Premiere 09.09.2016
› Kleines Haus 1
Szenen einer Ehe
Handlung
Das Schicksal schlägt zu bei Leberwurst und Bier: Als Johan seiner Ehefrau Marianne am Küchentisch verkündet, er werde sie wegen einer jungen Geliebten auf der Stelle verlassen, bricht für sie eine sicher geglaubte Welt zusammen. All die Jahre schien die Liebe selbstverständlich, nun wird sie – und mit ihr all die liebgewonnen Gewohnheiten – zum Albtraum. Aus Zuneigung wird gegenseitiger Hass, aus Vertrauen Verletzlichkeit, aus Lust Gewalt. Erst nach und nach, am Ende einer langen und schmerzvollen Odyssee, finden beide wieder vorsichtig zueinander – und zum ersten Mal zu sich selbst. „Das Fürchterliche ist, dass wir seelische Analphabeten sind“, erklärte Ingmar Bergman 1973 in einem Interview nach der Erstausstrahlung von „Szenen einer Ehe“ im schwedischen Fernsehen, einem Straßenfeger, dessen Titel schon bald sprichwörtlich werden sollte. Mit seinem kammerspielartigen Ehedrama, einer schonungslosen Anatomie des Gefühlslebens, hatte er den Nerv einer Zeit getroffen und eine sehr persönliche Sprache für das gefunden, was sich seit dem Ende der 60er-Jahre in vielen Ländern Europas gesellschaftlich abzeichnete: das Auseinanderbrechen der bisherigen bürgerlichen Ordnung von Mann, Frau und Partnerschaft. Der Regisseur Thomas Jonigk, der auch als Autor von Theaterstücken und Romanen bekannt ist, die sich durch ihren präzisen Witz und ihre raffinierte Erzählweise auszeichnen, schlägt in seiner Inszenierung einen Bogen zwischen den 1970er-Jahren und der Gegenwart und legt das zeitübergreifende Traumspiel hinter Bergmans vordergründigem Naturalismus offen.
Dauer der Aufführung: 1 Stunde und 45 Minuten.
Keine Pause.
Keine Pause.
Besetzung
Regie
Bühne
Kostüme
Esther Geremus
Dramaturgie
Michael Isenberg
Licht
Michael Gööck
Lars Jung, Hannelore Koch, Torsten Ranft, Nele Rosetz, Mira Fanny Weinhold / Mathilde Böttger, Arthur Leo Weinhold / Ottokar Terpe
Ein System aus den Fugen stellt Thomas Jonigk in Dresden auf die Bühne. Er hat ‚Szenen einer Ehe‘ für das Kleine Haus des Staatsschauspiels eingerichtet, als Kammerspiel auf einer bis ins Detail historischen 70er-Jahre-Bühne. Die hat Lisa Dräßler als flachen Kasten konstruiert, Symbol für den erdrückenden Anspruch, eine ideale Kleinfamilie zu sein. Torsten Ranft und Nele Rosetz spielen Johan und Marianne mit beeindruckender Komplexität. Die beiden Schauspieler, die im Komödienfach ungeschlagen sind, geben ihren Figuren so viel Natürlichkeit, dass es bisweilen zum Verzweifeln lustig ist. Erstaunlich, wie allgemeingültig dieser Stoff nach 40 Jahren ist.
Nach weiteren Szenen der Ehe, in denen die beiden sich unerbittlich fertigmachen, kommt dann aber abermals der Dreh. Es ist die Stunde von Hannelore Koch und Lars Jung. Die ehemaligen Liebespartner begegnen sich nach vielen Jahren wieder. Etwas abgewohnt ist das Haus, die Gemüter abgekühlt. Beide sind wieder verheiratet. Im Film sind es nun Johan und Marianne, die miteinander ihre neuen Ehepartner betrügen. Hier ist es eine Begegnung von zwei Menschen, die endlich miteinander reden können. Die begriffen haben: Es nützt nichts, sich an Bildern festzuhalten. Umschlungen sitzen sie auf dem Sofa, das einst Requisite eines Krieges war. Sie kämpfen nicht mehr.“
Seiner Beschreibung nach ist Johan (eitel und selbstgefällig: Torsten Ranft) intelligent, erfolgreich, guter Familienvater und großartiger Liebhaber. Seine Frau Marianne (zart und kraftvoll: Nele Rosetz) findet ihn nett, manchmal naiv bis zum Schwachsinn. Nur wer sie selbst ist, weiß sie nicht.
Wie im Zeitraffer verdichtet die anderthalbstündige Aufführung das Ringen umeinander.
Ein zweites Paar taucht hin und wieder auf, wie ein stiller Zeuge, und befragt sich Jahre später erneut. Lars Jung und Hannelore Koch spielen die beiden bewundernswert als älteres, reifes Paar, das über alle Wut und Schmerz hinweg erkennt, dass wahre Liebe auch heißt, sich über das neue Glück des anderen zu freuen. Lang anhaltender Beifall für einen Theaterabend der großen Gefühle.“
Sie entfalten sich in einer 70er-Jahre-Kulisse (Bühnenbild: Lisa Däßler), die gleichsam heimelig wie unheimlich ist. Alles ist ein bisschen zu glatt, wie die Oberfläche der beiden Ehepartner. Man beobachtet ein Paar, dessen Ehe sich in Auflösung befindet.
Schauspielerin Nele Rosetz und Regisseur Thomas Jonigk haben ein wunderbares Körperbild gefunden für den Grad der Verdrängung, der Marianne befangen hat. Aber das Verdrängte bricht immer wieder durch. Ab und zu verfällt Marianne in Wutanfälle, dann verrutscht ihr die Stimme, sie schreit, sie rauft sich die Haare, und im Zuge des Stückes verliert sie immer mehr die Kontrolle über den starren Körper.
Auch Johan, gespielt von Torsten Ranft, verändert sich. Er ist ein Mann in der Midlife-Crisis: eigentlich erfolgreich, aber unzufrieden.
Ein wirkungsvoller Regieeinfall ist die Verdreifachung der beiden Charaktere auf der Bühne: So sehen wir zwei Kinder. Sie sind die Kinder des Paares und gleichzeitig kleine Abbilder der Großen, in exakt deren Kleidung. Daneben spielen Lars Jung und Hannelore Koch das um Jahrzehnte gealterte Paar. Wie die Schatten ihrer Selbst wandeln die Charaktere über die Bühne. Zugleich erinnert das Stück damit an die Wiederaufnahme des Stoffs durch den Regisseur Ingmar Bergman, der Johan und Marianne 2003 nochmals im Film aufeinandertreffen ließ. Die doppelten Charaktere treten aus den Nebenräumen auf die Bühne, ganz so, wie verdrängte Erinnerungen ins Bewusstsein treten. Ingmar Bergmans legendärer Film hat im Kleinen Haus eine ausgezeichnete Bühnenfassung mit sehr guter Besetzung gefunden.“
Jonigk bleibt mit seiner Inszenierung in der Familie. Dabei ist die Enge, aus der Marianne und Johann entfliehen, ein gesellschaftliches Thema, haben sich die Geschlechterrollen verändert. Je mehr sich auch Religionen und Völker miteinander vermischen, umso wichtiger wird ein ehrlicher Umgang miteinander. Gelingt das im Kleinen wie im Großen nicht, ist es um unsere heile Welt hinter Gartenzaun und Eigenheimmauern schlecht bestellt.“