Premiere in Wrocław 15.09.2012
Dresden-Premiere 28.09.2012 › Kleines Haus 1

Titus Andronicus

Römische Tragödie von William Shakespeare
Deutsch von Wolf von Baudissin
Polnisch von Maciej Słomczyński
eine Koproduktion mit dem Teatr Polski Wrocław
In deutscher und polnischer Sprache mit Übertiteln
Auf dem Bild: Torsten Ranft, Robert Höller, Paulina Chapko, Stefko Hanushevsky, Wolfgang Michalek
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Marcin Pemuś, Wolfgang Michalek, Ewa Skibińska, Michał Majnicz
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Robert Höller, Wolfgang Michalek, Sascha Göpel
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Marcin Pemuś, Michał Mrozek, Michał Majnicz
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek, Ewa Skibińska, Marcin Pemuś, Michał Majnicz
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Torsten Ranft, Paulina Chapko, Ewa Skibińska, Robert Höller
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Wojciech Ziemiański, Ewa Skibińska
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Paulina Chapko
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Robert Höller, Matthias Luckey
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Marcin Pemuś, Michał Majnicz
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek, Paulina Chapko
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Robert Höller, Wolfgang Michalek, Wojciech Ziemiański, Torsten Ranft
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Robert Höller, Torsten Ranft, Paulina Chapko, Wolfgang Michalek
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Robert Höller, Sascha Göpel
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek, Paulina Chapko
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Paulina Chapko
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek, Paulina Chapko
Foto: Natalia Kabanow
Auf dem Bild: Matthias Luckey
Foto: Natalia Kabanow

Handlung

Unter der Verwendung von Heiner Müllers „Anatomie Titus Fall of Rome: ein Shakespearekommentar“
Der General Titus kehrt von einem erfolgreichen Feldzug gegen die Goten nach Rom zurück. Als er den Sohn der gefangenen Barbarenkönigin Tamora auf dem Grab seiner über zwanzig im Krieg gefallenen Söhne opfert, setzt er ein teuflisches Spiel in Gang. Die gefangene Gotenkönigin Tamora wird statt Sklavin Ehefrau des römischen Kaisers. Es entspannt sich ein Reigen der Rache zwischen Goten und Römern, der den Krieg vom Schlachtfeld in das politische Rom und in die Familien verlagert. Rom: „Nothing, but a wilderness of tigers.“ „Titus Andronicus“ ist Shakespeares Stück mit der höchsten „bodycount“-Rate und war zu Shakespeares Lebzeiten eines der erfolgreichsten Stücke überhaupt.
In „Titus Andronicus“ treffen zwei Kulturen aufeinander: Römer und Goten. „Spätrömische Dekadenz“ vs. „Neue Barbaren“. In der Inszenierung stehen deutsche und polnische Schauspieler miteinander auf der Bühne. Die Schauspieler des Staatsschauspiels Dresden spielen dabei die Römer, die Schauspieler des Teatr Polski Wrocław die Goten. Der Regisseur Jan Klata zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Regisseuren Polens. Seine extremen ästhetischen Zugriffe und inhaltlich provokanten Setzungen machen ihn zu einem der interessantesten Künstler zwischen Warschau und Wrocław. Nun inszeniert er das erbarmungslos pessimistische Stück – Hasstirade und Schlachtruf gegen Kultur und Natur des Menschen – auf Polnisch und Deutsch als binationale Koproduktion.

Besetzung

Regie
Jan Klata
Bühne / Kostüme
Justyna Łagowska-Klata
Kostüme
Mateusz Stępniak
Choreografie
Maćko Prusak
Licht
Justyna Łagowska-Klata, Björn Gerum
Untertitel
Agnieszka Fietz (Text), Lorenz Schuster (Projektion)
Dramaturgie
Ole Georg Graf, Piotr Rudzki
Titus Andronicus, ein römischer Adliger, General im Gotenfeldzug
Wolfgang Michalek
Tamora, Königin der Goten
Ewa Skibińska
Marcus Antonius, Volkstribun und Bruder des Titus
Aaron, ein Mohr, Geliebter der Tamora
Wojciech Ziemiański
Lavinia, Tochter des Titus Andronicus
Paulina Chapko
Demetrius, Sohn der Tamora
Michał Majnicz
Chiron, Sohn der Tamora
Marcin Pemuś
Saturninus, Sohn des verstorbenen Kaisers von Rom und später selbst Kaiser / Eine Amme
Stefko Hanushevsky
Bassianus, Bruder des Saturin / Aemilius, ein römischer Adliger
Matthias Luckey
Quintus / Martius / Mutius, Söhne Titus'
Sascha Göpel
Lucius, Sohn des Titus Andronicus
Robert Höller
Alarbus, Sohn der Tamora
Michał Mrozek

Videos

polnischer Trailer

Deutscher Trailer

Punk, Pop und die Zehn Gebote

Das theaterbegeisterte Polen macht seine Theatermacher zu Stars, die auf der Straße erkannt werden. Der Theaterkritiker Roman Pawłowski, der für die größte Tageszeitung des Landes schreibt, porträtiert einen von ihnen und zeigt, warum das Theater des Regisseurs Jan Klata zwischen Pop, Poesie und Politik für Aufregung weit über den Zuschauerraum hinaus sorgt.
Linker Katholik, konservativer Rebell, klassikaffiner Punk – nicht nur Talent und eine bildmächtige Fantasie, auch seine widersprüchliche Persönlichkeit machen Jan Klata zu einem der interessantesten Regisseure des europäischen Gegenwartstheaters.
Klata ist das Kind einer von Paradoxien geprägten Zeit. Seine Generation sah bekennende Marxisten mit Michael Gorbatschow an der Spitze den Kommunismus zu Grabe tragen. Sie erlebte mit, wie einstige Parteigenossen und ehemalige Dissidenten Hand in Hand ein neues System unter marktliberalen Vorzeichen errichteten. Und sie debütierte zu einem Zeitpunkt, an dem islamistische Fanatiker die Geschichte, die 1989 zum Stillstand gekommen schien, wieder ins Rollen brachten.
Wer wie Klata in einem Schmelztiegel widersprüchlicher Ideen, Traditionen und Ideologien aufwuchs, ist meist vor allem eines: kritisch. Er traut weder den Sympathisanten des Ancien Régime noch den Propheten der schönen neuen Welt. Er steht den Sozialutopien des vergangenen Jahrhunderts ebenso skeptisch gegenüber wie den liberalen und neoliberalen Dogmen des neuen. Er sucht eigene Wege durch eine von Spannungen und Konflikten geprägte globalisierte Weltlauf eigene Faust und auf eigenes Risiko.
Genau so ist auch Jan Klatas Theater. Schon mit seinem Regiedebüt stellte er den polnischen Status quo infrage, der auf Abmachungen zwischen Vertretern der einstigen Opposition und zu Postkommunisten gewendeten Repräsentanten der alten volksrepublikanischen Nomenklatura beruhte. In Wałbrzych, einer abgewirtschafteten Bergbaustadt in der niederschlesischen Provinz, versetzte er 2003 Gogols „Revisor“ ins kommunistische Polen der 1970er-Jahre. Die nach dem damaligen Premier Gierek benannte Epoche, eine Zeit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts und der Öffnung nach Westen, aber auch der Korruption und des politischen Zynismus, diente Klata als Zerrspiegel für das von politischen Affären, Arbeitslosigkeit und Korruption geplagte Polen.
Spätere Inszenierungen führten die radikale Kritik an den Verhältnissen im postkommunistischen Polen fort. Seine schlicht „H.“ betitelte Hamlet-Version in der Danziger Werft 2004 war eine Abrechnung mit den politischen Eliten des Landes, denen nach 1989 im Kampf um Macht und Pfründe das Ethos der gesellschaftlichen Solidarität abhanden gekommen war. Schon der Spielort symbolisierte den Verfall: eine heruntergekommene Halle in der ehemaligen Lenin-Werft, der Wiege der Solidarność und einem der ersten Opfer der kapitalistischen Marktwirtschaft.
Den Regisseur Jan Klata interessiert aber keineswegs nur die Gegenwart, er setzt sich auch mit der Vergangenheit auseinander. In seiner Fassung von Stanisław Ignacy Witkiewiczs „Fizdejkos Tochter“ legte er die latenten, anlässlich des polnischen EU-Beitritts wieder aufgebrochenen Ängste und Psychosen von Polen und Deutschen offen. Die Deutschen zeigte Klata als Technokraten, denen immer noch die Gespenster von Auschwitz nachspuken. Die Polen wiederum präsentierte er dem deutschen Stereotyp entsprechend als betrunkene Arbeitslose, die ihre Habseligkeiten in Plastiktüten mit sich herumschleppen. „Transfer!“, eine auf Erzählungen polnischer und deutscher Opfer der Vertreibungen um 1945 basierende Theaterdokumentation, zeigte dagegen die Perspektive einer Versöhnung auf, in der das Leid des anderen anerkannt wird, ohne die historischen Fakten und die Differenz der Erfahrungen zu leugnen.
Mit der Zeit erweiterte Klata die Kampfzone und wandte sich globalen Themen zu. Er befasste sich mit dem Krieg gegen den Terrorismus und den Mechanismen der Erzeugung von Furcht, er kritisierte die Mediendemokratie, in der Medien und Meinungsforschungsinstitute die Macht übernommen haben, er fragte nach dem Sinn von Revolutionen in einer postpolitischen Welt, die keine Klassenkonflikte mehr kennt. Und mitten in der Finanzkrise analysierte er 2009 in „Das gelobte Land“ die kranke „Geiz ist geil“-Mentalität des neoliberalen Kapitalismus.
Das treffendste Bild der postmodernen Welt zeichnete Klata in seiner Inszenierung von Stanisława Przybyszewskas epischem Drama „Die Sache Danton“. Er verlegte die Handlung in einen Slum unserer Zeit, ließ die Revolutionäre aber in Kostümen des 18. Jahrhunderts auftreten. Zwischen Hütten aus Pappe und Wellblech wirkte Robespierres und Dantons verbissenes Ringen um die Führerschaft grotesk, die Revolution wurde zur Farce. Eindrücklicher lässt sich ein Abgesang auf die Ideale der Französischen Revolution kaum gestalten.
Klata entwickelt seine Kapitalismus- und Utopiekritik aus der Position des bekennenden und engagierten Katholiken heraus. Sein Danziger Hamlet zog auf Polonius’ Frage „Was leset Ihr, mein Prinz?“ ein Gotteslob aus der Tasche und zitierte aus den Zehn Geboten. Als gläubiger Katholik – einer von sehr wenigen in der gegenwärtigen Theaterlandschaft – steht er gleichwohl dem in Polen weitverbreiteten religiösen Fanatismus äußerst kritisch gegenüber. Das zeigte seine Adaption von André Gides Roman „Die Verliese des Vatikan“, in der er religiösen Fanatismus und westlichen Nihilismus miteinander konfrontierte. Auf der einen Seite standen die Hörer des ultrakatholischen Senders Radio Maryja, die sich in einer Festung der Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit verschanzten, auf der anderen Seite Jugendliche, die durch Popkultur und antikirchliche Einstellungen geprägt waren. Klata ließ sie ihren Streit musikalisch austragen: Die einen sangen ein Madonnenlied, die anderen antworteten mit „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones.
Der politischen Radikalität Klatas entspricht die Radikalität seiner Theatersprache. Jan Klata ist ein DJ auf dem Regiestuhl: Er scratcht Inszenierungen, indem er klassischen Stücken Gossensprache untermischt, er loopt Repliken, um den Effekt stillstehender Zeit zu erreichen, er sampelt die unterschiedlichsten Texte und lässt etwas Neues daraus entstehen. Eine Schlüsselrolle in seinen Inszenierungen spielen Musikzitate: In „Die Sache Danton“ sind „Revolution No. 9“ von den Beatles und „Talkin’ bout a Revolution“ von Tracy Chapman zu hören. In „Schuster.am.Tor“ der Song „London Calling“ von The Clash und in „Das gelobte Land“ Phil Collins’ Ballade „In the Air Tonight“. Die symbolische Bedeutung dieser und anderer Zitate ist von einem popkulturell sozialisierten Publikum leicht zu erfassen. Manchen Zuschauer irritiert die Brutalität von Klatas Inszenierungen, die direkt und plakativ daherkommen wie Parolen an Häuserwänden. Wer nur einen angenehmen Abend im Theater verbringen möchte, für den sind sie nichts. Doch genau so muss Thea­ter sein: unbequem und beunruhigend. Nur so lebt es. Nur so hat es einen Sinn.
Übersetzung aus dem Polnischen: Bernhard Hartmann.

Roman Pawlowski ist Theaterkritiker und Redakteur der „Gazeta Wyborcza“, der größten überregionalen Tageszeitung Polens. Das Porträt des Regisseurs Jan Klata entstand aus Anlass seiner Arbeit am Schauspielhaus Bochum.

Die Freiheit des Fremdlings

Mehrfach schon hat das Staatsschauspiel in den vergangenen Jahren seine Fühler auch über die Landesgrenzen ausgestreckt und die Auseinandersetzung und Tuchfühlung mit unseren europäischen Nachbarn gesucht. Einen Höhepunkt findet dieser interkulturelle Austausch nun in einem großen Shakespeare-Projekt des Regisseurs Jan Klata – einer Koproduktion mit dem Teatr Polski Wrocław.
Jan Klata zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Regisseuren Polens. Seine starken ästhetischen Zugriffe und seine inhaltlich provokanten Setzungen machen ihn zu einem der interessantesten Künstler zwischen Warschau und Wrocław. In den vergangenen Jahren begann er auch in Deutschland erste Inszenierungen zu erarbeiten. „Ich mag die Position des Fremdlings. Es gibt dieses Sprichwort: Fremde Mönche predigen besser. Es ist vielleicht nicht richtig zu sagen, dass wir Osteuropäer mit unserem Sinn für Anarchie und Freiheit eure perfekte Ordnung durcheinanderbringen – aber im Grunde ist es so“, sagte er in einem Radiointerview. „Vielleicht muss man beides kombinieren. Man versucht, gemeinsame Grundlagen zu finden, eine Schnittmenge zu bilden – aber was ist, wenn diese gemeinsame Schnittmenge dann vielleicht leer ist?“

Seine Inszenierung von „Titus Andronicus“ geht deshalb einen anderen Weg. Deutsche und polnische Schauspieler stehen miteinander auf der Bühne, eine Hälfte aus Dresden, die andere aus Wrocl⁄aw. Folglich wird es auch zwei Sprachen zu hören geben (die jeweils fremde wird selbstverständlich für das Publikum untertitelt). Woher stammt nun diese Idee, und warum setzt man sie ausgerechnet mit Shakespeares „Titus Andronicus“ um? Die Vermischung der Sprach- und Kulturräume sollte kein Selbstzweck, sondern Teil einer künstlerischen Interpretation sein. In „Titus Andronicus“ treffen ebenso zwei Kulturen aufeinander: Römer und Goten.

Die – im Gegensatz zu Shakespeares weiteren römischen Tragödien – fiktive Geschichte ist im spätrömischen Reich angesiedelt. Der Feldherr Titus Andronicus kehrt von einem erfolgreichen Feldzug gegen die Goten zurück. Die gefangene Gotenkönigin Tamora wird statt Sklavin Ehefrau des römischen Kaisers. Es entspannt sich ein Reigen der Rache zwischen Goten und Römern, der den Krieg vom Schlachtfeld in das politische Rom und in die Familien verlagert.
Die Schauspieler des Staatsschauspiels Dresden spielen dabei die Römer, die Schauspieler des Teatr Polski Wrocław die Goten. „Spätrömische Dekadenz“ vs. „neue Barbaren“. „Titus Andronicus“ ist ein erbarmungslos pessimistisches Stück, Hasstirade und Schlachtruf gegen Kultur und Natur des Menschen.

Das Projekt der Inszenierung selbst ist aber das Gegenteil davon. Dresden und Wrocl⁄aw sind sich nahe: zweieinhalb Stunden. Und in der Vorbereitung der Inszenierung fanden sich allerhand Berührungspunkte: dass eine anonyme deutschsprachige Übersetzung des Stücks 1699 in Wrocl⁄aw, damals Breslau, aufgeführt wurde. Dass Heiner Müllers „Titus Andronicus“-Bearbeitung nicht ins Englische, aber ins Polnische übersetzt wurde. Mitarbeiter des Staatsschauspiels Dresden, deren Familien aus Polen kommen und die Polnisch sprechen.

Die Ostgoten, die später Rom regierten, markieren historisch das Ende des antiken Roms. Unsere Theaterbegegnung soll hingegen einen Anfang markieren – den wir mit Shakespeares schwarzem Stück machen.


Im Rahmenprogramm wird es vor ausgewählten Vorstellungen wissenschaftliche Vorträge von deutschen und polnischen Referenten geben, die thematisch mit der Inszenierung verknüpft sind. Die Termine entnehmen Sie bitte dem Monatsleporello. Zudem ist ein deutsch-polnischer Jugendaustausch geplant, der von einem theaterpädagogischen Programm begleitet wird.

Partner

Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit