Premiere 14.01.2012
› Schauspielhaus
Der zerbrochne Krug
Komödie von Heinrich von Kleist
Handlung
Der Dorfrichter Adam hat einen Kater, und zerschunden im Gesicht ist er auch – es ist wohl später geworden, gestern Abend. Trotzdem: Heute ist Gerichtstag, und zu allem Überfluss steht der Richter unter Beobachtung. Der Rat Walter ist zu Gast, ihm auf die Finger zu schauen, wie es denn wohl so steht um die Rechtspflege auf dem platten Land. Und gleich der erste Fall hat es in sich. Die Witwe Marthe Rull klagt an, der Ruprecht, der Knecht, habe ihre Tochter bedrängt und bei der überstürzten Flucht aus dem Haus ihren so wertvollen Krug zerschlagen. Sagt sie. Doch schon bald erscheint die Sache in ganz anderem Licht ...
Kleists Drama vom Krug, der zerbrach, und von der Suche nach dem Schuldigen, die der Dorfrichter Adam leitet, der es doch am Ende selber war, ist laut Untertitel ein „Lustspiel“, eine Komödie. Und in der Tat hat es viel Komisches, dabei zuzusehen, wie sich einer im Gespinst seiner eigenen Lügen verstrickt und schließlich zu Fall kommt. Doch kann natürlich in einem Theatertext des Dichters Kleist nicht nur von der Komik die Rede sein; bei diesem Dichter, dessen Figuren sich nie gradlinig durchs Leben bewegen. Sie sind Taumelnde, Stürzende, Haltlose. Im ZERBROCHNEN KRUG gähnen auch schon bald die Abgründe hinter und unter den Personen auf – was wie eine Provinzposse um Schuld, Lug und Betrug daherkommt, erweist sich schnell als ein Drama um Macht und Machtmissbrauch, es erzählt in der kleinen Welt von der großen – komisch und ernst zugleich.
Nach seinem vielumjubelten und mehrfach preisgekrönten DON CARLOS wird der Regisseur Roger Vontobel zum zweiten Mal in Dresden inszenieren – wieder ist Burghart Klaußner mit von der Partie, er übernimmt die Rolle des Dorfrichters Adam. Sonja Beißwenger spielt den Gerichtsrat Walter und Ahmad Mesgarha den Schreiber Licht.
Kleists Drama vom Krug, der zerbrach, und von der Suche nach dem Schuldigen, die der Dorfrichter Adam leitet, der es doch am Ende selber war, ist laut Untertitel ein „Lustspiel“, eine Komödie. Und in der Tat hat es viel Komisches, dabei zuzusehen, wie sich einer im Gespinst seiner eigenen Lügen verstrickt und schließlich zu Fall kommt. Doch kann natürlich in einem Theatertext des Dichters Kleist nicht nur von der Komik die Rede sein; bei diesem Dichter, dessen Figuren sich nie gradlinig durchs Leben bewegen. Sie sind Taumelnde, Stürzende, Haltlose. Im ZERBROCHNEN KRUG gähnen auch schon bald die Abgründe hinter und unter den Personen auf – was wie eine Provinzposse um Schuld, Lug und Betrug daherkommt, erweist sich schnell als ein Drama um Macht und Machtmissbrauch, es erzählt in der kleinen Welt von der großen – komisch und ernst zugleich.
Nach seinem vielumjubelten und mehrfach preisgekrönten DON CARLOS wird der Regisseur Roger Vontobel zum zweiten Mal in Dresden inszenieren – wieder ist Burghart Klaußner mit von der Partie, er übernimmt die Rolle des Dorfrichters Adam. Sonja Beißwenger spielt den Gerichtsrat Walter und Ahmad Mesgarha den Schreiber Licht.
Besetzung
Regie
Roger Vontobel
Bühne
Magda Willi
Kostüme
Dagmar Fabisch
Video und Musik
Immanuel Heidrich
Dramaturgie
Robert Koall
Licht
Björn Gerum
Walter, Gerichtsrat
Sonja Beißwenger
Adam, Dorfrichter
Burghart Klaußner
Licht, Schreiber
Frau Marthe Rull, Witwe, Eigentümerin des Kruges
Eve Rull, Marthe Rulls Tochter
Veit Tümpel, ein Bauer
Lars Jung
Ruprecht Tümpel, Veit Tümpels Sohn, Eves Verlobter
Sebastian Wendelin
Ruprecht Tümpel, Veit Tümpels Sohn, Eves Verlobter alternierend
Sascha Göpel
Frau Brigitte, eine Zeugin
Annedore Bauer
Video
Pressestimmen
Adams Fall
Als 1806 Kleists Drama vom Krug erschien, nannte es der Autor – der mäßig erfolgreiche Dramatiker Heinrich von Kleist, im Brotberuf ein Staatsbediensteter – ein „Lustspiel“. Eine Komödie also, ein Schwank vom Dorfe. Tatsächlich trägt das Stück Züge der Komödie, ergeht sich in Sprachspielereien und allerhand Verwechslungskomik. Doch trotzdem ist beim Lesen des Textes schnell klar, dass es sich um eines der schwärzesten, der abgründigsten Lustspiele der Dramenliteratur handelt.
Wie es bei Kleist so üblich ist, gönnt er seinen Figuren auch im „Krug“ keinen Frieden. Fehler, die Kleists Figuren begehen, sind nie folgenlos oder richten nur kleineren Schaden an. Wenn Kleists Figuren versagen, dann stürzen Burgen ein, fallen Götter, drohen Krieg, Tod oder doch zumindest ewige Schande. Darunter macht es der Autor nicht – und erzählt uns damit etwas über die Welt als einen feindlichen Ort, einen umgestürzten Hafen. Wie der Autor in seinem realen, unerlösten Leben, so kommen auch seine Figuren nie irgendwo an, verstehen nie wirklich die Welt und leiden an dem Wahnsinn unserer menschlichen Existenz.
Womit haben wir es im „Krug“ zu tun? Zunächst: Wo sind wir? Wir sind irgendwo im Nirgendwo. Auf dem platten Land, in der tiefen Provinz, in einem erfundenen Ort, den Kleist „Huisum“ genannt hat. Weitab von aller Welt, ein Tal der Ahnungslosen.
In Huisum haben es sich die Bewohner des Fleckens recht bequem miteinander gemacht. Man kennt sich, man hat eine Form des Zusammenlebens gefunden, eine Hand wäscht die andere. Und wenn es doch einmal zu einem Konflikt kommt, der nur mit Hilfe des Gesetzes gelöst werden kann, hat der Dorfrichter Adam ein halb joviales, halb legales System der Wahrheitsfindung und Rechtssprechung entwickelt, auf das sich in Huisum alle einigen können.
Doch nun droht Ungemach – natürlich von außen. Denn aus der Großstadt wurde der Gerichtsrat Walter nach Huisum abgesandt, um den Zustand der Rechtspflege auf dem platten Land zu überprüfen. Und was Walter vorfindet, ist: ein Saustall.
Das Dorf ist in Aufruhr, denn es ist etwas vorgefallen: Ein Krug ist zerbrochen worden, der Krug der Marthe Rull, er war ihr kostbar. Schlimmer noch: Den Krug zerbrach ein Mensch, der nachts und ertappt aus der Kammer ihrer Tochter Eve floh. Er entkam schwerverletzt, aber unerkannt. So weit, so unklar. Der Dorfrichter Adam wird schon Licht in die dunkle Angelegenheit bringen – und Rat Walter schaut ihm dabei auf die Finger.
Doch dieser Richter ist heute nicht gut in Form. Er hinkt, das Gesicht ist zerschunden, die standesgemäße Perücke fehlt. Und seine Form der Prozessführung ist mehr als zweifelhaft. Früh schon macht der Dichter Kleist klar: Hier sitzt nicht nur der Richter, sondern in Personalunion auch der Täter. Und nach und nach bemerken das auch alle auf der Bühne. Am Ende steht eine Flucht und ein verblüfftes Dorf.
So weit, so komödiantisch klar. Doch wie eingangs erwähnt: Der Heinrich von Kleist ist ein Dramatiker, der hinter der Lustspielfassade seines Stoffes Abgründe ungeahnten Ausmaßes gähnen lässt. Seine Geschichte vom Dorfrichter, der – von Alkohol und Geilheit befeuert – sein Amt missbraucht, um daraus erotischen Vorteil zu ziehen und dann versucht, die ganze Sache zu verschleiern, ist in Wahrheit die Geschichte eines weit größeren Skandals. Gegen Ende des Stückes nämlich zeigt sich, dass hinter dem Richter ein Staatsapparat steht, der leichtfertig mit dem Leben seiner Bürger spielt; der die jungen Männer des Landes in einen Wirtschaftskrieg ziehen lässt, der allein Handelsinteressen dient.
Wie es bei Kleist so üblich ist, gönnt er seinen Figuren auch im „Krug“ keinen Frieden. Fehler, die Kleists Figuren begehen, sind nie folgenlos oder richten nur kleineren Schaden an. Wenn Kleists Figuren versagen, dann stürzen Burgen ein, fallen Götter, drohen Krieg, Tod oder doch zumindest ewige Schande. Darunter macht es der Autor nicht – und erzählt uns damit etwas über die Welt als einen feindlichen Ort, einen umgestürzten Hafen. Wie der Autor in seinem realen, unerlösten Leben, so kommen auch seine Figuren nie irgendwo an, verstehen nie wirklich die Welt und leiden an dem Wahnsinn unserer menschlichen Existenz.
Womit haben wir es im „Krug“ zu tun? Zunächst: Wo sind wir? Wir sind irgendwo im Nirgendwo. Auf dem platten Land, in der tiefen Provinz, in einem erfundenen Ort, den Kleist „Huisum“ genannt hat. Weitab von aller Welt, ein Tal der Ahnungslosen.
In Huisum haben es sich die Bewohner des Fleckens recht bequem miteinander gemacht. Man kennt sich, man hat eine Form des Zusammenlebens gefunden, eine Hand wäscht die andere. Und wenn es doch einmal zu einem Konflikt kommt, der nur mit Hilfe des Gesetzes gelöst werden kann, hat der Dorfrichter Adam ein halb joviales, halb legales System der Wahrheitsfindung und Rechtssprechung entwickelt, auf das sich in Huisum alle einigen können.
Doch nun droht Ungemach – natürlich von außen. Denn aus der Großstadt wurde der Gerichtsrat Walter nach Huisum abgesandt, um den Zustand der Rechtspflege auf dem platten Land zu überprüfen. Und was Walter vorfindet, ist: ein Saustall.
Das Dorf ist in Aufruhr, denn es ist etwas vorgefallen: Ein Krug ist zerbrochen worden, der Krug der Marthe Rull, er war ihr kostbar. Schlimmer noch: Den Krug zerbrach ein Mensch, der nachts und ertappt aus der Kammer ihrer Tochter Eve floh. Er entkam schwerverletzt, aber unerkannt. So weit, so unklar. Der Dorfrichter Adam wird schon Licht in die dunkle Angelegenheit bringen – und Rat Walter schaut ihm dabei auf die Finger.
Doch dieser Richter ist heute nicht gut in Form. Er hinkt, das Gesicht ist zerschunden, die standesgemäße Perücke fehlt. Und seine Form der Prozessführung ist mehr als zweifelhaft. Früh schon macht der Dichter Kleist klar: Hier sitzt nicht nur der Richter, sondern in Personalunion auch der Täter. Und nach und nach bemerken das auch alle auf der Bühne. Am Ende steht eine Flucht und ein verblüfftes Dorf.
So weit, so komödiantisch klar. Doch wie eingangs erwähnt: Der Heinrich von Kleist ist ein Dramatiker, der hinter der Lustspielfassade seines Stoffes Abgründe ungeahnten Ausmaßes gähnen lässt. Seine Geschichte vom Dorfrichter, der – von Alkohol und Geilheit befeuert – sein Amt missbraucht, um daraus erotischen Vorteil zu ziehen und dann versucht, die ganze Sache zu verschleiern, ist in Wahrheit die Geschichte eines weit größeren Skandals. Gegen Ende des Stückes nämlich zeigt sich, dass hinter dem Richter ein Staatsapparat steht, der leichtfertig mit dem Leben seiner Bürger spielt; der die jungen Männer des Landes in einen Wirtschaftskrieg ziehen lässt, der allein Handelsinteressen dient.
Der Dorfrichter Adam erweist sich zum Ende als ein kleines Rädchen in einer gigantischen staatlichen Konspiration, die deshalb funktionieren konnte, weil der Staat und seine Organe auf perverse Art und Weise gleichgeschaltet sind. Bis eben dieses kleine Rädchen auf niederträchtigste Art und Weise fehlging – und damit das große Ganze gefährdete.
Am Ende freilich gelingt es dem Staat in Person des Gerichtsrats Walter, den Skandal zu vertuschen, die alte Ordnung wiederherzustellen. „Was ist wahr?“, fragt Walter, und es schwingt der Hohn des Gewinners mit in dieser rhetorischen Frage. Wahr ist am Ende dieses Stücks, was der Staat für wahr gelten lässt – nichts sonst.
Der Weg von Kleists fantastischem Huisum zum realen Deutschland und Sachsen 2012 ist nicht sehr weit. Kein anderes sächsisches Thema hat die lokalen und überregionalen Medien mehr beschäftigt als die Art und Weise, wie Justiz und Politik in den vergangenen Monaten Hand in Hand gingen. Juristische Absonderlichkeiten wie die Handy-Affäre, das Umgehen mit dem Thüringer Jugendpfarrer König oder die fragwürdige Durchsuchung des „Hauses der Begegnung“ hatten einen mehr als faden Beigeschmack. „In Sachsen geschehen Dinge, die könnte sich George Orwell nicht einmal vorstellen“, äußerte sich der Berliner Geschichtsprofessor Wolfgang Wippermann.
Gerne betonen die Theaterdramaturgien, wenn sie über ihre Stücke schreiben, die Aktualität eines vermeintlich alten Textes. Im Fall des „Krugs“ wünscht man sich fast, von der Realität nicht dauernd zurück ins Stück gestoßen zu werden. In Deutschland 2012, wo der vorige Bundespräsident einen Krieg als Mittel zur Wahrung von Handelsinteressen ansah. Wo dem noch amtierenden Nachfolger Einfluss- und Vorteilsnahme in großem Umfang vorgeworfen wird und er (zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes) auf längst verlorenem Posten um Amt und Würde ringt – wie die real-life-Ausgabe eines Kleistschen Adam. Wo auf lokaler und weltpolitischer Ebene längst ein Vorgehen üblich geworden ist, das den Bürger ernsthaft zweifeln lässt, wessen Interessen die gewählten Interessensvertreter eigentlich vertreten.
Als überdrehte Komödie, als absurdes Lustspiel, in dem die Welt außer Rand und Band geraten ist, lässt sich der „Krug“ zur Zeit kaum lesen – zuviel ist uns zu bekannt.
Robert Koall
Am Ende freilich gelingt es dem Staat in Person des Gerichtsrats Walter, den Skandal zu vertuschen, die alte Ordnung wiederherzustellen. „Was ist wahr?“, fragt Walter, und es schwingt der Hohn des Gewinners mit in dieser rhetorischen Frage. Wahr ist am Ende dieses Stücks, was der Staat für wahr gelten lässt – nichts sonst.
Der Weg von Kleists fantastischem Huisum zum realen Deutschland und Sachsen 2012 ist nicht sehr weit. Kein anderes sächsisches Thema hat die lokalen und überregionalen Medien mehr beschäftigt als die Art und Weise, wie Justiz und Politik in den vergangenen Monaten Hand in Hand gingen. Juristische Absonderlichkeiten wie die Handy-Affäre, das Umgehen mit dem Thüringer Jugendpfarrer König oder die fragwürdige Durchsuchung des „Hauses der Begegnung“ hatten einen mehr als faden Beigeschmack. „In Sachsen geschehen Dinge, die könnte sich George Orwell nicht einmal vorstellen“, äußerte sich der Berliner Geschichtsprofessor Wolfgang Wippermann.
Gerne betonen die Theaterdramaturgien, wenn sie über ihre Stücke schreiben, die Aktualität eines vermeintlich alten Textes. Im Fall des „Krugs“ wünscht man sich fast, von der Realität nicht dauernd zurück ins Stück gestoßen zu werden. In Deutschland 2012, wo der vorige Bundespräsident einen Krieg als Mittel zur Wahrung von Handelsinteressen ansah. Wo dem noch amtierenden Nachfolger Einfluss- und Vorteilsnahme in großem Umfang vorgeworfen wird und er (zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes) auf längst verlorenem Posten um Amt und Würde ringt – wie die real-life-Ausgabe eines Kleistschen Adam. Wo auf lokaler und weltpolitischer Ebene längst ein Vorgehen üblich geworden ist, das den Bürger ernsthaft zweifeln lässt, wessen Interessen die gewählten Interessensvertreter eigentlich vertreten.
Als überdrehte Komödie, als absurdes Lustspiel, in dem die Welt außer Rand und Band geraten ist, lässt sich der „Krug“ zur Zeit kaum lesen – zuviel ist uns zu bekannt.
Robert Koall