Premiere 22.09.2017
› Kleines Haus 1
Nationalstraße
Handlung
Vandam ist der „Nationalheld von der Nationalstraße“, er hat damals ganz vorne gestanden im November 1989, er hat die Samtene Revolution ausgelöst. Vandam interessiert sich für die Geschichte der Tschechischen Republik, für die EU und das Römische Reich, für die großen ausgefochtenen Schlachten. Er ist verliebt in Sylva und schlägt sich für sie mit den Falschen. Und er macht täglich zweihundert Liegestütze, um in seinem Job als Dachlackierer nicht unterzugehen und seinem Sohn ein Vorbild zu sein. Vandam glaubt, der letzte echte Tscheche zu sein, doch von seinem einstigen Ruhm sind nur die vom Großvater gebaute Plattenbausiedlung in der Prager Nordstadt, die Wohnung, von deren Balkon sein Vater sprang, und die viel zu oft erzählte Geschichte vom Beginn der Samtenen Revolution geblieben, von der sein Sohn nichts lernen will. Der tschechische Autor und Musiker Jaroslav Rudiš, der bereits durch seine Graphic Novels über Alois Nebel Aufmerksamkeit erregte, lässt in NATIONALSTRASSE Gegensätze und Weltsichten aufeinanderprallen. Man leidet mit Vandam und verachtet ihn für seine Blindheit, man hält ihn für einen dumpfen Schlägertypen und staunt über seine poetische Sprache. Politische Gewissheiten werden zur Mangelware und schnell gefasste Urteile stürzen wie Kartenhäuser zusammen, wann immer die Möglichkeit das stabile Weltbild gefährdet, dass doch alles ganz anders ist, als es auf den ersten Blick aussieht.
Dauer der Aufführung: ca. 1 Stunde und 15 Minuten.
Keine Pause.
Keine Pause.
Besetzung
Regie
Bühne
Kostüm
Musik
Licht
Dramaturgie
Mit
Ein gelungener Einstieg. Durch den weißen, hell ausgeleuchteten Schalltrichter ist die Inszenierung ganz auf Sprache und Mimik gestellt, ohne illustrierenden Schnickschnack.“
Vandam lebt in einer Welt der alternativen Fakten, zwischen Hoffnung und Mutlosigkeit. Seine Wut entlädt sich immer körperlicher, verzweifelter. ‚Nationalstraße‘ ist ohne Aufdringlichkeit ein fesselnder, aktueller Kommentar.“
In einem fesselnden Monolog entrollt sich eine ganze, tragisch endende Lebensgeschichte, voll von Frustration, Größenwahn, lädiertem Selbstbewusstsein, Hass auf Politiker und alles Fremde, Gewalt. Genau das, was derzeit bei uns Raum greift. Das macht diese Aufführung so bedeutsam.
Auf Nebendarsteller zu verzichten, alle Rollen von einem spielen zu lassen – damit beweist die Regisseurin bewundernswerten Mut. Zugleich ist sie damit dichter dran an diesem Text, denn alles, was geschehen ist und was sich abspielt, erfahren wir allein aus dem Mund dieses Mannes.
Es ist ein Erzählraum, den wir betreten. Konsequent umgesetzt finden wir das in einem Bühnenbild, das radikal abstrahiert: mit einem kahlen, weißen Kubus, der sich in extremer Perspektive trichterartig nach hinten zu einem beleuchteten Quadrat verjüngt. Der wirkt auch als Lautsprecher.
Dort, ganz hinten, hockt der, den sie Vandam nennen, weil er so viele Liegestütze wie der Actionheldendarsteller Jean-Claude Van Damme schafft. Ein Muskelprotz müsste das sein. Tatsächlich aber sehen wir einen, der ganz klein wirkt, eingezwängt in die Nische, einsam in einer trostlos kalten Welt. Auch Kleidung und Gesicht sind weiß eingefärbt. Das Äußerste an Reduktion wird hier gewagt.
Nicht als vierschrötiger Möbelpacker tritt uns Darsteller Simon Werdelis entgegen, sondern als sympathischer Kneipenkumpel; einer, der nicht stark ist, sondern Stärke immer behaupten muss. Der gern mal den Mund sehr weit aufreißt, um sich zu panzern. Der nicht Verlierer, sondern ein Krieger sein will, aber einer, ‚der Frieden stiftet‘. Der sich zum Kampf wappnet. Der die Hand zum ‚römischen Gruß‘ empor reckt, sich aber nicht für einen Nazi hält, sondern für einen Tschechen und ‚Europäer‘, der Anstand und Ordnung schätzt und alle duldet, solange sie kein ‚Remmidemmi‘ machen. Der aber auch Witz zeigt, Gerechtigkeitssinn und Verantwortungsgefühl besitzt.
Diese schillernde Gegensätzlichkeit macht das Ganze so spannend: Diese Figur verweigert sich den Klischees.“
Mina Salehpour vertraut dem Text und dem Hauptdarsteller. Simon Werdelis startet mit einem furiosen Vortrag sein Dresdner Engagement. Auch die Kombination mit Bühne und Kostüm (Andrea Wagner und Maria Anderski) trägt die Wucht: eine weiße, sich nach hinten verjüngende quadratische Röhre wirkt wie ein liegender Trichter, aus dem Vandam mählich, knieend, auch mal stehend ans Lebenslicht, also zum Zuschauer strebt.“