Uraufführung 21.08.2016
› Schlosstheater
Der Weltensammler
nach dem Roman von Ilija Trojanow
Handlung
Sir Richard Francis Burton ist eine der exzentrischsten Figuren des 19. Jahrhunderts. Als britischer Offizier und Forschungsreisender dringt er in kulturell wie geografisch unbekannte Regionen vor. Er übersetzt erstmals das Kamasutra und die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Seine Reiseberichte inspirierten nicht nur Karl May – sie liefern heute noch die Vorlage für abenteuerliche Graphic Novels. Schon früh ist dem jungen Burton das viktorianische England zu eng und zu bieder. Im Dienst der Britischen Ostindien-Kompanie lernt er in den Kolonien wie besessen Sprachen – bis zu 20 soll er schließlich beherrscht haben –, vertieft sich in fremde Religionen und reist zum Schrecken der einheimischen Behörden anonym herum. Seinen britischen Kollegen ist Burton schnell als „weißer Neger“ suspekt, binnen Kurzem zweifeln Einheimische nicht an seiner Identität als persischer Arzt auf Pilgerreise. So betritt er, zum Islam konvertiert, als einer der ersten Europäer die heiligen Stätten von Mekka und Medina. Burton gelingt es, Traditionen und Sprachen scheinbar wie Kleider an- und abzulegen. Seine Wandlungsfähigkeit befähigt ihn zur Spionage, doch geht er in dieser Funktion nie wirklich auf: Burton ist ein Weltensammler, ein begierig Lernender, der unaufhörlich suchen, aber auf gar keinen Fall finden will.
Ilija Trojanow vernetzt unterschiedliche Perspektiven auf Burton, lässt Begleiter zu Wort kommen und nutzt Protokolle, Briefe, Zeugenbefragungen. Burtons radikale Einverleibungen des Fremden eröffnen einen neuen Blick auf aktuelle Debatten um Integration, Herkunft und Heimat. Nicht Vergangenheit präge das Zugehörigkeitsgefühl eines Menschen, so Trojanow, entscheidend sei die Frage, wohin man gehen will.
Der junge Regisseur Johannes Ender, der sowohl in Damaskus studierte, als auch Uganda und Nepal bereiste, bringt den prämierten Roman im Schlosstheater mit drei Schauspielern und einem Chor zur Uraufführung.
Ilija Trojanow vernetzt unterschiedliche Perspektiven auf Burton, lässt Begleiter zu Wort kommen und nutzt Protokolle, Briefe, Zeugenbefragungen. Burtons radikale Einverleibungen des Fremden eröffnen einen neuen Blick auf aktuelle Debatten um Integration, Herkunft und Heimat. Nicht Vergangenheit präge das Zugehörigkeitsgefühl eines Menschen, so Trojanow, entscheidend sei die Frage, wohin man gehen will.
Der junge Regisseur Johannes Ender, der sowohl in Damaskus studierte, als auch Uganda und Nepal bereiste, bringt den prämierten Roman im Schlosstheater mit drei Schauspielern und einem Chor zur Uraufführung.
Besetzung
Regie
Johannes Ender
Bühne
Marie Gimpel
Kostüme
Claudio Pohle
Musik
Daniel Dominguez Teruel
Chorleitung
Christiane Büttig
Dramaturgie
Lucie Ortmann
Licht
Richard Francis Burton
Jasper Diedrichsen
Kundalini, Offizier, John Hanning Speke
Katharina Lütten
Naukaram, Offizier, Sa’ad, Sidi Mubarak Bombay
Christian Clauß
Trompete, Gitarre, Harmonika, Großwesir der Osmanen
Valentin Kleinschmidt
Schlagzeug, Gitarre, Großwesir der Osmanen
Chor
Christiane Büttig, Max Dreier, Lennart Fritzsch, Constanze Metz, Mats Nicolai, Carmen Pauli, Aileen Pönack, Romy Riffel
Äußerst gelungen.“
Wie kann man eine Geschichte wie diese in all ihrer Farbigkeit auf eine Theaterbühne bringen? Regisseur Johannes Ender hält sich den Anspruch vom Leib und reduziert die Mittel. Welch angenehme Zurückhaltung.
Die drei Schauspieler Jasper Diedrichsen, Katharina Lütten und Christian Clauß teilen sich die Rollen, bebildern den Text mit kleinen Gesten und winzigen Effekten. Der pantomimisch äußerst talentierte Clauß macht den indischen Diener, den britischen Offizier, den ägyptischen Führer. Er tänzelt durch die Rollen, erschafft mit wenigen Lauten ganze Räume. Jasper Diedrichsen, neu im Ensemble des Staatsschauspiels, gibt vorwiegend den Richard Burton. Er spielt ihn mit großer Präzision als nachdenklichen, besonnenen und nie überheblichen Mann. Der die Welt und die Menschen erfahren will und dafür das eigene Ich abgibt. ‚Halten Sie sich von allem Fremden fern‘, wird Burton anfangs gewarnt. Doch die Identität, sagt er später, wird dadurch bestimmt, wie die anderen einen sehen. ‚Das wollte ich spüren.‘
Nimmt man diesen Einstand der Interims-Intendanz am Dresdner Staatsschauspiel symbolisch, könnte es eine nachdenkliche Spielzeit werden – aber nicht unspannend.“
Ein eingespieltes Trio bilden Clauß und Diedrichsen mit der ebenfalls neu in Dresden engagierten Katharina Lütten, die mehrere Rollen, mal mehr erotisch, mal eher gendermäßig zu interpretieren hat, was ihr mit versierter Wandlungsfähigkeit gelingt. Christian Clauß wuselt als ein meistens aufgeregter Diener, Begleiter, Widerpart durch die Szenen. Fast ausschließlich mit ‚handgemachten‘ Mitteln und einfachen Requisiten, im Wechsel von darstellendem Spiel, Erzählung und Kommentar lassen sie eine ganze Welt erstehen, in der Fantasie, vor dem geistigen Auge oder als Modell. Marie Gimpel hat ein greifbares auf die Bühne gestellt, drei Kugelsegmente, die um eine gemeinsame Achse rotieren, an ein Observatorium erinnern, an einen Globus oder die Schalen einer Frucht, die sich gelegentlich mit goldenem Strahlen öffnet wie lockende Verheißung, Glanz des Morgenlandes, vor der sich jedoch auch auf brutalste Weise geschilderte Szenerien ausbreiten.
Claudia Pohle hat die Hauptakteure in locker das 19. Jahrhundert zitierende Kostüme gesteckt. Außerdem gibt es einen cabaretmäßig gekleideten, singenden und sprechenden Chor sowie mit Jannik Hinsch und Valentin Kleinschmidt zweimal fein ziselierende, mal expressiv donnernde Multinstrumentalisten, die auch als Großwesire taugen und Affen, die sich im Vorspiel laut bellend balgen, dabei, wie sich herausstellt, mutwillig mit dem Ölsack spielen, der die unersetzlichen Aufzeichnungen des Richard Francis Burton enthält.
Viel Beifall für ein insgesamt doch recht kurzweiliges und anregendes Spektakel.“
Burton (1821 – 1890) lebte wirklich. Er war Spion, Reisender, Sprachforscher. Jasper Diedrichsen führt Burton ein, wie er diese Theater-Reise über bleiben soll: rastlos, doch unbeirrt kosmopolitisch. Christian Clauß (herrlich als Diener in Passepartout-Manier) mit Präzision dagegen. Dritte im Bunde ist Katharina Lütten. Wunderbar agil, sinnlich, souverän.
Überirdisch genial das Bühnenbild von Marie Gimpel. Übersinnlich die Gesänge und Musiken.“