen Mitteln.
Der Abend ist eine radikal gemutmaßte Auseinandersetzung mit dem NSU, ein fast dreistündiger Thriller über politische Verstrickungen, die wie ein schlechter ‚Tatort‘-Plot klingen würden, wenn sie durch die Erfahrung mit dem NSU nicht so denkbar geworden wären.“
Ein erstaunlich gut funktionierender Theaterabend. Tilmann Köhlers Inszenierung hat Drive, das Timing stimmt, und es kommt tatsächlich so etwas wie Krimispannung auf.
Die coole Sound-Collage von Jörg-Martin Wagner trägt zum Flow des Abends bei, auch indem sie immer wieder das Deutschlandlied aufgreift und verfremdet. Dass die vielen Szenenwechsel furios gelingen, ist auch ein Verdienst der Bühne von Karoly Risz: ein drehbares, frei im Raum stehendes, kalt von weit oben beleuchtetes Spielpodest aus Pressspanplatten mit einer hohen Rückwand. Darauf lassen sich sehr schön die Live-Videos projizieren, die in den angedeuteten Fernsehstudios am Bühnenrand gedreht werden. Und die Rückseite der Wand dient als schwarzes Kletter- und Spielgerüst. Die Schauspieler im Dauerumkleide-Einsatz machen an Mikrofonständern pustend und klopfend auch noch die Geräuschkulisse für einzelne Szenen selber, wie für ihren eignen Film.
Bewundernd anzuerkennen ist hier ein versiert spielerischer Umgang mit Theatermitteln – aber schon auch die dramaturgische Umkreisung des NSU-Falls mit kriminalistischen Mitteln, wenn auch auf Kosten der Psychologie. Zu den Protagonisten des Dramas zählt der Kriminalhauptkommissar Wolff, der die Morde als das sieht, was sie sind: eine Serie neonazistischer Gewalttäter. Wie er in seinen Ermittlungen ausgebremst wird von Verfassungsschutz und Politik, wie Kollegen und Medien sich kaufen lassen und der Kommissar ein einsamer Wolf bleibt, mag nach starkem Thriller-Tobak schmecken. Aber ziemlich unglaublich ist auch die Realität.“