Uraufführung 12.09.2014 › Schauspielhaus

Schöne neue Welt

nach dem Roman von Aldous Huxley
Theaterfassung und Übersetzung von Robert Koall
Auf dem Bild: Nadine Quittner, Ines Marie Westernströer, André Kaczmarczyk, Christian Clauß, Tobias Krüger, Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Sonja Beißwenger, Benjamin Pauquet
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Benjamin Pauquet, Tobias Krüger, Sonja Beißwenger, Ines Marie Westernströer
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Benjamin Pauquet, Tobias Krüger, Ines Marie Westernströer, Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Rosa Enskat
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Keith O'Brien, Ben Daniel Jöhnk, Ines Marie Westernströer, Nadine Quittner, Sonja Beißwenger, Tobias Krüger, Christian Clauß
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Benjamin Pauquet, Ines Marie Westernströer, Nadine Quittner, Christian Clauß, Tobias Krüger, Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Nadine Quittner, André Kaczmarczyk, Rosa Enskat, Ben Daniel Jöhnk, Sonja Beißwenger, Tobias Krüger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Tobias Krüger, Nadine Quittner, Ben Daniel Jöhnk
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Tobias Krüger, Sonja Beißwenger, Nadine Quittner
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Sonja Beißwenger, André Kaczmarczyk
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Christian Clauß, Nadine Quittner, André Kaczmarczyk, Tobias Krüger
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Auf dem Bild: Christian Clauß
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Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, André Kaczmarczyk, Sonja Beißwenger
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Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, André Kaczmarczyk, Sonja Beißwenger
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Sonja Beißwenger, Ines Marie Westernströer
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Benjamin Pauquet
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Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Nadine Quittner, Benjamin Pauquet, Tobias Krüger
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Auf dem Bild: Ines Marie Westernströer, Keith O'Brien, Nadine Quittner, Rosa Enskat, Benjamin Pauquet, Ben Daniel Jöhnk, Tobias Krüger, Sonja Beißwenger, André Kaczmarczyk
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Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Nadine Quittner, Tobias Krüger, Sonja Beißwenger
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Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Rosa Enskat, André Kaczmarczyk, Benjamin Pauquet
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Auf dem Bild: Rosa Enskat, André Kaczmarczyk
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Sonja Beißwenger, André Kaczmarczyk
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Auf dem Bild: Benjamin Pauquet, André Kaczmarczyk, Ben Daniel Jöhnk, Keith O'Brien
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Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann, André Kaczmarczyk
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Auf dem Bild: Christian Erdmann, André Kaczmarczyk
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann, André Kaczmarczyk
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Sonja Beißwenger, André Kaczmarczyk
Foto: David Baltzer

Handlung

Als Aldous Huxley 1932 seine düstere, utopische und durchaus auch satirische Vision einer zukünftigen Gesellschaft schrieb, hatten die größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts noch nicht stattgefunden. Doch mit dem Gespür des Schriftstellers für die kommenden Dinge entspann er eine Geschichte, die davon handelt, wie eine Weltgesellschaft sich an den Rand des Abgrunds bringt – und aus den Trümmern eine neue Ordnung schafft. Doch eben diese Ordnung – die schöne neue Welt – ist bei Huxley kein besserer Entwurf, sondern ein neuer Ausbund an Irrsinn. Huxley zeigt uns eine Welt, die den Giga-Kapitalismus pflegt. Bei ihm hat sich das Primat der Wirtschaftlichkeit und der Verwertbarkeit, der Nützlichkeit zur alles beherrschenden Maxime fortentwickelt. Selbst die ersten und letzten Dinge werden unsentimental nach ihrem Nutzen und Zweck behandelt: Menschen werden industriell gezeugt, durchleben ein Arbeitsleben und werden mit 60 in die „Letalkammer“ geschickt (wobei man die organischen Materialien recycelt). Der freie Wille ist abgeschafft, die Gesellschaft auf einem ständigen, staatlich verordneten Drogentrip, Krankheit und Unglück gelten als überkommen. Kunst und Kultur sind überwunden – man schaut stattdessen Fühlfilme. In diese Welt hinein stolpert John, ein Wilder, wie es heißt. Huxley stellt ihn uns als Figur im Geiste Parzivals vor; ein Fremder, Neugieriger, der sein Glück sucht in einer Welt, die er nicht kennt, die ihm aber vieles verheißt. Mit Johns Augen erleben wir die schöne neue Welt und durchmessen die Abgründe, die in ihr lauern, lernen ihre Verführungen kennen und das wahre Gefüge und Geheimnis ihrer Macht.

Besetzung

Regie
Roger Vontobel
Kostüme
Musik
Keith O'Brien
Licht
Michael Gööck
Dramaturgie
Robert Koall
Bernard Marx
Benjamin Pauquet
Helmholtz Watson
Ben Daniel Jöhnk
Lenina Crowne
Sonja Beißwenger
John
André Kaczmarczyk
Linda
Rosa Enskat
Mustapha Mond
Christian Erdmann
Henry Foster u. a.
Christian Clauß
Fanny u. a.
Ines Marie Westernströer
sowie
Alexandra Weis, Jannik Hinsch
Musiker
Keith O'Brien

Video

Huxleys Herzkatheter

Wie die „schöne neue Welt“ die Gesundheitsindustrie erschaffen hat

von Heribert Prantl
Im Jahr 2050 werden in Europa mehr als 70 Millionen Menschen über achtzig Jahre alt sein. Aldous Huxley hat die Probleme, die sich daraus ergeben, mechanistisch gelöst: Die Alten werden in Spezialkliniken abgeschaltet. Das ist die schöne neue Welt.
Die schöne alte Welt: Es war in der Zeit, in der die Zahnärzte noch Dentisten hießen und sich noch nicht jeder Deutsche die dritten Zähne leisten konnte. Wenn meine Tanten damals der Großmutter ihre neugeborenen Enkelkinder präsentierten, dachte die alte Frau anschließend über eine anthropobiologische Frage nach: Wie es denn komme, so sinnierte sie, dass man gemeinhin die kleinen Kinder ohne Zähne als possierlich, die zahnlosen Alten aber als hässlich betrachte? Die Zahnlosigkeit der Alten akzeptierte sie unter Bezugnahme auf das Bibelwort „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich eingehen“ als eschatologische Notwendigkeit; und so war, theologisch höchst fragwürdig, aber für meine Großmutter sehr befriedigend, der körperliche Verfall erklärt und eingebettet in die Volksfrömmigkeit. Großmutter ist, nach einem Leben in der Großfamilie, 1962 gestorben. Sie war 77.
Seitdem sind bekanntlich immer mehr Menschen immer älter geworden. Die Rückentwicklung alter Menschen zum Säugling (meist ohne dessen Zufriedenheit) hat es immer gegeben, aber nie in dieser Zahl und für so viele Jahre. Das gilt der Gesellschaft offenbar als eine natürliche Schuld, die Sanktionen nach sich ziehen muss, welche in Alten- und Pflegeheimen vollzogen werden. Die Pflege der Alten erinnert oft weniger an Pflege als vielmehr an Strafe. Die Erklärung der bisweilen grausigen Zustände, die in viel zu vielen dieser Alten- und Pflegeheime herrschen, gelingt nur einem solchen Zynismus, der das Fesseln an Bett und Stuhl, Fixierung genannt, als Bestrafung der Alten dafür betrachtet, dass sie so lange leben. Aus dieser zynischen Sicht wird das Windeln der alten Menschen, auch wenn sie noch selbst zur Toilette gehen könnten, zu einem Akt der Generalprävention; das Hungern- und Durstenlassen wird zu einem Akt der Spezialprävention; und das Foto von der alten Frau, die nackt auf einem Toilettenstuhl sitzt, das Essen vor sich auf dem hochgeklappten Tischchen, wird zu einem Werbeplakat für die Sterbehilfe. Solche organisierte Entwürdigung der Alten ist nicht die Regel, aber auch nicht die Ausnahme. Das ist die schöne neue Welt.
Weil Deutschland so versiert im Exportieren ist, schafft es sich dadurch auch Probleme vom Hals: Müll wird exportiert. Atommüll, alte Arzneimittel, Batterien und Essensreste landen, legal oder illegal, dort, wo die Entsorgung billiger ist als in Deutschland. Grenzüberschreitende Abfallverbringung nennt man das. Export ist ein Denk-, Handlungs-, und Lösungsprinzip. So kommt es wohl, dass nun auch pflegebedürftige Menschen exportiert werden sollen. Man kann das grenzüberschreitende Altenverbringung nennen. Pflegeheime in Thailand, Spanien und Osteuropa sind billiger als deutsche. Kranken- und Pflegekassen zeigen sich daher interessiert am Greisenexport. Es wird allen Ernstes über den Oma- und Opa-Export nachgedacht.

Wie groß oder klein ist da noch der Schritt zu Huxleys Welt? Er hat die Ökonomisierung der Daseinsvorsorge und Daseinsbeendigung und die Probleme mit den Alten radikal zu Ende gedacht – zu Ende im Wortsinn. Die schöne neue Welt bei Huxley zeigt sich auch darin, wie alt gewordene Menschen in Kliniken entsorgt werden. Sie werden ausgeschaltet und abgewrackt wie alte, verrostete Maschinen. Kinder werden regelmäßig in diese Entsorgungskliniken geführt und dort mit Schokolade gefüttert, damit sie sich an den Vorgang des Abschaltens gewöhnen und für sich akzeptieren lernen, dass Leben technisch produziert und technisch beendet wird. Bei Huxley, in der schönen neuen Welt, wird das Leben als Produkt betrachtet, das der Kontrolle, der Überprüfung, der Herstellung und der Entsorgung bedarf. Ist das die Gesellschaft, in der man leben will?
In der Medizin, die zur Gesundheitsindustrie geworden ist, ist Huxleys Welt partiell Realität. Das Krankenhaus ist aus dieser Warte keine soziale, sondern eine mechanistische Einrichtung – ein Pendant zur Kfz-Werkstatt. Da werden Teile ausgewechselt, da wird lackiert und repariert, solange es sich rentiert und rechnet. Der Mensch ist zum Kostenfaktor geworden. Dreißigjährige Bubis der Betriebswirtschaft, auf deren Laptops es kein Programm für „soziales Kapital“ gibt, bestimmen über Wohl und Wehe. Ökonomisiert und rationalisiert wurden und werden von ihnen nicht nur Wirtschaftsbetriebe, sondern auch Universitäten, Kinderläden, Schwimmbäder, Bibliotheken, Theater – und Krankenhäuser, auch psychiatrische Kliniken, auch Alten- und Pflegeheime.
Die Ökonomisierung ergreift auch das ärztliche Handeln und Denken. Und Ökonomisierung meint dabei nicht einfach Wirtschaftlichkeit, das wäre ja in Ordnung, sondern ein neues Denkprinzip und ein neues Menschenbild. Ein radikaler Ökonomismus glaubt ja, er könne auch noch aus einem Gefängnis ein Profit-Center machen. Er glaubt, dass die Summe der rationalisierten Betriebe sich zu einem wunderbaren Standort und zum Wohlstand des Gemeinwesens fügt. Es ist dies wohl ein Midas-Glaube. Midas ist das Urbild des Rationalisierers.
Midas, der König von Phrygien, wollte bekanntlich alles zu Gold machen und wäre daran fast zugrunde gegangen. Er hatte sich, so geht die Sage, von Dionysos gewünscht, dass alles, was er berühre, zu Gold werde. Als Midas auf dem Heimweg einen Zweig streifte, einen Stein in die Hand nahm, Ähren pflückte, wurden Zweig, Stein und Ähren zu reinem Gold. Dasselbe geschah mit dem Brot, wenn er sich an den gedeckten Tisch setzte. Auch die Getränke und das mit Wein vermischte Wasser, das er sich in den Hals goss, wurden zu Gold. Midas lief Gefahr, vor Hunger und Durst zu sterben, sodass er schließlich Dionysos bat, ihn von dieser verhängnisvollen Gabe zu befreien. Der Gott erlöste Midas durch ein Bad in einer Quelle, die seither Goldsand führt.
Unsere Gesellschaft braucht solche befreienden Bäder. Sie berauscht sich daran, alles zu Gold zu machen. Dabei fehlt die Erkenntnis, die Midas gerade noch rechtzeitig hatte. Diese Erkenntnis lautet: Man kann am eigenen Erfolg auch krepieren. Der Unterschied zwischen Midas und dem radikalen Ökonomismus ist allerdings der, dass an der Sucht des letzteren erst einmal die anderen krepieren – die eingesparten Arbeitskräfte, die Freigesetzten, die Entlassenen, die nutzlos Gemachten. Später leiden dann womöglich auch diejenigen, die man Kunden nennt. Neuerdings nennt man auch in den Krankenhäusern die Patienten immer öfter Kunden.
Werden die Ärzte dem Druck standhalten, der durch ein kommerzialisiertes Gesundheitssystem auf sie ausgeübt wird? Dieser Druck ist erfinderisch. In zahlreichen privaten Krankenhäusern werden sogenannte Chefarzt-Boni-Verträge abgeschlossen, wie wir sie aus der Finanz- und Bankenwelt kennen- und fürchten gelernt haben. Bei diesen Verträgen erhält der Chefarzt am Jahresende ein Extrahonorar, wenn er auf eine bestimmte Zahl von besonders profitablen Leistungen kommt – dazu zählen die Implantationen von Prothesen oder auch Herzkatheteruntersuchungen. Kommt es eines Tages so weit, dass die Patienten hinter individuellen ärztlichen Maßnahmen geldgesteuerte Handlungsanweisungen vermuten können? Schöne neue Welt.
Es heißt bisweilen noch immer, das Gesundheitswesen leide auch an einem zu eingeschränkten Wettbewerb. Leidet es nicht eher daran, dass es ein Markt ist, an dem zuallererst verdient werden will? Gesundheit hat ja nicht nur mit körperlicher Intaktheit zu tun, nicht nur mit Pillen und Skalpell, sondern auch mit der Psyche: mit Vertrauen, mit Selbstvertrauen, mit Ängsten, mit Lebensunsicherheiten. Unser Gesundheitssystem krankt wohl auch am mangelnden „Sichkümmern“, denn dies wird nicht bezahlt. Kaufleute und Betriebswirte haben aus der Medizin eine Industrie gemacht. Sie haben die Krankenbehandlung ökonomisiert. Das bekommt den Ärzten nicht – und den Patienten auch nicht. Für Kranke sind Faktoren wichtig, die in betriebswirtschaftlichen Programmen keine oder kaum eine Rolle spielen: Zeit, Geborgenheit und – ja, auch dies, ja, auch wenn es altmodisch klingt – Barmherzigkeit! Manchmal besteht ärztliche Kunst auch darin, abzuwarten und vorerst nichts zu tun; diese Kunst lässt sich nicht betriebswirtschaftlich optimieren. Schöne alte Welt.


Heribert Prantl ist Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ und leitet dort das Ressort Innenpolitk. Der ehemalige Staats-anwalt sitzt im Ethikrat der Hamburger Akademie für Publizistik und gehört dem PEN-Zentrum Deutschland an.