Uraufführung 26.11.2017
› Kleines Haus 1
Parole Kästner!
von Jan-Christoph Gockel unter Verwendung von Originaltexten, Tondokumenten u. a.
Handlung
Mit EMIL UND DIE DETEKTIVE revolutioniert Erich Kästner 1928 die Kinderbuchliteratur. Während der Weimarer Republik macht Kästner sich schnell als Redakteur und Drehbuchautor einen Namen und prägt mit seiner unverschnörkelten, klaren Sprache eine ganze Epoche: die Neue Sachlichkeit. Die Nationalsozialisten verbrennen 1933 seine Bücher und erteilen ihm Schreibverbot. Trotzdem entscheidet er sich gegen eine Emigration, veröffentlicht unter Pseudonym und wird einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts. Mehr noch: Er wird zur moralischen Instanz der Nachkriegszeit und hadert dennoch bis zu seinem Tod damit, sich für Deutschland und nicht für das Exil entschieden zu haben. Erich Kästner rührt und beglückt Generationen von Leser*innen bis heute. Aber wer war dieser unantastbare Autor eigentlich? Wer war dieser Kleinbürger, der doch ein Lebemann war, und der sich noch als Erwachsener so gut in Kinderseelen hineindenken konnte? Und: Wie war seine eigene Kindheit, die von zwei Weltkriegen geprägt war? Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, verehrte seine Heimatstadt: Er verließ sie, schrieb über sie und kehrte zu ihr zurück. Der Regisseur Jan-Christoph Gockel geht auf Spurensuche nach dem Dichter Erich Kästner und zeichnet ein lebendiges Bild dieses Autors, der sich hinter seinen Selbstdarstellungen mehr verbarg als offenbarte: PAROLE KÄSTNER!
Dauer der Aufführung: 1 Stunde und 45 Minuten.
Keine Pause.
Keine Pause.
Besetzung
Regie
Jan-Christoph Gockel
Bühne
Julia Kurzweg
Kostüme
Sophie du Vinage
Musik, Hörspiel
Matthias Grübel
Licht
Dramaturgie
Erich Kästner
Mit
Nick Baumann, Richard Beck, Ole Fiebig, Götje Hansen, Konrad Neidhardt, Moritz Rogner, Karoline Schmidt, Mira Fanny Weinhold, Eva Lotta Wuttke, Darya Zaretskaya
Regisseur Jan-Christoph Gockel entwickelt dabei die szenische Vorlage – und Kästner mischt sich mit seinen Texten da maßgeblich ein – gemeinsam mit seinen Darstellern, wird dabei dramaturgisch offenbar auch gut beraten von Julia Weinreich und spielt das in einem offenen Gefüge, das den Zuschauern reichlich Gelegenheit gibt, sich selbst unmittelbar überlegend einzubringen.
Immer wieder verschiebt sich das Geschehen, verändern sich die Konstellationen, denken auch die Darsteller deutlich über jene nach, die da im Zuschauersaal sitzen. Und zuweilen fischt das Team mit der Angelrute auch noch ‚Geflügelte Worte‘ Kästners aus dem Sprach- und Denkschatz des Autors, von denen es weit mehr gibt, als zu ahnen ist. Wie jene, die da besagen, dass ganze Leben sei nun mal lebensgefährlich. Das Besondere und speziell bei Kästner wohl auch das Naheliegende der Inszenierung ist zudem, dass der Regisseur mit einer markanten Gruppe von Kindern arbeitet, und das gemeinsam mit dem nicht minder bemerkenswerten Schauspieler Matthias Reichwald. Der alle Wesenszüge dieser Gestalt erahnen lässt, sie in Stärken und Schwächen zu zeichnen vermag. Das ist rundum großartig gespielt, zeigt, wie eng und bewusst, wie fantasievoll alle miteinander gearbeitet haben.
Zu Beginn befinden sich nur die Kinder auf der Bühne. Sie sind gekleidet, bewegen sich, spielen Erwachsene. Und das in frappierender Weise. Erst, wenn sie zu sprechen beginnen, wenn Reichwald als ‚Großer‘ auf der Bühne erscheint, sind die letzten Zweifel beseitigt. Und irgendwie erinnert das wohl auch an Schneewittchen und besagte Zwerge. Der kleinen Schar von Wissenden minderer Größe steht hier ein stets Verunsicherter gegenüber, der ihnen kaum zu helfen vermag. Und auch nicht einmal sich selbst.
Julia Kurzweg (Bühne) und Sophie du Vinage (Kostüme) haben wunderbar gewitzte, kuriose bildnerische Metaphern einbringen können, die man nicht so schnell vergisst. Wie beispielsweise die Reifrock-Yenidze, die schon wieder mal raucht, oder das berühmte Haus auf der Königsbrücker Straße, aus dem der Kopf des ‚neugeborenen‘ Erich glücklich lächelnd hervorsprießt, um alsbald auch schon wieder verschwinden zu müssen. Zum Schluss – ein sehr berührendes Pendant zum Auftaktbild – sitzt der alt gewordene Schriftsteller allein und verlassen auf der Bühne. Um ihn herum eine Kälte assoziierende Schneeszenerie, verschwunden die makabren Hinterlassenschaften des Krieges.
Er ist ein kraftlos gewordener Rufer, ein aus eigener Sicht Gescheiterter, Vergessener. Doch mit ihm und seinen unvergänglichen Werken lebt auch das ewig Menschliche weiter, stark und schwach zugleich, entschlossen und unentschlossen, mutig und zagend. Und es gibt diese Sehnsucht nach der Kindheit, Geborgenheit, nach dem Schönen, Unversehrten.
An diesem Abend kann man staunen und sich wundern, wird irritiert, berührt, verführt. Von den Kindern ebenso wie von Matthias Reichwald.
Die Aufführungsrechte für ‚Parole Kästner!‘ liegen beim Verlag für Kindertheater Weitendorf GmbH, und das unter der Rubrik ‚Stücke für Erwachsene‘. Kinder, Jugendliche, Erwachsene? Bei Kästner ist wohl jede Besetzung möglich, wie im Publikum jedes Alter. Wie überhaupt jede neuerliche Inszenierung mit anderen Darstellern, an anderen Orten, mit veränderten Sichtweisen ein unbekanntes Stück Kästner hervorbringen kann. Das hat der vom Premierenpublikum heftig applaudierend aufgenommene Abend in Dresden in schönster Weise beweisen können.“
Weil alles ein bisschen und nichts so ganz stimmt, tut Regisseur Jan-Christoph Gockel das einzig Richtige. Sein eigenes, mit Originaltexten durchsetztes Stück ‚Parole Kästner!‘ will keine schlüssige Antwort geben. Im Spannungsfeld aus heiteren und tragischen Linien entsteht das Bild einer Persönlichkeit voller Risse.
Bühnenbildnerin Julia Kurzweg hat gerade mal Mülltonnen und eine Wäschestange aufstellen lassen. Der nüchterne schwarze Raum ist wie gemacht für das Ziel, Kästner zu entkitschen. Reichwald beherrscht beides in beeindruckender Weise: die Einfühlung in den Menschen und die Distanz zu ihm, gespeist aus Ironie und Kritik. So wenig Kästner einen Draht zu echten Kindern hatte, so wenig biedert sich der Schauspieler an bei den sechs Mädchen und Jungen auf der Bühne.
‚Parole Kästner!‘ leistet sich einen eigenen, unglamourösen Blick auf den beliebten Autor. Kästner wird nicht plump vom Sockel gerissen, sondern als Mensch erfahrbar in einem dynamischen Abend, der einen bis zuletzt packt.“
In Textpassagen aus ‚Fabian‘ beschreibt Reichwald Kästner soziales Elend, dann wieder vergnügt er sich mit netten Damen. Panzer Fahren auf, die Kinder stehen da, in braunen Uniformen, mit Hitlergruß. Der späte Kästner wird von Albträumen eingeholt – in später Wut, während der schlimmen Zeit nur still die Faust geballt zu haben.
Reichlich Beifall für diesen lebensprallen, auch nachdenklichen Theaterabend, gut konzipiert und hervorragend gespielt. Kästners Texte gehen zeitlos zu Herz und Hirn.“
Mit diesen Kindern hat man wirklich ganze Arbeit geleistet. Was die sechs Junge und Mädchen, insgesamt sind es zehn, die alternativ besetzt sind, an spielerischer Präsenz und Überzeugung zeigen, ist fast schon unglaublich. Sie gehen mit Kästner-Texten um, das verblüfft immer wieder. Da wirkt nichts aufgesetzt, da gibt es keinen Hänger und Versprecher, das ist wirklich alles perfekt. Sozusagen der große spielerische Überraschungsmoment des Abends, der am Ende auch für viel Jubel bei dem im Saal sitzenden Verwandten sorgt.“
Dramaturgin Julia Weinreich gestaltet die rund hundert Minuten ohne Pause spannend und abwechslungsreich, die Biografie ist von der Teppichstange bis zur Altersresignation schlüssig, mit viel Liebe und Humor inszeniert.
Fazit: Ein unterhaltsames, vergnügliches Stück Dresden-Geschichte, das selbst für Eingeweihte lohnt. Es differenziert und ergänzt, das offizielle Kästner-Bild, das von dessen Kinderfilmen geprägt ist.“