Deutschsprachige Erstaufführung 17.03.2018
› Ballsaal am Restaurant Delizia
Sun and Sea
von Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė
Libretto aus dem Litauischen übertragen von Claudia Sinnig
mit englischen Übertiteln
Libretto aus dem Litauischen übertragen von Claudia Sinnig
mit englischen Übertiteln
Handlung
Was erzählt eine Gruppe sonnenbadender Menschen über den Zustand unserer Zivilisation? Der Strand, eingerahmt von Sonne und Meer, ist jedenfalls ein einzigartiger Ort, um auf Unbekannte aus allen geografischen Zonen der Welt zu treffen. Eine zutiefst kuriose Begegnung zugleich, enthüllt doch der ganz eigene Dresscode der Badekleidung Körper, die gewöhnlich unter der Alltagskleidung verborgen bleiben.
Nur scheinbar geht es hier um Ferien, Faulheit oder ein Postkartenmotiv. Stimmen erheben sich, erzählen Geschichten und gewähren einen Blick in das Innerste der Protagonisten. Was ereignet sich zwischen lustvoller Entspannung und dem Bewusstsein für die Endlichkeit des menschlichen Körpers oder unseres Sonnensystems? Wann wird der Mensch zum Spielball der Elemente, werden Sonne und Meer zu paradoxen Metaphern für Leben und Tod, Bedrohung und Vergnügen? Aus der Uniformität nebeneinander liegender Sommerfrischler entsteht ein Mosaik aus Biografien, aus der Landschaft anonymer Körper ein Panorama individueller Hoffnungen und Krisen. Das „Kleine“, das Einzigartige der einzelnen Stimme, der individuelle Mikrokosmos ist Teil einer globalen Erzählung. Denn zugleich verbirgt sich unter dem Topos der „Faulheit“ eine Endzeitstimmung, lauert die Klimakatastrophe ebenso unter der Oberfläche wie der, der unter der Sonne die Zeit totschlägt, am Abgrund seiner Vergänglichkeit tanzt.
Die Verbindung von Alltag und Poesie, Dokumentation und Fiktion und das Ereignis der menschlichen Stimme sind der Ausgangspunkt für die drei litauischen Künstlerinnen und ihre besondere Form des musikalischen Theaters.
Nach Ausbildungen an Theaterhochschulen in Vilnius und London und eigenständigen künstlerischen Arbeiten kamen die Film- und Theaterregisseurin Rugilė Barzdžiukaitė, die Komponistin und Musikerin Lina Lapelytė und die Librettistin Vaiva Grainytė erstmals für die Arbeit HAVE A GOOD DAY! als Team zusammen, eine Minioper für zehn Kassiererinnen, Supermarktgeräusche und Klavier. 2015 erhielten sie dafür den Jurypreis von FAST FORWARD – Europäisches Festival für junge Regie am Staatstheater Braunschweig.
Nur scheinbar geht es hier um Ferien, Faulheit oder ein Postkartenmotiv. Stimmen erheben sich, erzählen Geschichten und gewähren einen Blick in das Innerste der Protagonisten. Was ereignet sich zwischen lustvoller Entspannung und dem Bewusstsein für die Endlichkeit des menschlichen Körpers oder unseres Sonnensystems? Wann wird der Mensch zum Spielball der Elemente, werden Sonne und Meer zu paradoxen Metaphern für Leben und Tod, Bedrohung und Vergnügen? Aus der Uniformität nebeneinander liegender Sommerfrischler entsteht ein Mosaik aus Biografien, aus der Landschaft anonymer Körper ein Panorama individueller Hoffnungen und Krisen. Das „Kleine“, das Einzigartige der einzelnen Stimme, der individuelle Mikrokosmos ist Teil einer globalen Erzählung. Denn zugleich verbirgt sich unter dem Topos der „Faulheit“ eine Endzeitstimmung, lauert die Klimakatastrophe ebenso unter der Oberfläche wie der, der unter der Sonne die Zeit totschlägt, am Abgrund seiner Vergänglichkeit tanzt.
Die Verbindung von Alltag und Poesie, Dokumentation und Fiktion und das Ereignis der menschlichen Stimme sind der Ausgangspunkt für die drei litauischen Künstlerinnen und ihre besondere Form des musikalischen Theaters.
Nach Ausbildungen an Theaterhochschulen in Vilnius und London und eigenständigen künstlerischen Arbeiten kamen die Film- und Theaterregisseurin Rugilė Barzdžiukaitė, die Komponistin und Musikerin Lina Lapelytė und die Librettistin Vaiva Grainytė erstmals für die Arbeit HAVE A GOOD DAY! als Team zusammen, eine Minioper für zehn Kassiererinnen, Supermarktgeräusche und Klavier. 2015 erhielten sie dafür den Jurypreis von FAST FORWARD – Europäisches Festival für junge Regie am Staatstheater Braunschweig.
Dauer der Aufführung: ca. 1 Stunde und 10 Minuten.
Keine Pause.
Keine Pause.
Besetzung
Regie, Bühne und Kostüme
Rugilė Barzdžiukaitė
Libretto und Dramaturgie
Vaiva Grainytė
Komposition und Musikalische Leitung
Lina Lapelytė
Musikalische Leitung, Bearbeitung der Deutschen Fassung und Keyboards
Übertragung des Librettos aus dem Litauischen
Claudia Sinnig
Licht
Künstlerische Produktionsleitung
Mit
Funda Asena Aktop, Albertine Selunka, Eva Diamante, Pablo Díaz-Aller, Albrecht Ernst, Franziska Ernst, Marie Flämig, , Sandro Hähnel, Elisabeth Holmer, Jacqueline Krohne, Ahmad Mesgarha, Carl Thiemt, Luisa Wiesener / Xenia Wiesener, Pascal von Wroblewsky
Statist*innen
Franz Flämig, Bernd Fröbel, Jürgen Hahm, Jonas Holmer, Simon Holmer, Philidel Schmiedel, Jewgenija Wolf
Wegbeschreibung
Ballsaal am Restaurant Delizia
Bautzner Landstraße 6, 01324 Dresden
(ehemalige Park-Lichtspiele Weißer Hirsch)
Abendkasse ab 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn
Bautzner Landstraße 6, 01324 Dresden
(ehemalige Park-Lichtspiele Weißer Hirsch)
Abendkasse ab 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn
Bitte nutzen Sie zur Anfahrt die öffentlichen Verkehrsmittel, die Parkmöglichkeiten vor Ort sind sehr begrenzt.
Die Spielstätte ist mit der Straßenbahnlinie 11 und der Buslinie 261, Haltestelle Plattleite, erreichbar.
Die Spielstätte ist mit der Straßenbahnlinie 11 und der Buslinie 261, Haltestelle Plattleite, erreichbar.
Mit Unterstützung des Eigentümers der Spielstätte, der Ostsächsischen Sparkasse und des Lithuanian Culture Institutes.
Die Entstehung von SUN AND SEA wurde durch das Artist-in-Residence-Programm 2016/2017 der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart unterstützt.
Interview
Ein Gespräch mit Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė über ihre Arbeit und ihr Stück SUN AND SEA
Geht Ihr im Sommer an den Strand? Wenn ja, wo?
LL An der Ostsee liegt der Ort Neringa, eine schmale Insel, ein Naturreservat, das man nur mit der Fähre, einem Boot oder über Kaliningrad erreicht. Es ist dort immer ausreichend Platz, um das Gefühl zu haben, dass einem das alles ganz allein gehört.
RB Der interessanteste Strand für mich befindet sich in der Nähe der litauischen Kleinstadt Šventoji. Es ist einer der architektonisch am wildesten zusammengewürfelten Orte, an denen ich je war, und ein Platz, um Menschen zu studieren.
VG Ich bin am liebsten in der Zeit von morgens bis mittags am Strand, bevor die Sonne zu brennen anfängt, oder abends, wenn das Licht weich wird. Es liegt vielleicht an meinen nordischen Genen, dass ich Hitze nicht so gut vertrage. Mein Lieblingsstrand ist in Lettland in einem ehemaligen Fischerdorf. Glücklicherweise habe ich Freunde, die mich dort jeden Sommer im Holzhaus ihrer Großeltern beherbergen.
Haltet Ihr das Sonnenbaden für etwas Dekadentes?
LL Alle brauchen die Sonne. Sie ist Energie, Vitamin D.
RB Viele Tieren nehmen ein Sonnenbad – Löwen, Affen, Tauben, Katzen, Robben. Der einzige Unterschied ist, dass Menschen die Sonne in ungesunden Dosen „konsumieren“ und ein ästhetisches Interesse an der eigenen Sonnenbräune haben.
VG Ich halte das Sonnenbad für eine Art archaisches oder primitives Ritual. Das ist doch komisch: Menschliche Körper reisen im Urlaub an den Strand, um sich in horizontaler Position der Sonne auszusetzen. Diese Vitamin-D-Zeremonie muss doch etwas mit Photosynthese zu tun haben. Der Homo sapiens erscheint als Pflanze, Wanze oder Reptil – wie jeder andere von der Sonne abhängige Organismus.
Was genau ist Euer Thema in SUN AND SEA?
VG Die Lust, den Planeten zu konsumieren, die Endlichkeit unserer eigenen Körper, Klimawandel und Umweltverschmutzung, die tägliche Nichtigkeit, das Zusammenspiel von Genuss und kleiner Apokalypse.
RB Man kann das Strandthema auf die globale Ebene heben: Wir könnten bald dort sonnenbaden, wo heute noch Eisbären leben.
LL Mich interessiert Körperpolitik; auch die Erde ist ein Körper. Wenn man einen Körper nicht als Wesen, sondern nur als Oberfläche wahrnimmt, lässt man seinen Plastikmüll überall liegen und verseucht das Grundwasser. SUN AND SEA ist keine Kritik, sondern ein Blick auf unseren Wunsch nach Wohlbefinden mit einer Spur Ironie. Wir gehören ja alle zu diesem Kreis dazu, besonders in den westlichen Gesellschaften.
Wie kamt Ihr auf die Idee zu diesem Stück?
VG Anfangs war es nur ein Bild: Leute liegen in Badekleidung am Strand und werden von oben beobachtet. Rugilė kam damit an, nachdem sie das Guggenheim Museum in New York besucht hatte, als wir dort mit unserer ersten gemeinsamen Arbeit HAVE A GOOD DAY! gastierten. Es hat dann vier Jahre gedauert, gemeinsam das Konzept für SUN AND SEA zu entwickeln.
RB Bei mir haben sich da persönliche (Strand-)Erfahrungen und eine architektonische Inspiration zur Möglichkeit vermischt, einen künstlichen Strand aus einer „nicht-menschlichen“ Perspektive zu erforschen. Allgemein gesagt schauen wir auf passive in der Sonne bratende Körper und ihre persönlichen Geschichten, die das Ökosystem im Zeitalter des Menschen beleuchten. Die Botschaft von der Unvermeidbarkeit des Konsums in unserer ersten Oper kehrt jetzt im ökologischen Thema wieder. Warum Oper? Weil die Musik hilft, Gefühle zu bündeln, auch ernsten Themen den Moment der Unterhaltung hinzufügt und hilft, den Text zu verstehen.
Eure erste Oper HAVE A GOOD DAY! handelt von zehn Frauen, die an der Supermarktkasse sitzen. Was interessiert Euch daran, Stücke über Menschen in Alltagssituation zu machen?
RB Über Alltagssituationen können wir alle nachdenken, und gleichzeitig sind sie Teil einer globalen Situation. Der Monolog einer Kassiererin, die über ihre Doktorarbeit nachdenkt, kann mehr über die Landespolitik erzählen als ein Interview mit dem Präsidenten.
VG Unsere Herangehensweise ermöglicht es, die Paradoxien des täglichen Lebens zu entdecken, kleine surreale Untertöne zu schaffen, indem wir mit dem spielen, was umgangssprachlich und poetisch oder philosophisch ist. Es ist eine künstlerische Herausforderung, sich ein möglichst gewöhnliches Bild oder Thema zu wählen und gleichzeitig damit über „größere“ Themen zu sprechen – als würde man ein Detail im Mikrokosmos auf ein Gemälde des Makrokosmos hochzoomen. Die Erzählungen aus dem Mikrokosmos der Kassiererinnen führen zur größeren Geschichte im Universum des Kapitalismus.
Ist Musiktheater in Litauen heute populär?
LL Das Singen hat einen großen Anteil an der litauischen Kultur. Viele aus meiner Generation wuchsen mit der Tradition auf, dass man bei größeren Zusammenkünften und Festen singend um einen Tisch herum sitzt. Und viele kennen die traditionellen Lieder. Aber ich würde nicht behaupten, dass zeitgenössisches Musiktheater besonders populär ist. Dafür haben die traditionelle Oper und das Erzähltheater in Litauen tiefe Wurzeln.
RB Aber unsere Herangehensweise ist ja keine traditionelle.
VG Ich denke schon, dass Musiktheater auf eine gewisse Art und Weise populär ist, dank einiger freier Theatergruppen und Initiativen, die es vor ein paar Jahren gab und die junge Künstler*innen ermutigt haben, ihre unterschiedlichen Talente zusammen zu bringen und nach neuen künstlerischen Formen zu suchen.
LL Vor ca. zehn Jahren gab es eine Gruppe junger Komponist*innen und Produzent*innen, die gemeinsam neue Arbeiten produzierten. Sie nannten sich New Opera Action. Inzwischen ist es ein Festival, das auch international Produktionen von Newcomern wie etablierten Künstler*innen einlädt. Ich glaube, sie hatten und haben immer noch einen großen Einfluss auf die alternative Musiktheaterszene in Litauen.
LL An der Ostsee liegt der Ort Neringa, eine schmale Insel, ein Naturreservat, das man nur mit der Fähre, einem Boot oder über Kaliningrad erreicht. Es ist dort immer ausreichend Platz, um das Gefühl zu haben, dass einem das alles ganz allein gehört.
RB Der interessanteste Strand für mich befindet sich in der Nähe der litauischen Kleinstadt Šventoji. Es ist einer der architektonisch am wildesten zusammengewürfelten Orte, an denen ich je war, und ein Platz, um Menschen zu studieren.
VG Ich bin am liebsten in der Zeit von morgens bis mittags am Strand, bevor die Sonne zu brennen anfängt, oder abends, wenn das Licht weich wird. Es liegt vielleicht an meinen nordischen Genen, dass ich Hitze nicht so gut vertrage. Mein Lieblingsstrand ist in Lettland in einem ehemaligen Fischerdorf. Glücklicherweise habe ich Freunde, die mich dort jeden Sommer im Holzhaus ihrer Großeltern beherbergen.
Haltet Ihr das Sonnenbaden für etwas Dekadentes?
LL Alle brauchen die Sonne. Sie ist Energie, Vitamin D.
RB Viele Tieren nehmen ein Sonnenbad – Löwen, Affen, Tauben, Katzen, Robben. Der einzige Unterschied ist, dass Menschen die Sonne in ungesunden Dosen „konsumieren“ und ein ästhetisches Interesse an der eigenen Sonnenbräune haben.
VG Ich halte das Sonnenbad für eine Art archaisches oder primitives Ritual. Das ist doch komisch: Menschliche Körper reisen im Urlaub an den Strand, um sich in horizontaler Position der Sonne auszusetzen. Diese Vitamin-D-Zeremonie muss doch etwas mit Photosynthese zu tun haben. Der Homo sapiens erscheint als Pflanze, Wanze oder Reptil – wie jeder andere von der Sonne abhängige Organismus.
Was genau ist Euer Thema in SUN AND SEA?
VG Die Lust, den Planeten zu konsumieren, die Endlichkeit unserer eigenen Körper, Klimawandel und Umweltverschmutzung, die tägliche Nichtigkeit, das Zusammenspiel von Genuss und kleiner Apokalypse.
RB Man kann das Strandthema auf die globale Ebene heben: Wir könnten bald dort sonnenbaden, wo heute noch Eisbären leben.
LL Mich interessiert Körperpolitik; auch die Erde ist ein Körper. Wenn man einen Körper nicht als Wesen, sondern nur als Oberfläche wahrnimmt, lässt man seinen Plastikmüll überall liegen und verseucht das Grundwasser. SUN AND SEA ist keine Kritik, sondern ein Blick auf unseren Wunsch nach Wohlbefinden mit einer Spur Ironie. Wir gehören ja alle zu diesem Kreis dazu, besonders in den westlichen Gesellschaften.
Wie kamt Ihr auf die Idee zu diesem Stück?
VG Anfangs war es nur ein Bild: Leute liegen in Badekleidung am Strand und werden von oben beobachtet. Rugilė kam damit an, nachdem sie das Guggenheim Museum in New York besucht hatte, als wir dort mit unserer ersten gemeinsamen Arbeit HAVE A GOOD DAY! gastierten. Es hat dann vier Jahre gedauert, gemeinsam das Konzept für SUN AND SEA zu entwickeln.
RB Bei mir haben sich da persönliche (Strand-)Erfahrungen und eine architektonische Inspiration zur Möglichkeit vermischt, einen künstlichen Strand aus einer „nicht-menschlichen“ Perspektive zu erforschen. Allgemein gesagt schauen wir auf passive in der Sonne bratende Körper und ihre persönlichen Geschichten, die das Ökosystem im Zeitalter des Menschen beleuchten. Die Botschaft von der Unvermeidbarkeit des Konsums in unserer ersten Oper kehrt jetzt im ökologischen Thema wieder. Warum Oper? Weil die Musik hilft, Gefühle zu bündeln, auch ernsten Themen den Moment der Unterhaltung hinzufügt und hilft, den Text zu verstehen.
Eure erste Oper HAVE A GOOD DAY! handelt von zehn Frauen, die an der Supermarktkasse sitzen. Was interessiert Euch daran, Stücke über Menschen in Alltagssituation zu machen?
RB Über Alltagssituationen können wir alle nachdenken, und gleichzeitig sind sie Teil einer globalen Situation. Der Monolog einer Kassiererin, die über ihre Doktorarbeit nachdenkt, kann mehr über die Landespolitik erzählen als ein Interview mit dem Präsidenten.
VG Unsere Herangehensweise ermöglicht es, die Paradoxien des täglichen Lebens zu entdecken, kleine surreale Untertöne zu schaffen, indem wir mit dem spielen, was umgangssprachlich und poetisch oder philosophisch ist. Es ist eine künstlerische Herausforderung, sich ein möglichst gewöhnliches Bild oder Thema zu wählen und gleichzeitig damit über „größere“ Themen zu sprechen – als würde man ein Detail im Mikrokosmos auf ein Gemälde des Makrokosmos hochzoomen. Die Erzählungen aus dem Mikrokosmos der Kassiererinnen führen zur größeren Geschichte im Universum des Kapitalismus.
Ist Musiktheater in Litauen heute populär?
LL Das Singen hat einen großen Anteil an der litauischen Kultur. Viele aus meiner Generation wuchsen mit der Tradition auf, dass man bei größeren Zusammenkünften und Festen singend um einen Tisch herum sitzt. Und viele kennen die traditionellen Lieder. Aber ich würde nicht behaupten, dass zeitgenössisches Musiktheater besonders populär ist. Dafür haben die traditionelle Oper und das Erzähltheater in Litauen tiefe Wurzeln.
RB Aber unsere Herangehensweise ist ja keine traditionelle.
VG Ich denke schon, dass Musiktheater auf eine gewisse Art und Weise populär ist, dank einiger freier Theatergruppen und Initiativen, die es vor ein paar Jahren gab und die junge Künstler*innen ermutigt haben, ihre unterschiedlichen Talente zusammen zu bringen und nach neuen künstlerischen Formen zu suchen.
LL Vor ca. zehn Jahren gab es eine Gruppe junger Komponist*innen und Produzent*innen, die gemeinsam neue Arbeiten produzierten. Sie nannten sich New Opera Action. Inzwischen ist es ein Festival, das auch international Produktionen von Newcomern wie etablierten Künstler*innen einlädt. Ich glaube, sie hatten und haben immer noch einen großen Einfluss auf die alternative Musiktheaterszene in Litauen.
Wie arbeitet und lebt Ihr als Künstlerinnen in Litauen?
RB Wenn man Litauen mit Westeuropa vergleicht, haben wir in mancherlei Hinsicht mehr Einschränkungen und andererseits mehr Freiheiten.
VG Ich habe meinen Job als Chefredakteurin vor drei Jahren aufgegeben und angefangen, als freischaffende Autorin zu arbeiten. Bis jetzt geht es mir damit gut: Ich arbeite in verschiedenen künstlerischen Konstellationen ebenso wie allein, bin mit unserem Team unterwegs, habe Künstlerresidenzen, die mich mit neuen Zusammenhängen, Arbeitsmöglichkeiten und der Begegnung mit interessanten Leuten versorgen.
LL Ich pendele zwischen Vilnius und London. Aber Vilnius ist so viel unkomplizierter als viele andere Orte. Die Mieten sind günstig, die Menschen lassen sich mehr von ihrer Leidenschaft und ihrem Enthusiasmus leiten, es gibt viel Energie und neue Initiativen. Ich kann schwer sagen, wie es wäre, wenn ich nur in Vilnius arbeiten würde. Meine Projekte finden überall in Europa statt, und Vilnius ist eine angenehme Basis.
Wie arbeitet Ihr als Trio?
RB Jede von uns hat ihre Solokarriere, ihren Bereich, in dem sie komplett allein arbeitet. Aber wenn wir zusammen kommen, verlieren wir unsere Autonomie. Jede von uns bringt eine bestimmte Fähigkeit in unsere Konstellation ein, und doch beeinflussen wir alle drei die Dramaturgie, die Musik und die Inszenierung. In unserem Fall funktioniert das Fehlen einer Hierarchie, weil wir alle in dieselbe Richtung schauen.
LL Wir haben viel Respekt für- und Vertrauen ineinander. Der Arbeitsprozess erfordert oft, dass man die Arbeit der anderen auseinandernimmt und aufrichtig kritisiert. Das ist kein einfacher Prozess, aber die Kombination von drei verschiedenen Arbeitsmethoden und Ansichten bringt etwas Besonderes hervor. Wir müssen beständig unsere eigenen Ambitionen neu entdecken und uns auf das konzentrieren, was die gemeinsame Arbeit oder das Projekt
verlangt – auch wenn das manchmal bedeutet, dass man gegenüber den eigenen Vorstellungen Kompromisse eingeht.
VG Wir sind wie ein dreiköpfiger Drache. Wir mischen uns untereinander viel ein, denken gemeinsam über das Konzept nach, machen die Castings, kämpfen für Melodien, die Lina komponiert, oder arbeiten an der Dramaturgie der Texte, die ich schreibe. Es kostet viel Zeit, zu einem Ergebnis zu kommen, das uns alle glücklich macht. Diese Arbeitsweise ist eine Herausforderung, manchmal ermüdend und absolut zauberhaft.
Würdet Ihr sagen, dass Eure Arbeit von einem feministischen Standpunkt geprägt ist?
LL Oder von einem menschlichen Standpunkt? HAVE A GOOD DAY! war auf weibliche Themen ausgerichtet, aber nur, weil zu dem Zeitpunkt, als wir daran arbeiteten, man in Litauen kaum Männer gefunden hätte, die als Kassierer gearbeitet haben. Das ist heute ganz anders. Ebenso bei SUN AND SEA. Körperpolitiken betreffen meist den weiblichen Körper, und die Erde wird als „Mutter Erde“ bezeichnet. Wenn gemeinschaftliches Denken und die Abschaffung von Hierarchien eine weibliche Herangehensweise ist, dann würde ich sagen, ja, wir versuchen, diesen Weg zu gehen.
VG Ich mag es nicht, als weibliche Autorin definiert zu werden, weil ich Frauen und Männer von ihren Fähigkeiten her und als Künstler*innen als gleich ansehe.
RB Ich mag es auch nicht, meinen Standpunkt auf den einer Gruppe zu verengen, auch nicht den der feministischen.
Was habt Ihr studiert?
RB Ich habe einen Bachelor in Kameraführung und nach zwei Jahren parallel noch einen Bachelor in Theaterregie absolviert. Später habe ich meinen Master in Dokumentarfilm an der Goldsmith’s Universität in London gemacht. Theater, als zwangsläufig künstliches Genre, und das kreative dokumentarische Kino, als potenziell realistische und doch gleichzeitig so sehr technikabhängige Form, sind zwei getrennt voneinander fahrende Züge, und ich springe beständig von einem zum anderen.
VG Ich habe Theatergeschichte und -kritik studiert und bin für ein Jahr nach China gegangen – offiziell, um dort Chinesisch zu studieren, aber es ging mehr um meine persönlichen anthropologischen Recherchen. Ich glaube, als Autorin bin ich durch meine Biografie geprägt, durch Persönlichkeiten, denen ich begegnet bin, und durch Musik, Filme, Bücher, Reisen ...
LL Meinen ersten Bachelor habe ich in klassischer Violine in Litauen gemacht, dann habe ich in London Sound Art studiert. Später kam ein Master in Bildhauerei am Royal College of Art in London dazu. Für mich ist Musik eine visuelle Kunst. Mich interessiert nicht nur das, was man hören kann, auch wenn ich manchmal als Komponistin bezeichnet werde.
Sollte Kunst für Euch sozial relevant sein?
VG Nicht unbedingt. Künstler*innen nutzen soziale Themen manchmal auf sehr spekulative Art und Weise. Wenn jemand etwas über den Klimawandel oder die Flüchtlingskrise macht, ist es deswegen nicht schon ein gutes Kunstwerk. Ich würde sagen, es ist weniger wichtig, worüber man spricht als wie man über etwas spricht.
RB Wenn Du fragst, ob ich mit meiner oder unserer Arbeit gern sozial relevant wäre, dann sage ich ja, natürlicherweise ergibt es sich so, aber es hat immer eine konzeptionelle Form.
LL Es gibt nichts, was Kunst tun soll oder nicht tun soll. Und es gibt keine Formel für gute Kunst – sie findet statt oder eben nicht. Aber gute Kunst kann viel bewegen.
Fragen und Übersetzung aus dem Englischen von Charlotte Orti von Havranek
RB Wenn man Litauen mit Westeuropa vergleicht, haben wir in mancherlei Hinsicht mehr Einschränkungen und andererseits mehr Freiheiten.
VG Ich habe meinen Job als Chefredakteurin vor drei Jahren aufgegeben und angefangen, als freischaffende Autorin zu arbeiten. Bis jetzt geht es mir damit gut: Ich arbeite in verschiedenen künstlerischen Konstellationen ebenso wie allein, bin mit unserem Team unterwegs, habe Künstlerresidenzen, die mich mit neuen Zusammenhängen, Arbeitsmöglichkeiten und der Begegnung mit interessanten Leuten versorgen.
LL Ich pendele zwischen Vilnius und London. Aber Vilnius ist so viel unkomplizierter als viele andere Orte. Die Mieten sind günstig, die Menschen lassen sich mehr von ihrer Leidenschaft und ihrem Enthusiasmus leiten, es gibt viel Energie und neue Initiativen. Ich kann schwer sagen, wie es wäre, wenn ich nur in Vilnius arbeiten würde. Meine Projekte finden überall in Europa statt, und Vilnius ist eine angenehme Basis.
Wie arbeitet Ihr als Trio?
RB Jede von uns hat ihre Solokarriere, ihren Bereich, in dem sie komplett allein arbeitet. Aber wenn wir zusammen kommen, verlieren wir unsere Autonomie. Jede von uns bringt eine bestimmte Fähigkeit in unsere Konstellation ein, und doch beeinflussen wir alle drei die Dramaturgie, die Musik und die Inszenierung. In unserem Fall funktioniert das Fehlen einer Hierarchie, weil wir alle in dieselbe Richtung schauen.
LL Wir haben viel Respekt für- und Vertrauen ineinander. Der Arbeitsprozess erfordert oft, dass man die Arbeit der anderen auseinandernimmt und aufrichtig kritisiert. Das ist kein einfacher Prozess, aber die Kombination von drei verschiedenen Arbeitsmethoden und Ansichten bringt etwas Besonderes hervor. Wir müssen beständig unsere eigenen Ambitionen neu entdecken und uns auf das konzentrieren, was die gemeinsame Arbeit oder das Projekt
verlangt – auch wenn das manchmal bedeutet, dass man gegenüber den eigenen Vorstellungen Kompromisse eingeht.
VG Wir sind wie ein dreiköpfiger Drache. Wir mischen uns untereinander viel ein, denken gemeinsam über das Konzept nach, machen die Castings, kämpfen für Melodien, die Lina komponiert, oder arbeiten an der Dramaturgie der Texte, die ich schreibe. Es kostet viel Zeit, zu einem Ergebnis zu kommen, das uns alle glücklich macht. Diese Arbeitsweise ist eine Herausforderung, manchmal ermüdend und absolut zauberhaft.
Würdet Ihr sagen, dass Eure Arbeit von einem feministischen Standpunkt geprägt ist?
LL Oder von einem menschlichen Standpunkt? HAVE A GOOD DAY! war auf weibliche Themen ausgerichtet, aber nur, weil zu dem Zeitpunkt, als wir daran arbeiteten, man in Litauen kaum Männer gefunden hätte, die als Kassierer gearbeitet haben. Das ist heute ganz anders. Ebenso bei SUN AND SEA. Körperpolitiken betreffen meist den weiblichen Körper, und die Erde wird als „Mutter Erde“ bezeichnet. Wenn gemeinschaftliches Denken und die Abschaffung von Hierarchien eine weibliche Herangehensweise ist, dann würde ich sagen, ja, wir versuchen, diesen Weg zu gehen.
VG Ich mag es nicht, als weibliche Autorin definiert zu werden, weil ich Frauen und Männer von ihren Fähigkeiten her und als Künstler*innen als gleich ansehe.
RB Ich mag es auch nicht, meinen Standpunkt auf den einer Gruppe zu verengen, auch nicht den der feministischen.
Was habt Ihr studiert?
RB Ich habe einen Bachelor in Kameraführung und nach zwei Jahren parallel noch einen Bachelor in Theaterregie absolviert. Später habe ich meinen Master in Dokumentarfilm an der Goldsmith’s Universität in London gemacht. Theater, als zwangsläufig künstliches Genre, und das kreative dokumentarische Kino, als potenziell realistische und doch gleichzeitig so sehr technikabhängige Form, sind zwei getrennt voneinander fahrende Züge, und ich springe beständig von einem zum anderen.
VG Ich habe Theatergeschichte und -kritik studiert und bin für ein Jahr nach China gegangen – offiziell, um dort Chinesisch zu studieren, aber es ging mehr um meine persönlichen anthropologischen Recherchen. Ich glaube, als Autorin bin ich durch meine Biografie geprägt, durch Persönlichkeiten, denen ich begegnet bin, und durch Musik, Filme, Bücher, Reisen ...
LL Meinen ersten Bachelor habe ich in klassischer Violine in Litauen gemacht, dann habe ich in London Sound Art studiert. Später kam ein Master in Bildhauerei am Royal College of Art in London dazu. Für mich ist Musik eine visuelle Kunst. Mich interessiert nicht nur das, was man hören kann, auch wenn ich manchmal als Komponistin bezeichnet werde.
Sollte Kunst für Euch sozial relevant sein?
VG Nicht unbedingt. Künstler*innen nutzen soziale Themen manchmal auf sehr spekulative Art und Weise. Wenn jemand etwas über den Klimawandel oder die Flüchtlingskrise macht, ist es deswegen nicht schon ein gutes Kunstwerk. Ich würde sagen, es ist weniger wichtig, worüber man spricht als wie man über etwas spricht.
RB Wenn Du fragst, ob ich mit meiner oder unserer Arbeit gern sozial relevant wäre, dann sage ich ja, natürlicherweise ergibt es sich so, aber es hat immer eine konzeptionelle Form.
LL Es gibt nichts, was Kunst tun soll oder nicht tun soll. Und es gibt keine Formel für gute Kunst – sie findet statt oder eben nicht. Aber gute Kunst kann viel bewegen.
Fragen und Übersetzung aus dem Englischen von Charlotte Orti von Havranek
Grainytės Libretto (von Claudia Sinnig aus dem Litauischen übertragen) findet die Poesie auf der Sonnencrème-Flasche und verhilft Wortungetümen wie ‚Magnesiummangel‘ und ‚Rohkosternährung‘ zu ihrem Operndebüt, Lina Lapelytė hat dazu eine hypnotische Musik komponiert, die sich im Wechselspiel aus emphatischem Gesang, formal strengen Rezitativen und Chor-Abschnitten konsequent zur Operntradition bekennt, aber zugleich einem spröden Gassenhauer nicht abgeneigt ist.
Ein geistreiches Zeitstück, vollkommen schlüssig im Konzept und sehr stark im Vortrag – (Strand-)Hut ab!“
So ungewöhnlich die Form, so ungewöhnlich der Aufführungsort: ‚Gespielt‘ wird im Ballsaal am Restaurant Delizia, gegenüber von Parkhotel und Blauem Salon gelegen. Unten ist der Strand, der Zuschauer steht oder sitzt oben auf der Galerie und blickt auf rund 20 Sonnenbadende herab.
Obwohl es keine Handlung, keinen Spannungsbogen gibt, wird es nie langweilig. Es kostet zwar Mühe, in die Inszenierung hineinzufinden, dann aber entwickelt sie ungeahnten Sog: Der Zuschauer ist aktiv gefordert, blickt ständig umher, entdeckt immer neue Details – als läge er selbst am Strand. Das Stück hat keinen Anfang, kein Ende. Nach 70 unterhaltsamen Minuten könnte es ewig weitergehen. Ein cleveres, (sonnen-)strahlendes Kleinod.“
Sonnen- und theaterhungrige Zweifler sollten sich selbst überzeugen. Allein die Theateridee lohnt einen Besuch und lässt auf theatralische Fortsetzungen hoffen.“