Premiere 16.03.2018
› Schauspielhaus
Die 10 Gebote
mit Schauspieler*innen und Bürger*innen
nach DEKALOG von Krzysztof Kieślowski und Krzysztof Piesiewicz
aus dem Polnischen von Beata Prochowska
für die Bühne bearbeitet von Nuran David Calis und David Benjamin Brückel
nach DEKALOG von Krzysztof Kieślowski und Krzysztof Piesiewicz
aus dem Polnischen von Beata Prochowska
für die Bühne bearbeitet von Nuran David Calis und David Benjamin Brückel
Handlung
In DEKALOG, seinem legendären Filmzyklus aus den späten 1980er Jahren, widmet sich der polnische Autorenfilmer Krzysztof Kieślowski mit jeweils einem kurzen Spielfilm einem der Zehn Gebote aus dem Alten Testament. Die Politik und der eintönige Alltag mit seiner Bürokratie, mit Käuferschlangen vor den Geschäften, Treibstoffmangel und der Teuerung als permanentem Gesprächsthema bleiben weitgehend ausgeklammert. Stattdessen handeln die lose mit den Zehn Geboten verknüpften Filme in sehr dichten, zugespitzten Episoden von den Leidenschaften, Geheimnissen und Verstrickungen menschlicher Existenz. Die Figuren des Zehnteilers bewohnen eine Plattenbausiedlung am Rande Warschaus. „Hinter jedem Fenster lebt jemand, in dessen Kopf, dessen Herz oder noch besser in dessen Bauch hineinzuschauen lohnenswert wäre“, schreibt der Filmemacher. Da sind z. B. Krzysztof, der ganz und gar dem digitalen Gott vertraut und dadurch seinen zehnjährigen Sohn opfert, Dorota, die ein Kind von ihrem Geliebten erwartet, während ihr Mann Andrzej im Sterben liegt, Jacek, der den Taxifahrer Waldemar brutal ermordet, die junge Majka, die ihr eigenes Kind entführt oder die zwei ungleichen Brüder Jurek und Artur, die einander jahrelang aus dem Weg gegangen sind, plötzlich eine wertvolle Briefmarkensammlung erben und einander um den Gewinn bringen wollen. In der Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden werden Kieślowskis fiktionale Spielszenen mit Erzählungen aus der Lebenswirklichkeit von Dresdner Bürger*innen verbunden, die sich ebenfalls assoziativ auf die Zehn Gebote beziehen. Da ist u. a. die Rede von der Schwierigkeit, Vater und Mutter zu ehren, vom Verlust des Mannes, der die Ehe bricht, indem er sich umbringt, oder dem Bruder, der zum Islam konvertiert, mit einem Freund nach Syrien ausreist und dort in einem Auffanglager des sogenannten Islamischen Staats landet. Auf der Bühne verbinden sich Film- und Theatersprache. Mit einem gemischten Ensemble aus Bürger*innen und Schauspieler*innen geht es um die Frage, welche Bedeutung die Zehn Gebote heute für uns haben, in religiöser, moralischer und politischer Hinsicht.
Regie führt Nuran David Calis, der sich in seiner Arbeit häufig mit Glaubensfragen beschäftigt und dafür im November 2017 mit dem Ludwig-Mülheims-Preis ausgezeichnet wurde, der die offene Begegnung des Theaters mit dem Thema Religion fördert. Am Staatsschauspiel Dresden inszenierte Nuran David Calis bereits PEER GYNT, ENDSTATION SEHNSUCHT und DIE JÜDIN VON TOLEDO.
Regie führt Nuran David Calis, der sich in seiner Arbeit häufig mit Glaubensfragen beschäftigt und dafür im November 2017 mit dem Ludwig-Mülheims-Preis ausgezeichnet wurde, der die offene Begegnung des Theaters mit dem Thema Religion fördert. Am Staatsschauspiel Dresden inszenierte Nuran David Calis bereits PEER GYNT, ENDSTATION SEHNSUCHT und DIE JÜDIN VON TOLEDO.
Dauer der Aufführung: 3 Stunden und 25 Minuten.
Eine Pause.
Eine Pause.
Besetzung
Regie
Nuran David Calis
Bühne
Kostüme
Musik
Dramaturgie
Licht
Schauspieler*innen
Bürger*innen
Jessica Behr, Gudrun Kleinbeckes, Bernd Kunath, Eva Müller, Mirko Näger-Guckeisen, Evelin Pallas, Cora Spalek, Ruth Marie Wendt
Musiker*innen
Therese Bendjus, Christiane Dumke, Franziska Maywald, Björn Reinemer, Andreas Rudolph, Pina Schubert
Wie beim Filmvorbild wirft diese wichtige Inszenierung des Dresdner Staatsschauspiels die Frage nach Grundlagen unseres Zusammenlebens auf, nicht moralisierend oder agitierend. Und das ist ja wohl die zentrale Frage in einer Gesellschaft, die sich über Grundwerte und ethische Minimalkonsense nicht mehr verständigen kann. Der große Weltschmerz bricht nicht über die Zuschauer herein. Er wird wie beim 30 Jahre zurückliegenden Film übersetzt in den großen Schmerz der Einzelnen in ihren heute erlebten Geschichten und damit wirksam nachvollziehbar.
Die Szenen packen, gehen unter die Haut, sind plausibel und lassen die Stunden unbemerkt verstreichen. Zuweilen gibt es Szenenbeifall für die authentische und Bewältigung ahnen lassende Art, wie Spieler der Bürgerbühne Schicksale schildern. Gudrun Kleinbeckes etwa, die den Selbstmord ihres Mannes als den ‚denkbar brutalsten Ehebruch‘ bezeichnet. Oder Bernd Kunath, der auf bewundernswerte Weise mit einem transplantierten Herzen lebt.
Es gibt eine klare Aufgabenteilung zwischen diesen erzählenden acht Bürgerinnen und Bürgern und den fünf ‚Profis‘, die die Szenen in wechselnden Rollen spielen. Der omnipräsenten, manchmal allegorisch wirkenden Figur im Film kommt Oliver Simon am nächsten. Holger Hübner, der Erzkomödiant, hat seine stärkste Szene im erschütternden Dialog mit seiner Tochter, die gar nicht seine biologische Tochter ist, eindringlich gespielt von Marie Jordan. Auch Anna-Katharina Muck in ihren stillen und vehementen Auftritten und Ismail Deniz hinterlassen einen stimmigen Eindruck. Erwähnung verdient der junge Mirko Näger-Guckeisen an der Schwelle zur Schauspielausbildung, der im Liebeskapitel sechs die Transe Magda spielt.
Gekonnt und stimmig adaptiert ist das Bühnenbild von Irina Schicketanz. Kein Hochhaus wie im Film, aber ein vielfenstriger zweistöckiger Kubus, an dessen Architektur sich manches einfallslose so genannte Stadthaus noch eine Scheibe abschneiden könnte. Hinter den Glasflächen spielen sich die scheinbar alltäglichen Szenen in durchschnittlichen Zimmern ab, werden aber auch lebende Bilder von symbolischer Kraft gestellt. Die Rückfront dient gemeinsam mit einem kastenförmigen Aufsatz als Video-Projektionsfläche. An der Rampe sind rechts und links zwei Tische aufgestellt, an denen die Bürgerinnen und Bürger und die sechs Laienmusiker wie zum Kaffeeplausch sitzen. Hier erfasst sie auch die Kamera. Die Musik Vivan Bhattis mutet den Amateuren nicht zu viel zu, trifft aber die jeweilige Atmosphäre bis hin zu Jazz und Folk-Anklängen.
Zu Recht gab es herzlichen Beifall für dieses lebensnahe Theater, dessen Geschichten nicht so konstruierte Ausnahmefälle sind, wie es in Pausengesprächen gelegentlich anklang.“
Die Schauspieler aus dem Ensemble, allen voran Anna-Katharina Muck, Holger Hübner und Oliver Simon, haben tüchtig zu tun, eilen von Episode zu Episode. Mit ständig wechselnden Kleidern und Perücken, gut ausgewählt von Kostümbildnerin Geraldine Arnold. Schwerer haben es die Laiendarsteller ganz in Schwarz gewandet tragen sie leise und bedachtsam ihre Texte vor. Sie haben nur sich und ihre traumatischen Erinnerungen.“
Nuran David Calis, der die filmische Vorlage gemeinsam mit dem Dramaturgen Benjamin Brückel für die Bühne bearbeitet hat, setzt auf das gesprochene Wort. Zwar spielt auch in seiner Inszenierung das Medium Film in Form von Live-Videos eine entscheidende Rolle, dient aber eher als Lupe, um die Gesichter einzelner Akteure ins Überdimensionierte zu vergrößern oder Szenen aus dem Inneren des white cube, der sich an diesem Abend beständig um sich drehen darf, auf dessen Außenwand zu projizieren.
Die Riege der professionellen Schauspieler darf die stark auf ihre jeweilige Kernhandlung eingedampften szenischen Vorlagen Kieślowskis umsetzen, was hauptsächlich im white cube geschieht, der vier Zimmer mit bodentiefen Fenstern aufweist. Die Musiker erzeugen einen fein austarierten Klangteppich. Die beteiligten Dresdner Bürger streuen zwischen Kieślowskis Szenenvorlagen Erzählungen ihrer eigenen Schicksale ein.“
Eine ambitionierte Theaterarbeit. Sehenswert auf jeden Fall.“
Noch viel spannender als die Theaterszenen sind allerdings die eingeflochtenen Berichte von Dresdner Bürgern. Es sind zutiefst berührende Lebensgeschichten, bei denen man sich manchmal sorgt, ob der Redner die Kraft hat, sie zu Ende zu erzählen.
‚Die 10 Gebote‘ sind harte Kost. Erzählt und gespielt werden fast ausnahmslos schwermütige, verkorkste, vertrackte Lebensgeschichten. Das Stück wirft dabei die drei großen Menschheitsfragen auf: nach dem Sinn des Lebens, nach dem Umgang mit Schuld und – ein wenig nur – nach dem Finden von Gott. Mit Antworten hält sich dieser Abend zurück. Man lernt: Ohne Aussicht auf Erlösung sind die Zehn Gebote der größte Murks.“