Uraufführung 27.01.2011 › Kleines Haus 1

Die Firma dankt

von Lutz Hübner
Mitarbeit: Sarah Nemitz
Eingeladen zu den Mülheimer Theatertagen 2011
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Ina Piontek, Thomas Eisen, Philipp Lux, Christine Hoppe
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Christine Hoppe, Christian Clauß, Thomas Eisen
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux, Christian Clauß
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Ina Piontek, Thomas Eisen, Christian Clauß
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Ina Piontek, Christine Hoppe, Christian Clauß, Philipp Lux, Thomas Eisen
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux, Christian Clauß
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux, Christine Hoppe
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Ina Piontek, Philipp Lux
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Christine Hoppe, Thomas Eisen, Philipp Lux, Ina Piontek, Christian Clauß
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux, Thomas Eisen, Ina Piontek
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux, Christian Clauß
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Philipp Lux, Christine Hoppe
Foto: David Baltzer
Die Firma dankt
Auf dem Bild: Ina Piontek, Christian Clauß, Philipp Lux, Christine Hoppe, Thomas Eisen
Foto: David Baltzer

Handlung

Es gibt kein Feierabend-Ich Die Firma wurde übernommen, die leitenden Angestellten sind alle entlassen. Außer Krusenstern. Adam Krusenstern, Leiter der Abteilung Entwicklung, wird als Einziger zu einem Wochenende in das Landhaus der Firma gebeten – doch wozu? Soll er die neue Firmenleitung kennenlernen? Wird er weiter beschäftigt? Oder ist dies ein letzter Test? Die attraktive Assistentin der neuen Geschäftsleitung umsorgt ihn charmant und macht ihm den Aufenthalt so angenehm wie möglich. Doch warum? Krusenstern ist verunsichert. In den Begegnungen mit John, dem neuen Personalchef, und Ella, Personal-Coach, verhält er sich ungeschickt, und Sandor, ein junger Schnösel, geht ihm zusätzlich auf die Nerven. Arbeitsmoral, Strukturen, gute Umgangsformen, das ist das Credo von Krusenstern, doch hier scheint es nicht gefragt. Oder ist er gerade deswegen hier? Soll er das Heft in die Hand nehmen und etwas organisieren? Ein Arbeitstreffen? Oder eine Party? Verspielt Krusenstern gerade seinen Job durch mangelnde Flexibilität? Oder durch überangepasstes Verhalten? Wer ist sein Gegner? Hat er überhaupt einen, oder ist das Spiel schon aus?
Nach dem großen Erfolg von FRAU MÜLLER MUSS WEG hat Lutz Hübner für das Staatsschauspiel Dresden ein Stück geschrieben, das die moderne Arbeitswelt mit Verzweiflung und komödiantischer Verve betrachtet.

Besetzung

Regie
Susanne Lietzow
Bühne
Aurel Lenfert
Kostüme
Marie-Luise Lichtenthal
Musik
Gilbert Handler
Video
Petra Zöpnek
Dramaturgie
Felicitas Zürcher
Adam Krusenstern, Leitender Angestellter
Mayumi Selo, Assistentin der neuen Leitung
Ina Piontek
Sandor Mayer, Universitätsabsolvent
Christian Clauß
John Hansen, Personalchef
Ella Goldmann, Personaltrainerin
Annedore Bauer

Video

Pressestimmen

„Ursachenforschung wird von Lutz Hübner nicht betrieben, jedoch voll schwarzen Humor über die sprachlich genau gefasste Problematik geschlittert.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Irene Bazinger, 29.01.2011
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29.01.2011
„Die Figuren sind fest umrissen, die Konflikte plastisch. Ursachenforschung wird von Lutz Hübner nicht betrieben, jedoch voll schwarzen Humor über die sprachlich genau gefasste Problematik geschlittert. Susanne Lietzow macht daraus nicht den Untergang des Abendlandes, sondern lässt die Zuschauer lachen und bloß im Inneren weinen, was ihrer amüsanten gelungenen Inszenierung den schönen doppelten Boden gibt.“
Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Hübners große Stärke sind sehr treffsichere Sätze mit entlarvenden Zwischentönen. Am besten kann man das in Dresden sehen.“
Frankfurter Rundschau, Peter Michalzik, 29.01.2011
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29.01.2011
„Hübner vergibt keine Zensuren, und er liefert auch keine Klischees. Er spitzt sehr geschickt zu, wo tatsächlich der Konflikt, die Angst und der Hass lauern, er ist böse genug, um dabei treffgenau zu sein, und professionell genug, um das so in eine Geschichte zu packen, dass die Leute sich amüsieren können.
Er zeichnet nicht nur sehr genau, er überzeichnet auch, zieht die Schraube einen Drehung weiter, er steigert den Konflikt ins Groteske, bis dahin, wo der Irrsinn der Wirklichkeit sichtbar wird. Hübner ist doch ganz Theater, Er ist der bisher trotz aller Erfolge zu wenig geschätzte Vorreiter einer neuen, konkreten, gesellschaftsbezogenen Dramatik. Seine große Stärke sind sehr treffsichere Sätze mit entlarvenden Zwischentönen. Am besten kann man das in Dresden sehen.“
Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau
„Philipp Lux gibt den Angestellten als verknurksten, näselnden Spießer, den man nicht unbedingt zur Cocktailparty einladen würde.“
Sächsische Zeitung, Johanna Lemke, 29.01.2011
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29.01.2011
„Regisseurin Susanne Lietzow inszeniert Krusensterns fortschreitende Paranoia mit akustischer Überzeichnung und eingesprenkelten traumhaften Sequenzen. Laute Kau-, Schreib- und Türklapp-Geräusche dringen wie zwanzigmal verstärkt in Krusensterns Kopf. Gespielt wird der herausragend von Philipp Lux. Er gibt den Angestellten als verknurksten, näselnden Spießer, den man nicht unbedingt zur Cocktailparty einladen würde.“
Johanna Lemke, Sächsische Zeitung
„In jedem Fall eine hochwichtige Aufführung, die das Geschwafel von der Leistungsgesellschaft ad absurdum führt.“
Dresdner Neueste Nachrichten, Michael Bartsch, 29.01.2011
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29.01.2011
„In jedem Fall eine hochwichtige Aufführung, die das Geschwafel von der Leistungsgesellschaft ad absurdum führt, die uns vorführt, was die von Brecht erwähnten ‚Verhältnisse‘ aus an sich gutwilligen Menschen machen können.“
Michael Bartsch, Dresdner Neueste Nachrichten
„Philipp Lux mit überwältigender Komik und zugleich eindrucksvoller Authentizität.“
Dresdner Morgenpost, 29.01.2011
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29.01.2011
„Philipp Lux spielt den von der Unverbindlichkeit einer sich wandelnden Arbeitswelt überforderten Mittvierziger – zwischen Anpassungswillen und gewalttätigem Aufbegehren mit überwältigender Komik und zugleich eindrucksvoller Authentizität.“
Dresdner Morgenpost
„Hübner hat in ‚Die Firma dankt‘ weniger eine Satire geschrieben als eine tragische Farce. Der Dramatiker beschwört das Unheimliche des Wandels in der Wirtschaftsordnung.“
suite101.de, Dr. Ulrich Fischer, 28.01.2011
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28.01.2011
„Hübner hat in ‚Die Firma dankt‘ weniger eine Satire geschrieben als eine tragische Farce. Der Dramatiker beschwört das Unheimliche des Wandels in der Wirtschaftsordnung, in der es nicht mehr darauf ankommt, sinnvolle Produkte zu erzeugen, sonder nur noch ein Profil zu ‚generieren‘, indem man einen Laden möglichst billig kauft, um ihn später teuer wieder zu verkaufen.“
Dr. Ulrich Fischer, suite101.de
„Eine Groteske vom Feuern und Heuern. Ein ernstes Denkstück. Und ein Trauerspiel vom Existenzkampf ziemlich ramponierter Seelen.“
kultiversum, Reinhard Wengierek, 28.01.2011
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28.01.2011
„Lutz Hübners amüsant erschreckendes Arbeitgeber-Psychospiel mit einem Arbeitnehmer-Frustbolzen im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels. Susanne Lietzow treibt die Uraufführung gekonnt leichthändig sowohl ins Tragische als auch ins Absurd-Groteske.
Ein pfiffig konstruiertes Stück, das die Unmenschlichkeiten der existenzvernichtenden, oft schleierhaft erscheinenden Umwälzungen der ‚neuen Unternehmenskultur‘ am Beispiel eines nervenzerrend zwischen Abbau und Aufstieg schwebenden Arbeitnehmers beschreibt. Dabei jedoch die Frage zulässt, inwieweit klassisches Normerfüllen noch das innovativ Normsprengende zulässt. Wie dem auch sei: Immer geht es dabei um Menschen, die fertig gemacht oder erfolgreich werden. Adam passiert letzteres auf geradezu groteske Art, was die einfallsreiche Regisseurin auf so fantastische wie irrwitzige Weise vorführt.
Eine bitterböse Angestelltenkomödie. Eine sarkastische Parodie auf die Bosse. Eine Groteske vom Feuern und Heuern. Ein ernstes Denkstück. Und ein Trauerspiel vom Existenzkampf ziemlich ramponierter Seelen.“
Reinhard Wengierek, kultiversum
„Eine Slapstickiade vom Feuern und Heuern. Eine Parodie auf die Bosse. Eine Verzweiflungskomödie vom Existenzkampf ziemlich ramponierter Seelen.“
Die Welt, Reinhard Wengierek, 03.03.2011
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03.03.2011
„Regisseurin Susanne Lietzow demonstriert das Kafkaeske des Stücks über menschenverachtende Realitäten einer unbegreiflichen  ‚neuen Unternehmenskultur’. Eine Slapstickiade vom Feuern und Heuern. Eine Parodie auf die Bosse. Eine Verzweiflungskomödie vom Existenzkampf ziemlich ramponierter Seelen.“
Reinhard Wengierek, Die Welt
„Eine Empfehlung bleibt das Stück allemal, auch für Besucher mit Wohlfühljob.“
Theater der Zeit, Michael Bartsch
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„Lutz Hübner inspirierte die Selbstmordwelle bei France Télécom im Vorjahr zu seinem ätzenden Stück, einer Farce, die zeitweise ins Surreale umschlägt. Das Lachen, und das Dresdner Publikum kommt immer häufiger zum Lachen, sollte angesichts des Stückthemas eigentlich ebenso sehr hin und wieder gefrieren. Eine Empfehlung bleibt das Stück allemal, auch für Besucher mit Wohlfühljob. Das Studium des dankenswerterweise im Programmheft abgedruckten Textes lohnt in jedem Fall.“
Michael Bartsch, Theater der Zeit
„Dass Ironie die schönste Form der Zurückhaltung einer Kunst ist, ist auch den anderen Autoren dieser Auswahl ihr Jagdlied.“
Theater heute, Till Briegleb, 01.05.2011
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01.05.2011
„Dass Ironie die schönste Form der Zurückhaltung einer Kunst ist, die sich zwar einmischen, aber nicht belehren möchte, ist auch den anderen Autoren dieser Auswahl ihr Jagdlied. Lutz Hübner bläst es, wenn er in ‚Die Firma dankt‘ zwei Extremvertreter alter und neuer Managementlehren aufeinander hetzt.“
Till Briegleb, Theater heute
„Es ist gewieft gebaut, mit kafkaesken Zügen und einem bitterwahren Kern.“
Der Westen, Kristina Mader, 10.03.2011
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10.03.2011
„Drei Wochen lang, vom 21. Mai bis zum 11. Juni präsentieren die besten deutschsprachigen Dramatiker ihre Arbeiten in drei Spielstätten der Stadt. Zum zweiten Mal vertreten ist Lutz Hübner, der mit ‚Die Firma dankt‘ antritt. Auch dieses Stück dreht sich um die Anpassung der Menschen in der Arbeitswelt; ‚Es ist gewieft gebaut, mit kafkaesken Zügen und einem bitterwahren Kern.‘“
Kristina Mader, Der Westen
„Die Mühlheimer Theatertage sind neben dem Theatertreffen in Berlin das Forum in Deutschland, auf dem die wichtigsten neuen Stücke und Inszenierungen präsentiert werden.“
Deutschlandradio, 10.03.2011

Zum Stück

Krusenstern

Ein Arbeitnehmer versucht, alles richtig zu machen
von Lutz Hübner
EINS Der Angestellte Adam Krusenstern, Leiter der Entwicklungsabteilung, ist zu einem Wochenende im Gästehaus seiner Firma geladen. Er soll den neuen Personalchef treffen, möglicherweise auch Mitglieder des neuen Vorstands. Was ihn dort genau erwartet, weiß er nicht. Es könnte um eine Beförderung gehen, um ein Training, darum, ob er ins neue Team passt, oder schlicht um seine Kündigung.

Noch ist nichts über die neue Firmenstrategie bekannt geworden, deshalb hat Krusenstern keinerlei Anhaltspunkte, wie er sich verhalten soll. Abwarten könnte als Phlegma ausgelegt werden, Vorpreschen als mangelnde Teamfähigkeit. Soll er den erfahrenen oder den neugierigen Kollegen spielen? Krusenstern würde gerne so sein, wie er ist, aber er ist gerade ein Niemand, eine arme Seele im Fegefeuer, die darauf wartet, aufgerufen zu werden, auf dass sie gewogen werde. Nein, das stimmt nicht, beim Jüngsten Gericht weiß man zumindest, was man gut gemacht und was man vergeigt hat. Im Moment ist Krusenstern ein Mensch auf Widerruf.

ZWEI In der Arbeitswelt der Industrialisierung war der berufliche Werdegang vorgezeichnet. Man begann am Ende der Hackordnung, war für die Drecksarbeit zuständig und konnte sich im Laufe der Jahre nach oben arbeiten. Es gab ein klares Ziel, man wusste, so weit kann und wird man kommen, wenn man seine Arbeitskraft voll einsetzt, wobei jeder Karriereschritt an einen besseren Verdienst gekoppelt war, als Anerkennung der Treue und der Kompetenz, die man erworben hatte. Je älter der Arbeitnehmer war, desto erfahrener war er, und dafür wurde er respektiert. Das System war durchschaubar, der Arbeitnehmer konnte sich ausrechnen, wie sein Berufsleben aussehen wird, und bei einer regulären Arbeitsbiografie gab es keinen Grund, die Firma zu wechseln. Die Erfahrung war ein wachsender Wert und wurde entsprechend honoriert. Die Arbeitswelt war in ihren Grundzügen kalkulierbar.

DREI In den letzten 30 Jahren gab es bei den Ursachen von Arbeitsunfähigkeit eine Vervierfachung des Anteils psychischer Störungen. 2008 war jede neunte Arbeitsunfähigkeit psychisch bedingt. Darunter fallen depressive Störungen, Burn-out und andere, z. B. schizoide Störungen.

Bei der France Telecom haben sich in den letzten zwei Jahren 35 Mitarbeiter das Leben genommen. Frankreich hat mit einer Selbstmordepidemie in seinen Großbetrieben zu kämpfen, wobei der Großteil der Fälle das untere und mittlere Management betrifft.

Warum macht der Beruf krank, warum entscheiden sich Menschen eher dazu, sich zu töten, anstatt einfach zu kündigen? (Eine 32-jährige Angestellte in der Konzernzentrale z. B. schrieb in ihrem Abschiedsbrief, dass sie lieber sterben wolle, als unter ihrem neuen Chef zu arbeiten, und sprang aus dem Fenster.) Warum ist es so vielen Menschen nicht möglich, sich unabhängig von ihrem beruflichen Leben zu definieren?

Die Frage erscheint trivial, die Antwort naheliegend, aber je mehr man versucht, das Phänomen präzise zu beschreiben, desto schwerer ist es zu fassen. Der Druck, natürlich, aber wie äußert er sich? Mobbing, Versagensängste, ja, aber was bedeutet das für das Selbstbild? Überidentifikation mit dem Beruf und den Leistungsanforderungen … das sind alles Beschreibungen von außen, sie kreisen um das Rätsel, was wirklich in so einem Menschen vorgeht. Es gibt einen letztendlich nicht erklärbaren Rest, wie ihn auch die Amokforschung kennt. Der entscheidende letzte Schritt, bevor eine Psyche zusammenbricht, kann nicht vollständig entschlüsselt werden.

VIER Der Psychoanalytiker R. K. Siegel beschreibt Paranoia als eine Anpassungsleistung, sie ermöglicht, auf eine feindliche Umwelt zu reagieren, Gefahren zu erkennen und schnell handeln zu können. Sie ist in ihrer Grundform ein evolutionär wichtiger Überlebensmechanismus.
Jeder kennt paranoide Gefühle, zu einer psychischen Erkrankung werden sie, wenn die Paranoia überhandnimmt und die gesamte Weltwahrnehmung überspült. Der Kellner ignoriert mich absichtlich, der Vorgesetzte sieht mich immer so verächtlich an, es wird dort hinten über mich getuschelt … (Inzwischen gibt es auch das Truman-Show-Syndrom, das Gefühl, immer und überall gefilmt zu werden.)

Es gibt viele Auslöser von Paranoia: Isolation, aber auch das Gefühl von ungerechter Behandlung und Erniedrigung. Ein Mensch unter starkem psychischem Druck wird immer auch paranoide Tendenzen entwickeln.
In einer neoliberalen Arbeitswelt, die selbst paranoide Züge trägt, haben Arbeitnehmer oft nicht die Möglichkeit, Entscheidungen nachzuvollziehen. Die Firmenstrategien erscheinen irrational, die Leistungsanforderungen werden willkürlich erhöht, rigide Kontrollmechanismen werden installiert, auf gute Geschäftsjahre folgen Kündigungswellen, ein neuer Vorstand feuert ganze Abteilungen nicht trotz, sondern wegen ihres guten Betriebsklimas, da starke Gruppen einer neuen Firmenpolitik Widerstand entgegensetzen könnten.

Kenntnis der Firma und des Betriebsablaufs wird zu einem Kündigungsgrund, da sie zu Unflexibilität umgedeutet wird. Man braucht nicht „erfahrene“ Leute, sondern „frische“. Was soll man tun? Erfahrung ist nicht revidierbar. Der Erwerb von Lebens- und Berufserfahrung erscheint als karriereschädlicher Abnutzungsprozess, und damit wird die eigene Biografie entwertet.

Oft reagieren Überlebende von Restrukturierungsmaßnahmen („survivors of layoffs“) mit Leistungsverlust und innerem Rückzug. Das Überleben einer Kündigungswelle schlägt eine nicht verheilende Wunde, vergleichbar dem Trauma („shell shock“) von Soldaten, die eine Schlacht überlebt haben. Man hat gesehen, wie der Betrieb Menschen ausmerzt, Biografien zerstört, man hat in den Abgrund gesehen – „Das kann dir auch passieren“.

Es gibt keine Sicherheiten, keine klaren Handlungsanweisungen, wie man überlebt. Man versteht die Regeln nicht: Ein anpassungsfähiger Arbeitnehmer wird gekündigt, weil er keine eigenständige Persönlichkeit hat, der innovative Kopf ist nicht anpassungsfähig … Man weiß nicht, wie man von der Leitung beurteilt wird, was landet in der Personalakte, wofür kann man verantwortlich gemacht werden?
 
Der Arbeitnehmer steuert ein Schiff durch dicken Nebel, ohne zu wissen, wo die Klippen und Untiefen sind, er kann dem Neuen, in welcher Form auch immer, nicht mit der erworbenen Lebensweisheit begegnen, weil sie nicht mehr gültig ist … Der eine reagiert mit Depression, der andere mit Paranoia: Ich lebe in einer feindlichen Umwelt, ich verstehe die Welt nicht mehr, ich bin von Leuten umgeben, die mir gegenüber im Vorteil sind und über mich bestimmen können, aber ich weiß nicht warum. Aber wieso steigt der Ratlose nicht aus?
Warum sagt er nicht einfach „Leckt mich am Arsch, ich gehe“?

FÜNF Der Wirtschaftstheoretiker Alfred Sohn-Rethel hat nachgewiesen, dass Geld und logisches Denken zur selben Zeit entstanden sind. Erst durch die Abstraktion Geld, also die Idee des Tauschwerts, konnte abstraktes Denken entstehen. Damit widersprach er Kants Diktum einer Erkenntnisfähigkeit a priori. Es gibt, verkürzt gesagt, keinen Denkapparat, der gut gelaunt und bestens ausgerüstet nur darauf wartet, auf die Welt losgelassen zu werden.

Auch unser Nachdenken über uns selbst ist von ökonomischen Begriffen geprägt. Es gibt kein Feierabend-Ich, das abends im Sessel auf althergebrachte humanistische Ideale umschalten und sich so seiner selbst vergewissern kann. Wenn vom neuen Menschen gefordert wird, „die eigene Lebenserfahrung gering zu schätzen und sich nur als kurzfristig orientierte, zukünftige Möglichkeit zu sehen“ (Richard Sennett), verkommt das Nachdenken über sich selbst zu einem Nachdenken über die eigene Verwendbarkeit.

SECHS Zuweilen träumt man als Schauspieler, dass man auf der Bühne steht, ohne zu wissen, welches Stück gegeben wird und welche Rolle man spielt. Auch die Kollegen sind einem völlig unbekannt. Man weiß nur, gleich ist man dran. Man konzentriert sich auf den Dialog der Kollegen, um einen Anhaltspunkt zu bekommen, worum es geht. Dann wird es ganz ruhig, die anderen Spieler sehen einen an, auch im Publikum herrscht erwartungsvolle Stille. Abgehen kann man nicht mehr. Was sagt man jetzt? Wenn man Glück hat, wacht man in solchen Momenten auf.

SIEBEN Guten Tag, Herr Krusenstern, kommen Sie herein, wir wollen uns ein bisschen unterhalten. Setzen Sie sich. Wie lange sind Sie jetzt schon in der Firma?

Lutz Hübner ist einer der meistgespielten deutschsprachi­­gen Gegenwartsdramatiker. Seinen Beitrag zu DIE FIRMA DANKT schrieb er für die Saisonvorschau 2010.2011.