Premiere 21.11.2013
› Kleines Haus 1
Der Diener zweier Herren (2013)
Lustspiel von Carlo Goldoni
Fassung von Martin Heckmanns
Fassung von Martin Heckmanns
Handlung
Federico Rasponi ist gestorben, und der Heirat zwischen Silvio und Clarice, Pantalones Tochter, steht nichts mehr im Weg. Doch mitten in die Verlobungsfeier platzt der Diener Truffaldino und kündigt seinen Herrn an: eben jenen Federico Rasponi – offensichtlich doch noch am Leben. Die Verwirrung ist groß, Tränen fließen und Rache wird geschworen, als Pantalone sich gleich für seinen Geschäftsfreund und wieder lebendigen, reicheren Schwiegersohn ausspricht. Dabei ist Federico eigentlich Beatrice, die verkleidet als ihr Bruder Federico ihrem Geliebten nachreist, Federicos Mörder. Kompliziert? Es wird noch schlimmer. Truffaldino werden die Gespräche seiner Herrschaft und das Warten auf das Mittagessen zu lang, er hat Hunger, außerdem wird er schlecht bezahlt. Als ein weiterer Fremder ankommt – ausgerechnet der Geliebte Beatrices –, bietet Truffaldino auch hier seine Dienste an und ist jetzt Diener zweier Herren. Dass beide im gleichen Gasthof absteigen, gleichzeitig Briefe abholen und ihre Kleider auspacken lassen und schließlich beide essen wollen, setzt eine Spirale von Verwicklungen in Gang, an deren Ende – der Komödie sei Dank – drei glückliche Paare stehen.
Carlo Goldonis Lustspiel ist eine Verstellungs- und Verwechslungskomödie voller Exzentriker, die gehörig auf den Pudding hauen, den Truffaldino so gerne isst, und seit seiner Uraufführung 1746 ein europäischer Theaterhit. Das Staatsschauspiel Dresden zeigt das Stück in einer rasanten Fassung von Martin Heckmanns, aus dessen Feder hier in den letzten Jahren die beiden Uraufführungen „Vater Mutter Geisterbahn“ und „Zukunft für immer“ zu sehen waren. Bettina Bruinier ist Regisseurin u. a. am Deutschen Theater Berlin, am Volkstheater München, am Schauspiel Bochum, am Schauspiel Frankfurt und an der Semperoper.
Carlo Goldonis Lustspiel ist eine Verstellungs- und Verwechslungskomödie voller Exzentriker, die gehörig auf den Pudding hauen, den Truffaldino so gerne isst, und seit seiner Uraufführung 1746 ein europäischer Theaterhit. Das Staatsschauspiel Dresden zeigt das Stück in einer rasanten Fassung von Martin Heckmanns, aus dessen Feder hier in den letzten Jahren die beiden Uraufführungen „Vater Mutter Geisterbahn“ und „Zukunft für immer“ zu sehen waren. Bettina Bruinier ist Regisseurin u. a. am Deutschen Theater Berlin, am Volkstheater München, am Schauspiel Bochum, am Schauspiel Frankfurt und an der Semperoper.
Besetzung
Regie
Bettina Bruinier
Bühne
Philipp Nicolai
Kostüme
Teresa Vergho
Musik
Jan Maihorn
Licht
Björn Gerum
Kampfszenen
Claus Großer
Dramaturgie
Felicitas Zürcher
Pantalone de’ Bisognosi
Clarice, Pantalone de’ Bisognosi Tochter
Alexandra Weis
Silvio, Clarices Geliebter
Kilian Land
Beatrice Rasponi
Ines Marie Westernströer
Florindo Aretusi
Sascha Göpel
Brighella, Wirt
Smeraldina
Lea Ruckpaul
Truffaldino
Christian Clauß
Video
Martin Heckmanns über Goldonis Lustspiel
Der Dramatiker Martin Heckmanns über Goldonis Lustspiel als Medizin gegen unsere Ich-Besessenheit
„Der Depressive ist erschöpft von der Anstrengung, er selbst werden zu müssen“, schreibt der französische Soziologe Alain Ehrenberg und diagnostiziert die Depression als Krankheit unserer Zeit, in der das Individuum an- und ausdauernd an seine Verantwortung zur Selbstverbesserung und Eigeninitiative erinnert wird.
Truffaldino, der Diener zweier Herren in Carlo Goldonis Komödie gleichen Namens, kennt diese Anstrengung nicht. Er wird hin und hergerissen zwischen den Forderungen seiner beiden Geldgeber, verstellt, verlegt, versetzt, wandelt und lobt sich am Ende (weil es sonst keiner tut) für seine Umgangsformen und seine Menschenkenntnis. Truffaldino gewinnt Spielräume durch seine Rollenwechsel und ist auch deshalb die witzigste, also geistreichste Figur. Während die hohen Herren die Form wahren, weiß der Diener die Freiräume zwischen seinen Anstellungsverpflichtungen lustvoll zu nutzen. Der Prügelknabe spiegelt die Herrschaftsverhältnisse und nimmt dafür stellvertretend auch die Stockschläge hin als die andere Seite des Lohns. Dass er weder lesen noch schreiben kann, hilft ihm, sich nicht festlegen zu müssen. Ein und derselbe sein zu müssen, käme ihm nicht in den Sinn.
„Was wollen sie? Wer sind sie? Von wem sind sie geschickt?“, das sind die schweren ersten Fragen des Stücks an Truffaldino. „Drei Fragen auf einmal sind zuviel für einen armen Teufel. Sind Sie schon verlobt?“, erwidert der Teufel und setzt das Spiel in Gang.
Es gibt bei Goldoni keine Bürgergestalten, die ein Trauma vor sich her tragen, in der Gegenwart Fremder ihre Neurosen behandeln und in der Zukunft die Möglichkeit ihrer Selbstverwirklichung sehen. Stattdessen treiben exzentrische Figuren ihr lustbetontes Verwechslungsspiel, das von Sinnlichkeit und konkreten Bedürfnissen geleitet ist.
Die Antriebskraft der Hauptfigur ist: Hunger, unmetaphorisch. Kein Hunger nach Sinn oder metaphysischem Obdach, sondern Hunger auf Brötchen, Klopse, Schaffleisch, Frikassee, Pastete, Salat und Pudding (Bearbeiternotiz: Speiseplan-Szene kürzen!). Truffaldino ist kein Feinschmecker, sondern ein Allesfresser. Er nimmts, wies kommt. Und es kommt immer dicker. Und als alles zu platzen droht, kommt der Zufall zu Hilfe. Und am Ende, das ist der Horror der Komödie, wird gegen jede Wahrscheinlichkeit alles gut.
Im christlichen Mysterientheater war der Spielleiter eine weise Instanz mit moralischer Aufsicht. Bei Goldoni ist der Antreiber ein schlauer Narr mit handfesten Interessen, der Diener wird zum Herrn. Seine Züge sind durchschaubar, die Wege des Geschicks aber bleiben unergründlich. Mit seinen Lügen arrangiert er zu seiner eigenen Überraschung und zur allgemeinen Zufriedenheit am Ende drei Hochzeiten. Et hät noch emmer joot jejange (es ist noch immer gut gegangen), wie es auf Kölsch so schön heißt (das dem Italienischen nicht nur durchs Katholische ähnlich ist). Vertrauen ist Reduktion von Komplexität.
Truffaldino, der Diener zweier Herren in Carlo Goldonis Komödie gleichen Namens, kennt diese Anstrengung nicht. Er wird hin und hergerissen zwischen den Forderungen seiner beiden Geldgeber, verstellt, verlegt, versetzt, wandelt und lobt sich am Ende (weil es sonst keiner tut) für seine Umgangsformen und seine Menschenkenntnis. Truffaldino gewinnt Spielräume durch seine Rollenwechsel und ist auch deshalb die witzigste, also geistreichste Figur. Während die hohen Herren die Form wahren, weiß der Diener die Freiräume zwischen seinen Anstellungsverpflichtungen lustvoll zu nutzen. Der Prügelknabe spiegelt die Herrschaftsverhältnisse und nimmt dafür stellvertretend auch die Stockschläge hin als die andere Seite des Lohns. Dass er weder lesen noch schreiben kann, hilft ihm, sich nicht festlegen zu müssen. Ein und derselbe sein zu müssen, käme ihm nicht in den Sinn.
„Was wollen sie? Wer sind sie? Von wem sind sie geschickt?“, das sind die schweren ersten Fragen des Stücks an Truffaldino. „Drei Fragen auf einmal sind zuviel für einen armen Teufel. Sind Sie schon verlobt?“, erwidert der Teufel und setzt das Spiel in Gang.
Es gibt bei Goldoni keine Bürgergestalten, die ein Trauma vor sich her tragen, in der Gegenwart Fremder ihre Neurosen behandeln und in der Zukunft die Möglichkeit ihrer Selbstverwirklichung sehen. Stattdessen treiben exzentrische Figuren ihr lustbetontes Verwechslungsspiel, das von Sinnlichkeit und konkreten Bedürfnissen geleitet ist.
Die Antriebskraft der Hauptfigur ist: Hunger, unmetaphorisch. Kein Hunger nach Sinn oder metaphysischem Obdach, sondern Hunger auf Brötchen, Klopse, Schaffleisch, Frikassee, Pastete, Salat und Pudding (Bearbeiternotiz: Speiseplan-Szene kürzen!). Truffaldino ist kein Feinschmecker, sondern ein Allesfresser. Er nimmts, wies kommt. Und es kommt immer dicker. Und als alles zu platzen droht, kommt der Zufall zu Hilfe. Und am Ende, das ist der Horror der Komödie, wird gegen jede Wahrscheinlichkeit alles gut.
Im christlichen Mysterientheater war der Spielleiter eine weise Instanz mit moralischer Aufsicht. Bei Goldoni ist der Antreiber ein schlauer Narr mit handfesten Interessen, der Diener wird zum Herrn. Seine Züge sind durchschaubar, die Wege des Geschicks aber bleiben unergründlich. Mit seinen Lügen arrangiert er zu seiner eigenen Überraschung und zur allgemeinen Zufriedenheit am Ende drei Hochzeiten. Et hät noch emmer joot jejange (es ist noch immer gut gegangen), wie es auf Kölsch so schön heißt (das dem Italienischen nicht nur durchs Katholische ähnlich ist). Vertrauen ist Reduktion von Komplexität.
Alle Personen (und „persona“ heißt Maske) in diesem italienischen Lustspiel beichten regelmäßig beiseite in Richtung Publikum, was sie gerade wieder für eine Untat begangen haben. Und diese Beichte erleichtert ihnen den nächsten Zug im Intrigenspiel. Wenn diese Komödie eine Moral haben sollte (aber wahrscheinlich hat sie keine), dann: Prosit Verstellung, Salute Entfremdung, Vivat Rollenspiel!
Der Diener zweier Herren hieße heute wahrscheinlich Multitasker und die Herren hätten sich vervielfältigt oder wären ins individuelle Bewusstsein gewandert. Was Truffaldino noch in die Überforderung trieb, beherrscht heute jeder Callcenter-Agent. Für eine Bearbeitung bedeutet das vor allem, das Tempo zu verschärfen, um den überdrehten Witz zu treffen. Der Materialismus der Figuren dagegen scheint keiner Aktualisierung zu bedürfen: Die Anstellung bestimmt die Einstellung –, klingt wie eine vorweggenommene Marx-Übersetzung.
Und die Komödienform hat die knapp vierhundert Jahre so unbeschädigt lebendig überstanden, dass man an anthropologische Konstanten glauben könnte.
Wie die Figuren ist auch das Stück: formbewusst. Und das Stück ist wie seine Figuren: konstruiert. Als Marionetten gewinnen sie Leichtigkeit. An ihrem Innenleben sind diese Figuren zu ihrem Glück nicht besonders interessiert. Und der heutige Zuschauer kann sich wundern, dass es das einmal gegeben haben soll: Lust ohne Selbstbespiegelung.
Gegen die Depression und den „Terror der Intimität“, der unsere Zeit der Ich-Besessenheit und Intimperformance beherrsche, empfiehlt der koreanische Philosoph Byung-Chul Han als Heilmittel Distanz und Formbewusstsein, wesentliche Voraussetzung für den Witz und das Rollenspiel. Wir empfehlen Goldoni.
Martin Heckmanns zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen deutschen Dramatikern. Seine Theaterstücke wurden international gespielt und vielfach ausgezeichnet. Zudem sind sie regelmäßig zu renommierten Festivals für neue Dramatik eingeladen, u. a. zu den Mülheimer Theatertagen und zum Heidelberger Stückemarkt. Am Staatsschauspiel Dresden war Martin Heckmanns von 2009 bis 2012 als Hausautor und Dramaturg tätig. Sein Theaterprolog „Zukunft für immer“ eröffnete die Spielzeit 2009/2010, „Vater Mutter Geisterbahn“ inszenierte Christoph Frick in der Saison 2011/2012.
Der Diener zweier Herren hieße heute wahrscheinlich Multitasker und die Herren hätten sich vervielfältigt oder wären ins individuelle Bewusstsein gewandert. Was Truffaldino noch in die Überforderung trieb, beherrscht heute jeder Callcenter-Agent. Für eine Bearbeitung bedeutet das vor allem, das Tempo zu verschärfen, um den überdrehten Witz zu treffen. Der Materialismus der Figuren dagegen scheint keiner Aktualisierung zu bedürfen: Die Anstellung bestimmt die Einstellung –, klingt wie eine vorweggenommene Marx-Übersetzung.
Und die Komödienform hat die knapp vierhundert Jahre so unbeschädigt lebendig überstanden, dass man an anthropologische Konstanten glauben könnte.
Wie die Figuren ist auch das Stück: formbewusst. Und das Stück ist wie seine Figuren: konstruiert. Als Marionetten gewinnen sie Leichtigkeit. An ihrem Innenleben sind diese Figuren zu ihrem Glück nicht besonders interessiert. Und der heutige Zuschauer kann sich wundern, dass es das einmal gegeben haben soll: Lust ohne Selbstbespiegelung.
Gegen die Depression und den „Terror der Intimität“, der unsere Zeit der Ich-Besessenheit und Intimperformance beherrsche, empfiehlt der koreanische Philosoph Byung-Chul Han als Heilmittel Distanz und Formbewusstsein, wesentliche Voraussetzung für den Witz und das Rollenspiel. Wir empfehlen Goldoni.
Martin Heckmanns zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen deutschen Dramatikern. Seine Theaterstücke wurden international gespielt und vielfach ausgezeichnet. Zudem sind sie regelmäßig zu renommierten Festivals für neue Dramatik eingeladen, u. a. zu den Mülheimer Theatertagen und zum Heidelberger Stückemarkt. Am Staatsschauspiel Dresden war Martin Heckmanns von 2009 bis 2012 als Hausautor und Dramaturg tätig. Sein Theaterprolog „Zukunft für immer“ eröffnete die Spielzeit 2009/2010, „Vater Mutter Geisterbahn“ inszenierte Christoph Frick in der Saison 2011/2012.
Eine 267 Jahre alte Komödie so pur auf die Bühne zu bringen, ist ein mutiges Unterfangen aller Beteiligten. Das wurde vom Publikum auch frenetisch gewürdigt.“