Premiere 10.10.2015
› Schauspielhaus
Die Nibelungen (2015)
Deutsches Trauerspiel von Friedrich Hebbel
in einer Bearbeitung von Sebastian Baumgarten und Janine Ortiz
in einer Bearbeitung von Sebastian Baumgarten und Janine Ortiz
Handlung
„Die Nibelungen“, das ist der gespenstische Nationalmythos der Deutschen: Der heimtückische Meuchelmord an Drachentöter Siegfried sichert König Gunther von Burgund und Hagen Tronje den Nibelungenhort. Es gilt zu vertuschen, dass Siegfried – unter der Tarnkappe verborgen – einst für Gunther die Isenkönigin Brunhild im Kampf und im Bett unterwarf. Doch die Burgunden haben die Rechnung ohne Kriemhild, Gunthers Schwester und Siegfrieds Frau, gemacht. Vierzehn Jahre arbeitet die Witwe auf ihre Rache hin, bis die Burgunden schließlich am Hof des Hunnenkönigs Etzel, des zweiten Mannes Kriemhilds, in einem heillosen Gemetzel untergehen. Vergeben und vergessen? Das ist die Sache der Burgunden nicht. Sehenden Auges gehen Gunther und Hagen in den Tod, Kriemhilds Rache löscht sie selbst und Hunderte von Unschuldigen mit aus. Nibelungentreue heißt: Was einmal Recht ist, muss Recht bleiben, und koste es die ganze Welt. Ist es nicht skandalös, dass eine solche Gesinnungsethik die Messlatte dessen ist, was als deutsch zu gelten hat? Oder ist die nibelungenhafte Art, freiwillig und mit Begeisterung ins Verderben zu gehen, die letzte Bastion der Selbstbestimmung? Kettenhemd an und hinabgestiegen in den Kohlenkeller der Gefühle.
Regisseur Sebastian Baumgarten arbeitet als Grenzgänger zwischen Schauspiel und Musiktheater. Für seine OREST-Inszenierung 2006 an der Komischen Oper Berlin wählten ihn die Kritiker der Zeitschrift „Opernwelt“ zum Regisseur des Jahres; 2011 eröffnete er mit Wagners TANNHÄUSER die 100. Bayreuther Festspiele; 2013 war seine Zürcher Inszenierung von Brechts DIE HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE zum Berliner Theatertreffen eingeladen – um nur einige Stationen zu nennen. Seit 2013 leitet Baumgarten den Studiengang Regie an der Theaterakademie August Everding, München. Am Staatsschauspiel Dresden brachte er bereits Sophokles' ANTIGONE, DIE RÄUBER von Friedrich Schiller und davor DER GOLDNE TOPF von E.T.A. Hoffmann auf die Bühne.
Regisseur Sebastian Baumgarten arbeitet als Grenzgänger zwischen Schauspiel und Musiktheater. Für seine OREST-Inszenierung 2006 an der Komischen Oper Berlin wählten ihn die Kritiker der Zeitschrift „Opernwelt“ zum Regisseur des Jahres; 2011 eröffnete er mit Wagners TANNHÄUSER die 100. Bayreuther Festspiele; 2013 war seine Zürcher Inszenierung von Brechts DIE HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE zum Berliner Theatertreffen eingeladen – um nur einige Stationen zu nennen. Seit 2013 leitet Baumgarten den Studiengang Regie an der Theaterakademie August Everding, München. Am Staatsschauspiel Dresden brachte er bereits Sophokles' ANTIGONE, DIE RÄUBER von Friedrich Schiller und davor DER GOLDNE TOPF von E.T.A. Hoffmann auf die Bühne.
Besetzung
Regie
Sebastian Baumgarten
Bühne
Hartmut Meyer
Kostüme
Christina Schmitt
Video
Meika Dresenkamp
Musik
Cobra Killer
Licht
Dramaturgie
Janine Ortiz
König Gunther, König von Burgund
Christian Erdmann
Hagen Tronje
Rosa Enskat
Volker, Spielmann
Thomas Braungardt
Giselher, Gunthers Bruder
André Kaczmarczyk
Ute, Königsmutter / Etzel, König der Hunnen
Jan Maak
Kriemhild
Yohanna Schwertfeger
Kaplan / Rüdeger, Markgraf von Bechlarn
Siegfried, Held aus Xanten / Dietrich von Bern
Sascha Göpel
Brunhild, Königin von Island / Werbel
Cathleen Baumann
Frigga, Seherin
Cobra Killer
Video
Der Bühnenbildner Hartmut Meyer über die Frauen in Hebbels „Reckenrudel“
Es gibt zwei junge und zwei ratgebende alte Frauen. Die einen, oben in der Wormser Burg, huschen im Halbdunkeln zwischen den Gardinen, die anderen, verbarrikadiert in Island, hauen Werber reihenweise im Nahkampf um.
Schmonzetten-Action-Horror-Boulevard?
Was sollen denn die Damen nun tun oder doch eigentlich nicht tun? Hebbel, der Dichter aus der Mitte des 19. Eisenbahnjahrhunderts, steckt die Nibelungen-Heldinnen in Kettenhemden, stopft sie in Keuschheitsgürtel unter düsteren Gewändern und lässt sie hinter Mauern nervös auf und ab trippeln. Sie scheinen in sperriges altertümliches Geschirr verpackt zu sein, sind in Hausarreste eingeschlossen, in Gebäuden ohne Ausgang und Fenster festgesetzt und in Fallen gelockt, die längst zugeschnappt sind. Sie starren erschrocken daraus hervor, hinunter auf einen mit Grenzen durchzogenen Dschungel von Sportplätzen voll mit trainierenden männlichen Rudeln. Die wetten, toben, intrigieren und schlagen und die, weil sie es können, umarmen, erstechen, lieben und küssen. Von diesen Recken, Königen, Sklaven, Kriegern und Mördern werden die Frauen zwischendurch belagert und angesungen, von ihnen werden sie vergewaltigt und geheiratet, nachdem und bevor sie wieder jagen, schlachten und saufen gehen.
Es ist klar, das Gebilde hat keinen langen Bestand, es ist pappig, verschwitzt und provisorisch, und die Frauen stehen wie festgebundene Eckpfosten in seiner Konstruktion. Irgendwo am Rand des Undings sitzen sie fest, als tragende Staffage hingebaut.
Füllen sie die Tapeten aus? Scheinen sie wie falsch gedeutete Ausgrabungen an verkehrten Plätzen zu warten, nachlässig oder doch gezielt in ein ethnoromantisches Museum gepflanzt? Sind sie verkleidet und zusammengebastelt und in ein Panoptikum geschoben, zur Bewunderung durch Männer, Stalker und Spanner, und trotzdem gut platziert und dabei unfreiwillig ins energetische Zentrum gerutscht?
Starrt man mal nicht benommen auf den blödsinnigen Tumult, auf Politik, Totschlägerei und Treuegekitsch der Männer, wundert man sich nicht schlecht über die Statuen der Frauen, die plötzlich direkt am Schaltpult der Absturzmaschine stehen. Trotz der Zeitverschwendung in der Dichtung kommt es bei ihnen zur schnellen, mörderischen Begegnung. Brun- und Kriemhild beißen zu, sofort nach dem ersten Gruß, und der weitere Ablauf ist klar. Eben noch in zwei Hochzeiten hineingestolpert und somit in Haftung und Verwertung des Reckenrudels geraten, schlagen sie blitzartig wie Giftschlangen ihre Zähne ineinander und stellen ohne Verzug und ohne Rückkehrmöglichkeit alle Weichen in Richtung Katastrophe.
Man wird mit Hebbels Stück, das eine historistische, zerklüftete Kunstruine ist, auf eine Reise in Untergangsvisionen geschickt. In Begleitung von halb göttlichen Chimären und irrlichternden Bluthunden, von einer von Projektionen und Deutungen besessenen Epoche in die nächste und immer von düster nach schrecklich.
Hebbel schnippelt die Figuren auf Schicksalssilhouetten zurecht, er packt sie in Heldenschablonen, verwandelt sie in flache Bilder von Amazonen, Moralprinzessinnen, treuen oder schurkischen Rittern und schiebt sie dann zu krassen Posen von Krieg, Verrat und Rache zusammen.
Schmonzetten-Action-Horror-Boulevard?
Was sollen denn die Damen nun tun oder doch eigentlich nicht tun? Hebbel, der Dichter aus der Mitte des 19. Eisenbahnjahrhunderts, steckt die Nibelungen-Heldinnen in Kettenhemden, stopft sie in Keuschheitsgürtel unter düsteren Gewändern und lässt sie hinter Mauern nervös auf und ab trippeln. Sie scheinen in sperriges altertümliches Geschirr verpackt zu sein, sind in Hausarreste eingeschlossen, in Gebäuden ohne Ausgang und Fenster festgesetzt und in Fallen gelockt, die längst zugeschnappt sind. Sie starren erschrocken daraus hervor, hinunter auf einen mit Grenzen durchzogenen Dschungel von Sportplätzen voll mit trainierenden männlichen Rudeln. Die wetten, toben, intrigieren und schlagen und die, weil sie es können, umarmen, erstechen, lieben und küssen. Von diesen Recken, Königen, Sklaven, Kriegern und Mördern werden die Frauen zwischendurch belagert und angesungen, von ihnen werden sie vergewaltigt und geheiratet, nachdem und bevor sie wieder jagen, schlachten und saufen gehen.
Es ist klar, das Gebilde hat keinen langen Bestand, es ist pappig, verschwitzt und provisorisch, und die Frauen stehen wie festgebundene Eckpfosten in seiner Konstruktion. Irgendwo am Rand des Undings sitzen sie fest, als tragende Staffage hingebaut.
Füllen sie die Tapeten aus? Scheinen sie wie falsch gedeutete Ausgrabungen an verkehrten Plätzen zu warten, nachlässig oder doch gezielt in ein ethnoromantisches Museum gepflanzt? Sind sie verkleidet und zusammengebastelt und in ein Panoptikum geschoben, zur Bewunderung durch Männer, Stalker und Spanner, und trotzdem gut platziert und dabei unfreiwillig ins energetische Zentrum gerutscht?
Starrt man mal nicht benommen auf den blödsinnigen Tumult, auf Politik, Totschlägerei und Treuegekitsch der Männer, wundert man sich nicht schlecht über die Statuen der Frauen, die plötzlich direkt am Schaltpult der Absturzmaschine stehen. Trotz der Zeitverschwendung in der Dichtung kommt es bei ihnen zur schnellen, mörderischen Begegnung. Brun- und Kriemhild beißen zu, sofort nach dem ersten Gruß, und der weitere Ablauf ist klar. Eben noch in zwei Hochzeiten hineingestolpert und somit in Haftung und Verwertung des Reckenrudels geraten, schlagen sie blitzartig wie Giftschlangen ihre Zähne ineinander und stellen ohne Verzug und ohne Rückkehrmöglichkeit alle Weichen in Richtung Katastrophe.
Man wird mit Hebbels Stück, das eine historistische, zerklüftete Kunstruine ist, auf eine Reise in Untergangsvisionen geschickt. In Begleitung von halb göttlichen Chimären und irrlichternden Bluthunden, von einer von Projektionen und Deutungen besessenen Epoche in die nächste und immer von düster nach schrecklich.
Hebbel schnippelt die Figuren auf Schicksalssilhouetten zurecht, er packt sie in Heldenschablonen, verwandelt sie in flache Bilder von Amazonen, Moralprinzessinnen, treuen oder schurkischen Rittern und schiebt sie dann zu krassen Posen von Krieg, Verrat und Rache zusammen.
Bei den Frauen setzt er im Spiel um Macht, Besitz und Verlust aber besonders schnell auf Mythos und wiederholt in ihren Figuren nur ein bekanntes Prinzip, welches Frauen kontrastierend zur Schlägerwelt der Männer in kostümierter Ikonisierung verfestigen lässt. Da die Kerle außer Schulterschluss und Waffentricks nichts auf der Pfanne haben (mit Ausnahme von Siegfried in lichten Momenten) und nichts von Gehalt in die Waagschale werfen können, bauscht er ein für seine Zeit ungewöhnlich nichtmenschlich-göttliches Bild von Frauen auf. Die eine kommt schon aus dem germanischen Olymp, die andere schickt er dorthin.
Hofft er, mithilfe ihrer Mystifizierung die pubertierende Schlächtergemeinschaft und damit das gesellschaftliche System in Balance halten und es darüber hinaus in die Nähe höherer humanitärer Weihen bringen zu können? Glaubt er, den Horror legitimierend einen Zutritt an den Tisch der Zivilisation und sogar ein Treppchen höher zur mensch-göttlichen Welt, in den Hort des Übermenschen, zu verschaffen?
Baut er deshalb Kriem-Brunhild zu Märchenbildern von Licht-, Trauer- und Rachegestalten auf?
Vielleicht ja. Denn es gibt ein Foulspiel, durch welches sich der Plot verstärkt. Während Brunhild schnell in Schmach verdunstet und Kriemhild die Vergeltung plant, tappt die Nibelungen-Bande entweder durch kollektive Umnachtung oder „Reueschwäche“ oder Religion oder ein anderes Unding plötzlich und ganz bewusst in die Schicksalsfalle und wird in einem „heldenhaften“ Blutbad, Reckenschulter an Reckenschulter, komplett vernichtet.
Und das „Monster“ Kriemhild – weil aus demselben Fleisch – gleich mit?!?
Nicht die Kohlhaas-Vision von Gerechtigkeit, der Anspruch auf irdischen Rechtsspruch, sondern mythische Verklärung, Heldenhaftigkeit, Sühne und Todessehnsucht treiben den Autor ins Finale, und unter der Hand kehrt er alle Verhältnisse um. Meuchler werden Märtyrer, Opfer Schuldige. Der Verrat an Siegfried ist gesühnt, der an Kriemhild nicht. Damit ist das Reckenrudel-Mysterium perfekt. Schätzte man deshalb das Stück im Dritten Reich und fügte es auf den Nibelungen-Festspielen der Nazi-Leitkultur hinzu?
Hartmut Meyer arbeitete an den renommiertesten Schauspiel- und Opernhäusern Deutschlands mit Regisseuren wie Ruth Berghaus, Peter Konwitschny, Frank Castorf, Andreas Homoki und Sebastian Baumgarten zusammen. Seit 2002 ist Meyer Professor der Bühnenbildklasse an der Universität der Künste in Berlin. Am Staatsschauspiel Dresden schuf er das Bühnenbild für Sebastian Baumgartens Inszenierung von Sophokles’ ANTIGONE.
Hofft er, mithilfe ihrer Mystifizierung die pubertierende Schlächtergemeinschaft und damit das gesellschaftliche System in Balance halten und es darüber hinaus in die Nähe höherer humanitärer Weihen bringen zu können? Glaubt er, den Horror legitimierend einen Zutritt an den Tisch der Zivilisation und sogar ein Treppchen höher zur mensch-göttlichen Welt, in den Hort des Übermenschen, zu verschaffen?
Baut er deshalb Kriem-Brunhild zu Märchenbildern von Licht-, Trauer- und Rachegestalten auf?
Vielleicht ja. Denn es gibt ein Foulspiel, durch welches sich der Plot verstärkt. Während Brunhild schnell in Schmach verdunstet und Kriemhild die Vergeltung plant, tappt die Nibelungen-Bande entweder durch kollektive Umnachtung oder „Reueschwäche“ oder Religion oder ein anderes Unding plötzlich und ganz bewusst in die Schicksalsfalle und wird in einem „heldenhaften“ Blutbad, Reckenschulter an Reckenschulter, komplett vernichtet.
Und das „Monster“ Kriemhild – weil aus demselben Fleisch – gleich mit?!?
Nicht die Kohlhaas-Vision von Gerechtigkeit, der Anspruch auf irdischen Rechtsspruch, sondern mythische Verklärung, Heldenhaftigkeit, Sühne und Todessehnsucht treiben den Autor ins Finale, und unter der Hand kehrt er alle Verhältnisse um. Meuchler werden Märtyrer, Opfer Schuldige. Der Verrat an Siegfried ist gesühnt, der an Kriemhild nicht. Damit ist das Reckenrudel-Mysterium perfekt. Schätzte man deshalb das Stück im Dritten Reich und fügte es auf den Nibelungen-Festspielen der Nazi-Leitkultur hinzu?
Hartmut Meyer arbeitete an den renommiertesten Schauspiel- und Opernhäusern Deutschlands mit Regisseuren wie Ruth Berghaus, Peter Konwitschny, Frank Castorf, Andreas Homoki und Sebastian Baumgarten zusammen. Seit 2002 ist Meyer Professor der Bühnenbildklasse an der Universität der Künste in Berlin. Am Staatsschauspiel Dresden schuf er das Bühnenbild für Sebastian Baumgartens Inszenierung von Sophokles’ ANTIGONE.