Uraufführung 09.03.2019
› Kleines Haus 1
Früher war alles
Geschichten von Träumen und Abwicklungen aus Freital
von Dirk Laucke
in Kooperation mit der Großen Kreisstadt Freital
von Dirk Laucke
in Kooperation mit der Großen Kreisstadt Freital
Handlung
Die Anschläge auf Asylsuchende 2015 haben für negative Schlagzeilen gesorgt, die das mediale Bild der Stadt Freital bis heute prägen. Die Bürgerbühne hat den Autor Dirk Laucke beauftragt, ein dokumentarisches Stück über Freital zu schreiben, das hinter diese Schlagzeilen schaut. Auf der Grundlage von Interviews ist ein dramatisches Triptychon entstanden, dessen Protagonist*innen eines vereint: Sie hinterfragen angebliche Gewissheiten und machen sich für andere stark.
Da ist Till, der schon als Schüler in der DDR seinen Freigeist nicht verbergen kann und später als „Kunde“, als Bürger ohne Kaderakte aneckt. Im zweiten Teil, den 90er Jahren, begegnen wir der Depression, die nach der Wende einkehrt. Jana sucht ihr Glück in Amerika, weil – entgegen dem Versprechen der ‚blühenden Landschaften‘ – viele Fabriken
schließen. Eine Clique von Jugendlichen kämpft gegen das Vakuum der Perspektivlosigkeit, das einen von ihnen sogar das Leben kostet. Als dann Neonazis die „Moze“, den Jugendtreffpunkt der Stadt, überfallen, haben sie die Schnauze endgültig voll. Der dritte Teil spielt im Jahr 2015 und erzählt davon, wie eine alte Freitalerin Geflüchteten die Hand reicht, während andere „Nein zum Heim“ sagen.
Regisseur Jan Gehler besetzt die „Rollen“ der Freitaler*-innen mit echten Freitaler*innen, um die Grenze zwischen Mythos und Realität zu hinterfragen. Wer spricht für wen? Ist das Literatur oder authentisches Material? Und war früher wirklich alles – ja was eigentlich? Besser? Schlechter? Bunter oder grau?
Da ist Till, der schon als Schüler in der DDR seinen Freigeist nicht verbergen kann und später als „Kunde“, als Bürger ohne Kaderakte aneckt. Im zweiten Teil, den 90er Jahren, begegnen wir der Depression, die nach der Wende einkehrt. Jana sucht ihr Glück in Amerika, weil – entgegen dem Versprechen der ‚blühenden Landschaften‘ – viele Fabriken
schließen. Eine Clique von Jugendlichen kämpft gegen das Vakuum der Perspektivlosigkeit, das einen von ihnen sogar das Leben kostet. Als dann Neonazis die „Moze“, den Jugendtreffpunkt der Stadt, überfallen, haben sie die Schnauze endgültig voll. Der dritte Teil spielt im Jahr 2015 und erzählt davon, wie eine alte Freitalerin Geflüchteten die Hand reicht, während andere „Nein zum Heim“ sagen.
Regisseur Jan Gehler besetzt die „Rollen“ der Freitaler*-innen mit echten Freitaler*innen, um die Grenze zwischen Mythos und Realität zu hinterfragen. Wer spricht für wen? Ist das Literatur oder authentisches Material? Und war früher wirklich alles – ja was eigentlich? Besser? Schlechter? Bunter oder grau?
Dauer der Aufführung: ca. 1 Stunde und 40 Minuten.
Keine Pause.
Keine Pause.
Besetzung
Regie
Jan Gehler
Bühne
Kostüme
Claudia Irro, Carlotta Oetter
Musik
Licht
Dramaturgie
1. Teil – Till im Pionierland
Till
Stefan Vogl
Mutter
Beate Lamm-Göttert
Vater
Steffen Petrenz
junger Till
Florian Göttert, Leon Voigt
Oma
Ilse Karsch
Frau Hoffmann
Mathilda Kaufhold
Schüler*innen
Ensemble
Lehrling 1
Arnd Strobel
Lehrling 2
Felix Fischer, Louis Förster
Armin
Thomas Hoegg
Sandrino
Jörn Gottschlich
2. Teil – Fabriken. Sterben
Jana
Janka Haubold
Nina
Beate Lamm-Göttert
Ernst
Arnd Joachim Strobel
Charly / Bahnhofstyp
Louise Hemmann
Steffi / Bahnhofstyp
Caroline Preußner
Chris / Bahnhofstyp
Louis Förster
Maik / Bahnhofstyp
Felix Fischer
Asche / Bahnhofstyp
Jonathan Werner
Ralle / Bahnhofstyp / Polizist
Arnd Strobel
Till
Stefan Vogl
Armin
Thomas Hoegg
Beamter / Schwester
Steffen Petrenz
Trainerin
Mathilda Kaufhold
Senner
Ilse Karsch
3. Teil – Ziemlich beste Freunde
Benyam
Leon Voigt
Teodros
Florian Göttert
Fannah
Mathilda Kaufhold
Senner
Ilse Karsch
Armin
Thomas Hoegg
Rene
Jörn Gottschlich
Trainer 1
Felix Fischer
Trainer 2
Louis Förster
Charly
Louise Hemmann
Till
Stefan Vogl
Jana
Janka Haubold
Steven
Steffen Petrenz
Mario
Arnd Strobel
Lou
Caroline Preußner
Marc
Jonathan Werner
Frau Müller
Beate Lamm-Göttert
Ernst
Arnd Joachim Strobel
Video
Interview
Ein Gespräch mit dem Dramatiker Dirk Laucke im Hinblick auf das Rechercheprojekt FRÜHER WAR ALLES. Geschichten von Träumen und Abwicklungen aus Freital
Deine Stücke befassen sich häufig mit der deutschen Gegenwart und dem Umgang mit den Gespenstern der Geschichte. Was ist der Motor für dein Schreiben, und wie findest du deine Themen?
DL Beim Schreiben treibt mich an, was ich selbst erlebt habe. Ich bin in Halle an der Saale aufgewachsen und habe als Kind die Wende mitbekommen. Ich war damals sieben, acht Jahre alt. In der Schule wurden manche Lehrer*innen ausgetauscht. Frau Müller war auf einmal nicht mehr die Direktorin, sondern Frau Schmidt. Da habe ich schon eine Verunsicherung gespürt. Meine Eltern haben ihren Job verloren. Papa war bei der Nationalen Volksarmee und musste sich dann „umorientieren“, meine Mutter hat ein halbes Jahr in Bayern gearbeitet... Auch andere Familienmitglieder wechselten die Berufe. Sie arbeiteten nicht mehr in der Stahlgießerei, sondern wurden Pflegekräfte. Manche hatten Häuser gebaut und sind dann krachen gegangen, diese typischen Existenzen, das habe ich alles mitbekommen.
Die Nachwendezeit hat meine Biografie geprägt, und ich schreibe darüber, weil Autoren über das schreiben sollten, was sie am besten kennen.
Welche Rolle spielt Recherche in deiner Arbeit?
DL Wenn ich mich mit einem Thema noch nicht gut genug auskenne, unterhalte ich mich gerne mit Leuten vor Ort und versuche, das Lebensgefühl einzufangen. Durch spontane Begegnungen und gemeinsam verbrachte Zeit fließen die Temperatur eines bestimmten Milieus oder die Stimmung eines Ortes viel direkter in einen Text mit ein, als wenn ich mich mit jemandem zu einem Interview verabrede. Dann erhalte ich nämlich nicht nur sozial erwünschte Antworten – Äußerungen, die normal und „anständig“ sind – sondern höre auf einmal Nuancen und Dinge, die nicht ausgesprochen werden, aber auch auf den Tisch gehören.
Wie stark bearbeitest du das vorgefundene Material anschließend?
DL Das Problem mündlicher Rede ist ja häufig, dass wir zu viele Worte benutzen. Meine schriftstellerische Aufgabe besteht also darin, Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne sie zu verfälschen. Ich versuche, den Sprachgestus eines Menschen möglichst genau zu erfassen. Aus einer Labertasche mache ich keine wortkarge Person. Ich höre genau hin, wie jemand ist und übertrage dies dann in eine Kunstform.
Mit welchen Fragen gehst du nach Freital?
DL Ich interessiere mich für die Geschichte der Arbeit im ehemaligen „roten Wien Sachsens“ und wie die Einwohner von Freital diese wahrgenommen haben: den Abbau der Stahlwerke nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Sowjetmacht und den Wiederaufbau in der DDR, wie die Wende erlebt wurde, ob sich die Freitaler gut genug repräsentiert fühlen in der heutigen BRD, ob es Defizite gibt in der Aufarbeitung der Leistungen und des Leidens der Leute, welche individuellen Brüche es vor und nach der Wende gab … Ich glaube, dass Antworten auf diese Fragen die entscheidende Aussagekraft besitzen, in welcher Welt wir heute leben – in Freital, in Sachsen und vielleicht in ganz Deutschland, wo die derzeitige Demokratie in die Krise geraten ist. Wichtig ist dabei, dass die Leute mit ihrer eigenen Perspektive zu Wort kommen.
Für viele Journalisten und Autoren wäre es vielleicht momentan ziemlich verlockend zu fragen: Wer kennt die „Gruppe Freital“? Wie haben sie ihre Sprengsätze gebastelt? Interessante Fragen, aber irgendwie auch ein bisschen einfach und sozialvoyeuristisch. So richtig es ist, die „Gruppe Freital“ und die Strukturen zu hinterfragen, ist für unsere Arbeit an der Bürgerbühne interessant, was für ein gesellschaftliches Klima dort herrscht. Unter welchen Umständen haben sich die Leute radikalisiert? Ist es wahr, dass soziale Abgehängtheit zu Radikalisierung führt, oder gibt es andere Gründe, übermäßige Identifikation mit der Heimat zum Beispiel?
DL Beim Schreiben treibt mich an, was ich selbst erlebt habe. Ich bin in Halle an der Saale aufgewachsen und habe als Kind die Wende mitbekommen. Ich war damals sieben, acht Jahre alt. In der Schule wurden manche Lehrer*innen ausgetauscht. Frau Müller war auf einmal nicht mehr die Direktorin, sondern Frau Schmidt. Da habe ich schon eine Verunsicherung gespürt. Meine Eltern haben ihren Job verloren. Papa war bei der Nationalen Volksarmee und musste sich dann „umorientieren“, meine Mutter hat ein halbes Jahr in Bayern gearbeitet... Auch andere Familienmitglieder wechselten die Berufe. Sie arbeiteten nicht mehr in der Stahlgießerei, sondern wurden Pflegekräfte. Manche hatten Häuser gebaut und sind dann krachen gegangen, diese typischen Existenzen, das habe ich alles mitbekommen.
Die Nachwendezeit hat meine Biografie geprägt, und ich schreibe darüber, weil Autoren über das schreiben sollten, was sie am besten kennen.
Welche Rolle spielt Recherche in deiner Arbeit?
DL Wenn ich mich mit einem Thema noch nicht gut genug auskenne, unterhalte ich mich gerne mit Leuten vor Ort und versuche, das Lebensgefühl einzufangen. Durch spontane Begegnungen und gemeinsam verbrachte Zeit fließen die Temperatur eines bestimmten Milieus oder die Stimmung eines Ortes viel direkter in einen Text mit ein, als wenn ich mich mit jemandem zu einem Interview verabrede. Dann erhalte ich nämlich nicht nur sozial erwünschte Antworten – Äußerungen, die normal und „anständig“ sind – sondern höre auf einmal Nuancen und Dinge, die nicht ausgesprochen werden, aber auch auf den Tisch gehören.
Wie stark bearbeitest du das vorgefundene Material anschließend?
DL Das Problem mündlicher Rede ist ja häufig, dass wir zu viele Worte benutzen. Meine schriftstellerische Aufgabe besteht also darin, Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne sie zu verfälschen. Ich versuche, den Sprachgestus eines Menschen möglichst genau zu erfassen. Aus einer Labertasche mache ich keine wortkarge Person. Ich höre genau hin, wie jemand ist und übertrage dies dann in eine Kunstform.
Mit welchen Fragen gehst du nach Freital?
DL Ich interessiere mich für die Geschichte der Arbeit im ehemaligen „roten Wien Sachsens“ und wie die Einwohner von Freital diese wahrgenommen haben: den Abbau der Stahlwerke nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Sowjetmacht und den Wiederaufbau in der DDR, wie die Wende erlebt wurde, ob sich die Freitaler gut genug repräsentiert fühlen in der heutigen BRD, ob es Defizite gibt in der Aufarbeitung der Leistungen und des Leidens der Leute, welche individuellen Brüche es vor und nach der Wende gab … Ich glaube, dass Antworten auf diese Fragen die entscheidende Aussagekraft besitzen, in welcher Welt wir heute leben – in Freital, in Sachsen und vielleicht in ganz Deutschland, wo die derzeitige Demokratie in die Krise geraten ist. Wichtig ist dabei, dass die Leute mit ihrer eigenen Perspektive zu Wort kommen.
Für viele Journalisten und Autoren wäre es vielleicht momentan ziemlich verlockend zu fragen: Wer kennt die „Gruppe Freital“? Wie haben sie ihre Sprengsätze gebastelt? Interessante Fragen, aber irgendwie auch ein bisschen einfach und sozialvoyeuristisch. So richtig es ist, die „Gruppe Freital“ und die Strukturen zu hinterfragen, ist für unsere Arbeit an der Bürgerbühne interessant, was für ein gesellschaftliches Klima dort herrscht. Unter welchen Umständen haben sich die Leute radikalisiert? Ist es wahr, dass soziale Abgehängtheit zu Radikalisierung führt, oder gibt es andere Gründe, übermäßige Identifikation mit der Heimat zum Beispiel?
Die Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, Petra Köpping, hat 2016 in einer Rede zum politischen Reformationstag gesagt: „Warum sind das Misstrauen in und die Distanz zu Demokratie und Politik in Sachsen und Ostdeutschland so groß? Woher kommt all die Wut? Weshalb sind Rechtspopulisten hier stärker als im Westen? Diese Fragen stellen sich derzeit viele Menschen in unserem Land. Und diese Fragen sind berechtigt! Ich glaube allerdings, dass wir keine vollständigen Antworten auf diese Fragen finden werden, wenn wir uns nicht gleichzeitig ehrlich und offen mit der Nachwendezeit beschäftigen. Viele wiederholen immer wieder die Floskel von den ‚Wendeverlierern‘. Doch keiner sagt, was das eigentlich bedeutet. Manche sprechen mit einem fast schon schmunzelnden Blick von ‚Pechvögeln‘. Und machten sie damit zu Fußnoten der Geschichte. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Nachwendezeit, mit den vielfachen Schicksalsumbrüchen und Hoffnungen fand in den letzten Jahren hingegen kaum mehr statt. Niemand hat konkrete Probleme wirklich ernst genommen. Niemand hat die Lebensgeschichten gewürdigt. Niemand hat zugehört. Das ist bei vielen Menschen eine Kränkung, die bis heute wirkt.“
Wie ist deine Haltung dazu?
DL Einerseits hat Frau Köpping Recht, andererseits fühle ich mich fast ein bisschen persönlich beleidigt, weil ich diese Themen in meiner Arbeit vielfach genau so behandelt habe – die prekäre Zeitarbeit in der Nachwendezeit in der Region Bitterfeld und im Mansfelder Land zum Beispiel. Am Staatsschauspiel Dresden ging es 2009 in meinem Stück FÜR ALLE REICHT ES NICHT anlässlich von 20 Jahren Mauerfall auch schon um einen „Wendeverlierer“, der eine Panzerfahrschule aufmachen möchte. Und sogar die Flüchtlingsfrage spielte in diesem Text bereits eine zentrale Rolle. So gesehen gibt es also schon manchmal Leute, die zuhören und darüber schreiben. Auch der Kollege Thomas Freyer zählt dazu. Mir ist das schon lange ein Anliegen und es kam mir sogar eine Zeit lang nervig vor, dass ich mich immer damit beschäftige.
Du arbeitest und recherchierst in ganz Deutschland. Welche Unterschiede stellst du fest in Bezug auf Geschichten, die sich mit dem Osten Deutschlands befassen?
DL Mittlerweile werden meine Stücke, die häufig im Osten spielen, woanders seltener aufgeführt. Das war früher mal anders. Da war das noch interessant für den Westen. Jetzt gibt es dort womöglich andere Konflikte, über die man sich mehr Gedanken macht. Ich glaube, viele Menschen im Westen haben kein richtiges Bild davon, wie es in den abgehängten Gebieten im Osten ist, in der Uckermark, in der Sächsischen Schweiz, in Zittau, Gera oder Altenburg. Es gibt viele Gegenden, wo keiner hinfahren möchte. Deswegen finde ich es wichtig, darüber zu sprechen und zu schreiben. Wobei sich manche Regionen im Osten und Westen gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Dinge, die im Osten mit der Wende weggefegt wurden, sind im Westen durch den sogenannten Strukturwandel gekommen. Die Werke wurden nach China verkauft. Die Ossis haben damals gesagt: „Das ist jetzt der Systemwechsel. Wir wurden ausverkauft. Beschissen haben sie uns.“ Aber was sagt der Wessi, für den das System jahrzehntelang funktioniert hat? Nach dreißig, vierzig Jahren wirst du von dem System, das dir vielleicht ein Auto und ein Haus ermöglicht hat, nicht beschissen, sondern im Stich gelassen. Das ist nochmal was anderes. Im Ruhrgebiet versuchen die Menschen immer noch, das zu verarbeiten. Und diese Suche nach Lösungen gibt es auch im Osten. Im Prinzip haben die Menschen mit ähnlichen Phänomenen zu tun.
Glaubst du, dass aus diesen ähnlichen Erfahrungen Solidarität entstehen könnte, eine Art Verbundenheit zwischen Menschen im Osten und Westen?
DL Das könnte sein. Ich bin mal mit dem Zug aus dem Ruhrgebiet zurück nach Berlin gefahren. An dem Tag hat Borussia Dortmund gegen Hertha gespielt. Ich war in einem Abteil mit typischen BVB-Fans, Arbeitern, und die haben Arbeitermusik gehört – also guten, alten Rock – und Bierchen gezischt und waren gut gelaunt, und alles war super. Plötzlich spielte einer „Am Fenster“ von City. Da wurde ich hellhörig, weil das der Ostrock-Klassiker ist. Sein Kumpel wollte weiterklicken, weil er die Musik nicht kannte. Da sagte der andere: „Ja, ja, das ist aus dem Osten, aber hör mal zu, das ist richtig cool ...“ Und dann haben die das ganze Lied gespielt. Da dachte ich, wir sprechen ja tatsächlich eine Sprache.
Das Problem ist immer, wenn man abgeschlossen im Osten bleibt. Dann hat man nicht so viel Austausch. Das hat sich immer noch nicht so richtig geändert. Und das sollte sich mal ändern.
Die Fragen stellte der Dramaturg David Benjamin Brückel.
Wie ist deine Haltung dazu?
DL Einerseits hat Frau Köpping Recht, andererseits fühle ich mich fast ein bisschen persönlich beleidigt, weil ich diese Themen in meiner Arbeit vielfach genau so behandelt habe – die prekäre Zeitarbeit in der Nachwendezeit in der Region Bitterfeld und im Mansfelder Land zum Beispiel. Am Staatsschauspiel Dresden ging es 2009 in meinem Stück FÜR ALLE REICHT ES NICHT anlässlich von 20 Jahren Mauerfall auch schon um einen „Wendeverlierer“, der eine Panzerfahrschule aufmachen möchte. Und sogar die Flüchtlingsfrage spielte in diesem Text bereits eine zentrale Rolle. So gesehen gibt es also schon manchmal Leute, die zuhören und darüber schreiben. Auch der Kollege Thomas Freyer zählt dazu. Mir ist das schon lange ein Anliegen und es kam mir sogar eine Zeit lang nervig vor, dass ich mich immer damit beschäftige.
Du arbeitest und recherchierst in ganz Deutschland. Welche Unterschiede stellst du fest in Bezug auf Geschichten, die sich mit dem Osten Deutschlands befassen?
DL Mittlerweile werden meine Stücke, die häufig im Osten spielen, woanders seltener aufgeführt. Das war früher mal anders. Da war das noch interessant für den Westen. Jetzt gibt es dort womöglich andere Konflikte, über die man sich mehr Gedanken macht. Ich glaube, viele Menschen im Westen haben kein richtiges Bild davon, wie es in den abgehängten Gebieten im Osten ist, in der Uckermark, in der Sächsischen Schweiz, in Zittau, Gera oder Altenburg. Es gibt viele Gegenden, wo keiner hinfahren möchte. Deswegen finde ich es wichtig, darüber zu sprechen und zu schreiben. Wobei sich manche Regionen im Osten und Westen gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Dinge, die im Osten mit der Wende weggefegt wurden, sind im Westen durch den sogenannten Strukturwandel gekommen. Die Werke wurden nach China verkauft. Die Ossis haben damals gesagt: „Das ist jetzt der Systemwechsel. Wir wurden ausverkauft. Beschissen haben sie uns.“ Aber was sagt der Wessi, für den das System jahrzehntelang funktioniert hat? Nach dreißig, vierzig Jahren wirst du von dem System, das dir vielleicht ein Auto und ein Haus ermöglicht hat, nicht beschissen, sondern im Stich gelassen. Das ist nochmal was anderes. Im Ruhrgebiet versuchen die Menschen immer noch, das zu verarbeiten. Und diese Suche nach Lösungen gibt es auch im Osten. Im Prinzip haben die Menschen mit ähnlichen Phänomenen zu tun.
Glaubst du, dass aus diesen ähnlichen Erfahrungen Solidarität entstehen könnte, eine Art Verbundenheit zwischen Menschen im Osten und Westen?
DL Das könnte sein. Ich bin mal mit dem Zug aus dem Ruhrgebiet zurück nach Berlin gefahren. An dem Tag hat Borussia Dortmund gegen Hertha gespielt. Ich war in einem Abteil mit typischen BVB-Fans, Arbeitern, und die haben Arbeitermusik gehört – also guten, alten Rock – und Bierchen gezischt und waren gut gelaunt, und alles war super. Plötzlich spielte einer „Am Fenster“ von City. Da wurde ich hellhörig, weil das der Ostrock-Klassiker ist. Sein Kumpel wollte weiterklicken, weil er die Musik nicht kannte. Da sagte der andere: „Ja, ja, das ist aus dem Osten, aber hör mal zu, das ist richtig cool ...“ Und dann haben die das ganze Lied gespielt. Da dachte ich, wir sprechen ja tatsächlich eine Sprache.
Das Problem ist immer, wenn man abgeschlossen im Osten bleibt. Dann hat man nicht so viel Austausch. Das hat sich immer noch nicht so richtig geändert. Und das sollte sich mal ändern.
Die Fragen stellte der Dramaturg David Benjamin Brückel.
Laucke arbeitet in seinem Text die unterschiedlichen Haltungen heraus, benutzt dabei einen sehr knappen Stil – kein Wort zu viel. Die Akteure auf der Bühne tragen diese Texte mehr vor, lauschen Ihnen nach, als dass sie sie naturalistisch erspielen würden. So entsteht der Eindruck einer Suche nach einem So-geworden-sein – durchaus passend. Je näher dabei die gespielte Zeit an die eigene heranreicht, desto spannungsreicher dieser Vortrag.
Eine Episode, in der über die Frage verhandelt wird, ob man gegen die Betriebsabwicklungen der Nachwendezeit streiken soll, ist so ein bedrückender Erinnerungsmoment. Ebenso eine Szene im Fitnessstudio, in der eine Unterschriftsliste gegen Asylheime herumgereicht wird. Großartig auch, wie eine ältere Dame, Frau Senner, Haltung zeigt – oder erspielt, wer kann und will das hier noch unterscheiden? – und zwei Geflüchteten Deutschunterricht gibt, weil ihr die Anschläge auf die Asylbewerber schließlich zu weit gehen. Sie hilft sogar, eine Familie aus Afrika zusammenzuführen. Fannah ist hochschwanger. Gerade in Freital bei ihrem Mann angekommen, kriegt sie das Kind. Senners Kommentar: ‚Ein Freitaler, das bist du. Ä Sachse.‘ Das Publikum ist ergriffen und lacht.
Braucht die Welt so ein Stück? Ja! – Was Laucke und Regisseur Jan Gehler hier zeigen, ist ein deutsches Geschichtspanorama. Ein Erklärstück mit humanistischer Botschaft. Aber vor allem ist es eine Gelegenheit, die der Theaterraum hier auch bietet, eine Stadtgesellschaft auf ein gemeinsames Ziel hin einzuschwören: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern und Schwestern, das aus der Geschichte lernend aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen sucht. Nach einem langanhaltenden Applaus sah ich in den Gesichtern der Bürgerbühnler ein entspanntes Lachen. Es hatte wohl auch Anspannung gekostet sich auf die Bühne zu stellen. Pars pro toto. Warum macht ihr das? Müsst ihr die ganze Geschichte wieder hochholen? Was wird die Presse sagen? – Im Foyer standen nach der Premiere viele, kleine Grüppchen. Angehörige der Matadore. Blumensträuße in den Händen. Am Ende haben hier wohl 17 Akteure mit den Gratulanten, die auch Multiplikatoren sind, etwas in Gang gebracht, das in Freital nachhaltig wirken dürfte.“
Der in Dresden bestens bekannte ehemalige Hausregisseur Jan Gehler fordert zuerst die Authentizität der Figuren heraus, lässt sie vor allem sich selber und keine Rolle spielen. Die direkte, klare und zuweilen proletarisch-derbe Sprache überzeugt durchweg, vor allem aber bei den sehr handfesten Frauen in mittleren und höheren Jahren. Hoffnungsvoll stimmt aber auch das Engagement der jüngsten Generation Handy oder Generation Phlegma, die ab dem zweiten Teil besonders mit ihrer Gruppenpräsenz die Inszenierung wesentlich trägt.
Die ebenfalls in Dresden gut bekannte Sabrina Rox hat auch Teile des Saales in das Bühnenbild einbezogen. Alle sitzen in einem Bierzelt einschließlich der passenden Garnituren.“
Szenisch findet Gehler, der ja einer jener Regisseure ist, die aus Nichts Theater machen können, manch elegante Lösung: Aus den Bierbänken werden spielerisch Autos, Zuckersäcke, Barrikaden; aus den ‚Die Mauer muss weg‘-Rufen übergangslos ‚Die Mauer ist weg‘, aus den Panikschreien der Eritreer Babyplärren.
Dabei ist es wichtig, exemplarisch vom Osten zu erzählen, ohne in Klischeefallen zu tappen. Laucke hat den richtigen Stoff gewählt, eine lakonische, knappe Sprache gefunden.“
Die Schauspieler auf der Bühne gehören nicht zum Ensemble, sie stammen aus Freital. Die Geschichten, die sie erzählen, sind ihre eigenen oder wurden von Dirk Laucke recherchiert.“
Ideal in seiner Schlichtheit und Wandelbarkeit erweist sich Sabrina Rox’ Bühnenbild. Mit wenigen Handgriffen verwandeln sich die Bier- in Schulbänke, in Zuckersäcke, einen verbarrikadierten Fabrikzugang, in ein Fitnessstudio.“