Premiere 09.01.2015
› Kleines Haus 1
Die Panne
Komödie von Friedrich Dürrenmatt
Handlung
Was ist Schuld? Wie kann man sie messen? Und wie übernimmt man Verantwortung für seine Taten? Die Frage nach Gerechtigkeit und Schuld sind zentrale Themen in Dürrenmatts Komödie „Die Panne“. Erzählt wird die Geschichte von Alfredo Traps, der aufgrund einer Autopanne seine Heimreise unterbrechen muss. Bei einem pensionierten Richter findet Traps Unterschlupf. So verbringt er den Abend mit seinem Gastgeber und dessen ehemaligen, ebenfalls pensionierten Kollegen: ein Richter, ein Staatsanwalt, ein Verteidiger und ein Henker. Und während sich das Abendessen als eine stundenlange Völlerei mit einer Vielzahl von Gängen und erlesenen Weinen entpuppt, erzählen die vier Alten Traps, dass sie in ihrer Freizeit ihren früheren Berufen nachgehen und berühmte Prozesse nachspielen. Da ihnen für diesen Abend ein Angeklagter fehlt, ermuntern sie Traps, diese Rolle einzunehmen, der dankend annimmt. Traps, überzeugt von der eigenen tadellosen Schuldlosigkeit, gerät jedoch durch das perfide Spiel der Alten zunehmend in Bedrängnis. Es entwickelt sich ein krudes Spiel – vielschichtig und bizarr. Am Ende der Fressorgie liegt ein Todesurteil auf dem Tisch. Die Grenzen des Spiels sind verwischt; die Fiktion in die Realität überführt.
Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) gehört zu den bedeutendsten schweizerischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Das Tragisch-Groteske zieht sich durch sein dramatisches Werk ebenso wie durch die Prosa. Auch DIE PANNE steht in einer Tradition von Texten, die an der Grenze zwischen Tragödie und Satire die Untiefen der bürgerlichen Seele ausleuchten. Regie führt der Schweizer Roger Vontobel, der für seine Inszenierung von Schillers DON CARLOS am Staatsschauspiel Dresden mit dem deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet wurde. In Dresden inszenierte er u. a. William Shakespeares HAMLET und zuletzt die Uraufführung von Aldous Huxleys SCHÖNE NEUE WELT.
Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) gehört zu den bedeutendsten schweizerischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Das Tragisch-Groteske zieht sich durch sein dramatisches Werk ebenso wie durch die Prosa. Auch DIE PANNE steht in einer Tradition von Texten, die an der Grenze zwischen Tragödie und Satire die Untiefen der bürgerlichen Seele ausleuchten. Regie führt der Schweizer Roger Vontobel, der für seine Inszenierung von Schillers DON CARLOS am Staatsschauspiel Dresden mit dem deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet wurde. In Dresden inszenierte er u. a. William Shakespeares HAMLET und zuletzt die Uraufführung von Aldous Huxleys SCHÖNE NEUE WELT.
Besetzung
Regie
Roger Vontobel
Bühne
Aurel Lenfert
Kostüme
Musik
Keith O'Brien
Licht
Björn Gerum
Dramaturgie
Staatsanwalt Zorn alternierend
Rainer Philippi
Alfredo Traps
Ben Daniel Jöhnk
Richter Wucht
Staatsanwalt Zorn
Strafverteidiger Kummer
Henker Pilet
Jochen Kretschmer
Serviererin Simone
Annedore Bauer
Video
Klaus Cäsar Zehrer über „Die Panne“ von Friedrich Dürrenmatt
Hephaiston, so heißt das synthetische Gewebe, mit dem der Handelsreisende Alfredo Traps in Friedrich Dürrenmatts Komödie „Die Panne“ Geschäfte macht. Das Material – so lautet jedenfalls Traps’ Werbesprüchlein – ist „ebenso verwendbar in der Industrie wie in der Mode, für den Krieg wie für den Frieden, der vollendete Stoff für Fallschirme und zugleich die pikanteste Materie für Nachthemden schönster Damen“. Hephaistos, der Namensgeber von Hephaiston, war der Kunstschmied unter den griechischen Göttern, der seine Frau Aphrodite und ihren Liebhaber Ares in einem feinen, aber unzerstörbaren Netz gefangen nahm.
Wir ahnen es schon: Um unentrinnbare Verstrickungen geht es in dem Stück, um unklare Verhältnisse und darum, dass Rechtschaffenheit und Verbrechen manchmal so nah beieinander liegen wie der Stoff für ein Negligé und Fallschirmseide. Angesichts solch verschwimmender Grenzen zwischen harmlos und gefährlich, zwischen Gut und Böse hat die reguläre Justiz ihre Schwierigkeiten, Schuld von Unschuld zu trennen.
Diese Aufgabe übernimmt im Stück das Feierabendgericht, das der greise Exrichter Wucht gemeinsam mit seinen Freunden, allesamt ehemalige Juristen, betreibt. Die Pensionäre führen als Hobby, ihre alten Berufe nachspielend, in Wuchts Privathaus Prozesse durch. Traps, der wegen einer Autopanne zufällig in der Runde landet, erklärt sich dazu bereit, in einem solchen Prozess die Rolle des Angeklagten zu übernehmen – nichts als ein „vergnügliches Gesellschaftsspiel“, wie er glaubt. Zwar gibt es kein konkretes Vergehen, das Traps zur Last gelegt werden könnte, aber das ist, so Richter Wucht, das geringste Problem: „Ein Verbrechen lässt sich immer finden.“
In der Tat: Als während der – von einem opulenten Gast-mahl und einem exzessiven Weinbesäufnis begleiteten – Verhandlung Traps’ Leben durchleuchtet wird, stößt der alte Staatsanwalt Zorn schnell auf einen wunden Punkt. Herr Gygax, Traps’ ehemaliger Chef, starb an einem Herzinfarkt, woraufhin Traps dessen gut dotierten Posten übernehmen konnte. Ist Traps der Todesfall anzulasten? Das ist Ansichtssache. Der Staatsanwalt interpretiert das Ereignis als raffiniert verdeckten heimtückischen Mord. Kummer, der den Strafverteidiger spielt, deutet es als Unglücksfall, an dem Traps keine Schuld hat. Beide Sichtweisen sind in sich schlüssig, und so spricht Richter Wucht denn auch zwei Urteile: Einmal verurteilt er Traps zum Tode, einmal spricht er ihn frei.
Nicht nur den Richterspruch gibt es in verschiedenen Versionen. Dürrenmatt hat DIE PANNE mehrfach erzählt, zuerst 1956 als Hörspiel für den Bayerischen Rundfunk; kurz darauf schrieb er es zur Novelle um, dann noch einmal zum Drehbuch für ein Fernsehspiel. Mehr als zwanzig Jahre später folgte die Bühnenfassung.
Wir ahnen es schon: Um unentrinnbare Verstrickungen geht es in dem Stück, um unklare Verhältnisse und darum, dass Rechtschaffenheit und Verbrechen manchmal so nah beieinander liegen wie der Stoff für ein Negligé und Fallschirmseide. Angesichts solch verschwimmender Grenzen zwischen harmlos und gefährlich, zwischen Gut und Böse hat die reguläre Justiz ihre Schwierigkeiten, Schuld von Unschuld zu trennen.
Diese Aufgabe übernimmt im Stück das Feierabendgericht, das der greise Exrichter Wucht gemeinsam mit seinen Freunden, allesamt ehemalige Juristen, betreibt. Die Pensionäre führen als Hobby, ihre alten Berufe nachspielend, in Wuchts Privathaus Prozesse durch. Traps, der wegen einer Autopanne zufällig in der Runde landet, erklärt sich dazu bereit, in einem solchen Prozess die Rolle des Angeklagten zu übernehmen – nichts als ein „vergnügliches Gesellschaftsspiel“, wie er glaubt. Zwar gibt es kein konkretes Vergehen, das Traps zur Last gelegt werden könnte, aber das ist, so Richter Wucht, das geringste Problem: „Ein Verbrechen lässt sich immer finden.“
In der Tat: Als während der – von einem opulenten Gast-mahl und einem exzessiven Weinbesäufnis begleiteten – Verhandlung Traps’ Leben durchleuchtet wird, stößt der alte Staatsanwalt Zorn schnell auf einen wunden Punkt. Herr Gygax, Traps’ ehemaliger Chef, starb an einem Herzinfarkt, woraufhin Traps dessen gut dotierten Posten übernehmen konnte. Ist Traps der Todesfall anzulasten? Das ist Ansichtssache. Der Staatsanwalt interpretiert das Ereignis als raffiniert verdeckten heimtückischen Mord. Kummer, der den Strafverteidiger spielt, deutet es als Unglücksfall, an dem Traps keine Schuld hat. Beide Sichtweisen sind in sich schlüssig, und so spricht Richter Wucht denn auch zwei Urteile: Einmal verurteilt er Traps zum Tode, einmal spricht er ihn frei.
Nicht nur den Richterspruch gibt es in verschiedenen Versionen. Dürrenmatt hat DIE PANNE mehrfach erzählt, zuerst 1956 als Hörspiel für den Bayerischen Rundfunk; kurz darauf schrieb er es zur Novelle um, dann noch einmal zum Drehbuch für ein Fernsehspiel. Mehr als zwanzig Jahre später folgte die Bühnenfassung.
Der Novelle stellt er einige programmatische Überlegungen voran. Es sei, so Dürrenmatt, das „Schreiben schwieriger und einsamer, auch sinnloser“ geworden, denn in einer „Welt der Pannen“ werde das Schicksal nicht mehr von den Charakteren und ihrem Handeln bestimmt, sondern von Unfällen. Konkret nennt er „Verkehrsunfälle, Deichbrüche infolge Fehlkonstruktion, Explosion einer Atombombenfabrik, hervorgerufen durch einen zerstreuten Laboranten, falsch eingestellte Brutmaschinen“. Im Theaterstück von 1979 lässt er Richter Wucht weitere Katastrophen aufzählen, die das Leben des Einzelnen jederzeit aus der Bahn bringen können: „undichte Virenkulturen, gigantische Fehlspekulationen, explodierende Chemieanlagen, unermessliche Schiebungen, durchschmelzende Atomreaktoren, zerberstende Öltanker“ und so fort. Es sei eine „Welt der schuldigen Schuldlosen und der schuldlosen Schuldigen“, eine „Welt, in der niemand mehr schuldig sein will, in der die schändlichsten Verbrechen begangen werden, weil sie angeblich entweder unvermeidbar sind, um das Weltgetriebe in Gang zu halten, oder notwendig, um die Veränderung dieses Weltgetriebes herbeizuführen“.
In der Welt von heute sind die schändlichen Verbrechen, bei denen die Schuldfrage diffus bleibt, nicht geringer geworden. Ob im Golf von Mexiko das Meer von einem undichten Ölbohrloch verseucht wird oder in Bangladesch eine Textilfabrik einstürzt, ob Südseeinseln vom steigenden Meeresspiegel verschlungen oder in Duisburg junge Menschen auf dem Weg zu einer Tanzparty in der Menge zerquetscht werden: All diese Katastrophen sind Pannen, von niemandem beabsichtigt und doch menschengemacht. Und nirgendwo findet sich ein Alfredo Traps, der seinen Schuldspruch einsichtig, ja begierig annimmt und sich empört dagegen wehrt, von seiner Verantwortung freigesprochen zu werden. Eine so unwahrscheinliche Figur kommt, wie es scheint, nur in der Komödie vor.
Wie es dem Schuldlos-Schuldigen ergeht, das bleibt bei Dürrenmatt einmal mehr variabel. Die verschiedenen Fassungen von „Die Panne“ enden unterschiedlich. Im Hörspiel und in der Fernsehfassung erwacht Traps am nächsten Morgen verkatert, aber unversehrt. In der Erzählung vollstreckt er das Todesurteil selbst und erhängt sich. Das Theaterstück führt das Motiv der Katastrophe als Zufallsprodukt am konsequentesten zu Ende: Traps richtet sich versehentlich selbst hin – ein tödlicher Schicksalsschlag, ausgeteilt vom Zufallsgenerator des modernen Lebens.
Eine Panne.
Klaus Cäsar Zehrer ist freier Autor und Herausgeber und lebt in Berlin. Er hat zum Thema Dialektik der Satire promoviert und schreibt u. a. Humorkritiken für das Satiremagazin „Titanic“. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit dem Illustrator Fil das Kinderbuch „Der Kackofant“.
In der Welt von heute sind die schändlichen Verbrechen, bei denen die Schuldfrage diffus bleibt, nicht geringer geworden. Ob im Golf von Mexiko das Meer von einem undichten Ölbohrloch verseucht wird oder in Bangladesch eine Textilfabrik einstürzt, ob Südseeinseln vom steigenden Meeresspiegel verschlungen oder in Duisburg junge Menschen auf dem Weg zu einer Tanzparty in der Menge zerquetscht werden: All diese Katastrophen sind Pannen, von niemandem beabsichtigt und doch menschengemacht. Und nirgendwo findet sich ein Alfredo Traps, der seinen Schuldspruch einsichtig, ja begierig annimmt und sich empört dagegen wehrt, von seiner Verantwortung freigesprochen zu werden. Eine so unwahrscheinliche Figur kommt, wie es scheint, nur in der Komödie vor.
Wie es dem Schuldlos-Schuldigen ergeht, das bleibt bei Dürrenmatt einmal mehr variabel. Die verschiedenen Fassungen von „Die Panne“ enden unterschiedlich. Im Hörspiel und in der Fernsehfassung erwacht Traps am nächsten Morgen verkatert, aber unversehrt. In der Erzählung vollstreckt er das Todesurteil selbst und erhängt sich. Das Theaterstück führt das Motiv der Katastrophe als Zufallsprodukt am konsequentesten zu Ende: Traps richtet sich versehentlich selbst hin – ein tödlicher Schicksalsschlag, ausgeteilt vom Zufallsgenerator des modernen Lebens.
Eine Panne.
Klaus Cäsar Zehrer ist freier Autor und Herausgeber und lebt in Berlin. Er hat zum Thema Dialektik der Satire promoviert und schreibt u. a. Humorkritiken für das Satiremagazin „Titanic“. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit dem Illustrator Fil das Kinderbuch „Der Kackofant“.