Uraufführung 23.09.2017 › Schauspielhaus

Der Weg ins Leben

nach Zeitzeugenberichten und unter Verwendung von Dokumenten sowie Texten von Anton Makarenko u. a.
Spielfassung von Jörg Bochow und Volker Lösch
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Viktor Tremmel, Ensemble
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Viktor Tremmel, Nadja Stübiger
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Nadja Stübiger, Ensemble
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Daniel Séjourné, Deleila Piasko, Viktor Tremmel, Hannah Jaitner, Malte Homfeldt, Nadja Stübiger, Jannik Hinsch, Moritz Kienemann, Yassin Trabelsi, Luise Aschenbrenner
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Viktor Tremmel, Ensemble
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Daniel Séjourné, Moritz Kienemann, Hannah Jaitner, Jannik Hinsch, Nadja Stübiger, Malte Homfeldt, Yassin Trabelsi, Luise Aschenbrenner, Deleila Piasko, Jugendliche
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Viktor Tremmel, Nadja Stübiger, Moritz Kienemann, Jannik Hinsch, Malte Homfeldt, Yassin Trabelsi, Luise Aschenbrenner
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Viktor Tremmel, Deleila Piasko, Luise Aschenbrenner
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Hannah Jaitner, Yassin Trabelsi, Deleila Piasko, Malte Homfeldt, Moritz Kienemann, Luise Aschenbrenner, Nadja Stübiger, Viktor Tremmel, Jannik Hinsch
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Anette Gebel-Kozian, Detlev Sadrinna, Ilona Enskat, Andreas Richter, Stefan Lauter
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Moritz Kienemann, Malte Homfeldt, Hannah Jaitner, Daniel Séjourné, Yassin Trabelsi, Luise Aschenbrenner, Viktor Tremmel, Jannik Hinsch, Deleila Piasko, Nadja Stübiger
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Viktor Tremmel, Nadja Stübiger, Andreas Richter, Jannik Hinsch, Hannah Jaitner, Malte Homfeldt, Moritz Kienemann, Luise Aschenbrenner, Deleila Piasko
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Nadja Stübiger, Viktor Tremmel, Andreas Richter, Hannah Jaitner
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Detlev Sadrinna, Anette Gebel-Kozian, Daniel Séjourné, Viktor Tremmel, Jannik Hinsch, Moritz Kienemann, Nadja Stübiger, Deleila Piasko, Hannah Jaitner, Malte Homfeldt, Yassin Trabelsi, Luise Aschenbrenner, Ilona Enskat, Stefan Lauter
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Hannah Jaitner, Luise Aschenbrenner
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Sebastian Hoppe
Der Weg ins Leben
Auf dem Bild v.l.n.r.: Anette Gebel-Kozian, Nadja Stübiger, Detlev Sadrinna, Jannik Hinsch, Daniel Séjourné, Andreas Richter, Hannah Jaitner, Malte Homfeldt, Moritz Kienemann, Ilona Enskat, Stefan Lauter, Viktor Tremmel
Foto: Sebastian Hoppe

Handlung

„Also muss man den neuen Menschen auf neue Weise schaffen.“
„Auf neue Weise, da hast du recht!“
„Und niemand weiß, wie. Und du – weißt du es nicht?“
„Nein, ich auch nicht.“

Der russische Bürgerkrieg, der auf die Revolution von 1917 folgte, hinterließ neben Tod und Verwüstung auch eine sehr große Zahl von verwahrlosten Straßenkindern, die bettelnd und stehlend durch die Städte zogen. Mit einer auf Kollektivbildung und handwerklicher Arbeit basierenden Erziehung wollten Pädagogen wie Anton Makarenko aus diesen Kindern und Jugendlichen einen „Neuen Menschen“ formen. Was als Utopie begann, wurde in der Stalin-Ära und später in der DDR zu einem Konzept zwangsweiser Umerziehung. In den sogenannten Jugendwerkhöfen und den Spezialheimen wurden die Bildungschancen und Entwicklungswege tausender Jugendlicher und vor allem ihre Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben gewaltsam behindert statt gefördert. Wie gehen die ehemaligen Heimkinder mit diesen Erfahrungen um, wie haben sie ihre eigenen Kinder nach der Wende erzogen? Aus Gesprächen und Berichten von 30 Zeitzeugen sowie aus zahlreichen Dokumenten und Texten entsteht ein Theaterabend, der den Bogen von 1920 bis in die Gegenwart spannt.
Dauer der Aufführung: 2 Stunden und 50 Minuten.
Eine Pause.

Besetzung

Bühne
Kostüme
Musik
Dramaturgie
Licht
Michael Gööck
Zeitzeugen
Ilona Enskat, Anette Gebel-Kozian, Stefan Lauter, Andreas Richter, Detlev Sadrinna
iwanka, jugendliche, erzieherin, genossin credo, jugendhelferin
Luise Aschenbrenner
saitschenko, jugendlicher, erzieher, alfred kurella, psychologe, beamter, andreas richter
karabanow, jugendlicher, erzieher, erich honecker, heimleiter
Malte Homfeldt
kalina, jugendliche, erzieherin, inge lange, frau richter
Hannah Jaitner
ushikow, jugendlicher, erzieher, walter ulbricht, heimleiter
warwara, jugendliche, erzieherin, margot honecker, chefärztin, marlis lauter
Deleila Piasko
shewelij, jugendlicher, erzieher, filmregisseur, paul schikora
kommissarin, jugendliche, erzieherin, nachrichtensprecherin, christa wolf, mutter von andreas richter
owtscharenko, jugendlicher, erzieher, kurt hager, eberhard mannschatz, direktor
makarenko, jugendlicher, erzieher, horst kretschmar, nachrichtensprecher, horst schumann, heimleiter, bernhard bueb
Jugendliche
Inge Ackermann, Yuna Anders, Tom Arnold, Eduard Bär, Emely Beck, Fritz Bergert, Ireen Bernhard, Lennart Brümmer, Fynn R. Drechsler, Friederike Feldmann, Vanessa Frenzel, Tabea Günther, Clara Haines, Lissy Jacobs, Dominic Jarmer, Clara Koschine, Wieland König, Miriam Kaden, Leticia Klose, Georg Kurze, Dorothee Linßner, Liselotte Maune, Vincent Melzer, Sarah Muschalek, Clemens Müller, Eric Netzschwitz, Ronja Oehler, Elias Ose, Sara Paulisch, Philipp Rahn, Franz Rölz, Jannis Roth, Kim-Elia Samaga, Sophie Scholta, Elisabeth Helene Sperfeld, Leonore Sperfeld, Marek Anton Stein, Anton Stock, Melissa Stock, Theresa Tippmann, Maxima Walthes, Fee Weber, Arthur Leo Weinhold, Maria Winkler

Austellung

Fotoausstellung „Vergangenheit bewältigen. Heimkinder in der DDR“
Eine Kooperation der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden mit der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau

Die Ausstellung ist vom 10. Januar bis 1. April 2018, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, in der Gedenkstätte Bautzner Straße zu sehen.

www.bautzner-strasse-dresden.de
www.heimkinder-der-ddr.de

Video

Pressestimmen

„Die Arbeit von Volker Lösch hat etwas Schonungsloses und ist beeindruckend konsequent. ‚Der Weg ins Leben‘ ist ein richtig großer Brocken Theater.“
Süddeutsche Zeitung, Helmut Schödel, 27.09.2017
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27.09.2017
„Fünf Zeitzeugen (Ilona Enskat, Anette Gebel-Kozian, Stefan Lauter, Andreas Richter und Detlev Sadrinna) erzählen von ihrem furchtbaren Leidensweg.
Was man ansonsten aus Interviews, Briefen und Dokumenten herausfand, ist tief deprimierend.
Eine Szene, die man ‚Ballett der Schlagstöcke‘ nennen könnte, unterlegt FM Einheit, der für die Musik zuständig ist, mit der Deep Purple-Nummer ‚Child in Time‘ und langt auch ansonsten kräftig hin, lässt
Die Musik zum Komplizen werden, um die Wucht der Erniedrigungen und Misshandlungen zu unterstreichen. Auch die Arbeit von Volker Lösch hat etwas Schonungsloses und ist beeindruckend konsequent. ‚Der Weg ins Leben‘ ist ein richtig großer Brocken Theater.“
Helmut Schödel, Süddeutsche Zeitung
„Politisch, radikal, aufklärend, kraftvoll, bildgewaltig.“
Sächsische Zeitung, Rainer Kasselt, 25.09.2017
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25.09.2017
„Volker Lösch inszeniert am Staatsschauspiel anklagend und zornig.
Politisch, radikal, aufklärend, kraftvoll, bildgewaltig. So ist Volker Löschs Theater. Er legt den Finger in die Wunden einer Gesellschaft. Sein Markenzeichen ist die Arbeit mit Bürgerchören. In der antiken Tragödie fungierte der Chor als Stimme des Volkes. An diese Tradition knüpft Lösch an.
Die Dresdner Fassung von Volker Lösch und Jörg Bochow, Chefdramaturg des Staatsschauspiels, verwendet SED-Dokumente, Texte von Makarenko, vor allem aber Berichte von Opfern. Um Konzept und Praxis des Erziehungsmodells zu verstehen, sprach das Theaterteam mit 30 Zeitzeugen. Erzieher aus den Jugendwerkhöfen waren nicht für Interviews zu gewinnen, ‚wir haben deshalb auf ihre Schriften zurückgegriffen‘, so Bochow im Programmheft. Das bedrückende Ergebnis der umfangreichen Recherche ist nun im düsteren, von Holzlamellen eingefassten Bühnenbild Cary Gaylers zu besichtigen.
44 Jugendliche bilden den Chor der Geknechteten und Gedemütigten. Eine famose, vor allem physische Leistung. Gleiches gilt für die zehn Schauspieler des Ensembles. Alle Darsteller spielen mehrere Figuren. Hervorzuheben sind Nadja Stübiger und Viktor Tremmel. Ansonsten sind die Erzieher durchweg Scheusale und Schlagetots. Differenzierung ist in dieser Inszenierung ein Fremdwort. Von Lösch so gewollt. Er will Tribunal sein.
Fünf ehemalige Torgau-Häftlinge, im Alter zwischen 50 und 70, berichten von erlittenen Qualen. Leise im Ton, nachdrücklich in der Aussage. Stefan Lauter: ‚Die Einzelhaft war das Schlimmste.‘ Anette Gebel-Kozian: ‚Ich hab gedacht, hier kommst du nie wieder raus, hier wirst du sterben.‘ Andreas Richter: ‚Es gab unter uns das Gesetz des Stärkeren. Wenn du dich nicht wehrst, wirst du immer mehr verdroschen. Und da hab ich eben mitgedroschen.‘ Ilona Enskat: ‚Haare ab, nackt ausgezogen, kontrolliert, alle Körperöffnungen, die es gab.‘ Detlev Sadrinna: ‚Es gab nur eine Gangart, das war der Laufschritt, und eine Redensart, das war Brüllen.‘“
Rainer Kasselt, Sächsische Zeitung
„Eine intensive Ensembleleistung.“
Dresdner Morgenpost, Heiko Nemitz, 25.09.2017
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25.09.2017
„Regisseur Volker Lösch und Chefdramaturg Jörg Bochow haben Zeitzeugenberichte, Originaldokumente und Texte Makarenkos zu einer Spielfassung verdichtet. Ein Koloss: Zehn Schauspieler in bis zu sieben Rollen und 44 Jugend-Komparsen zeichnen den Weg vom rabiaten Aufbau erster Kommunen über das 11. Plenum des ZK der SED bis in die Hölle des Geschlossenen Jugendwerkhofs in Torgau nach. Fünf reale Zeitzeugen berichten selbst von den Repressionen, hinter ihnen wird die Gewalt, werden Schläge und Demütigungen von den Schauspielern nachgespielt.
Eine intensive Ensembleleistung macht das perverse System des Missbrauchs erfahrbar. Das ist bewegend, niederschmetternd, mitunter schwer erträglich. Kein leichter Abend. Er zeigt aber die immense gesellschaftliche Relevanz von Theater – und wie brutal es sein kann. Brutal gut auch.“
Heiko Nemitz, Dresdner Morgenpost
„Der große Rhythmus stimmt. Chorszenen wechseln mit Dialogen ab. Alles wird frontal ins Publikum serviert.“
MDR Kultur, Stefan Petraschewsky, 24.09.2017
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24.09.2017
„Es geht um Anton Makarenko, der ‚den neuen Menschen erziehen soll‘. Volker Lösch findet für diese Geschichte zunächst ein großartiges Bild. Wie ein monumentaler Ölschinken, der die Arbeit Makarenkos glorifiziert. Und später auch Bilder, die Reibung erzeugen: rauchende Jugendliche als neue Menschen, ein Kartoffelregen aus dem Schnürboden – Cary Gayler baut dem Regisseur hierfür einen großen holzgetäfelten Saal wie in einem Kulturhaus, der von Michael Gööck großartig beleuchtet wird. Auch der große Rhythmus stimmt. Chorszenen wechseln mit Dialogen ab. Alles wird frontal ins Publikum serviert.“
Stefan Petraschewsky, MDR Kultur
„Mitreißend.“
Dresdner Neueste Nachrichten, Michael Bartsch, 25.09.2017
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25.09.2017
„Nadja Stübiger als Kommissarin und Viktor Tremmel als Makarenko schaukeln sich gegenseitig hoch und entwickeln Vorstellungen von der Erziehung durch Arbeit und im Kollektiv, dem Freisetzen von Potenzialen durch eine seelische ‚Explosion‘, von der Gründung einer Kommune. Beide haben hier ihre Höhepunkte.
Volker Lösch ist in seinem Element, die Massenszenen erinnern an die Ästhetik der frühen Sowjetfilme, der große Jugendchor bewegt sich und spricht leidenschaftlicher und dennoch disziplinierter als je zuvor. Mitreißend.
Auf erschütternde Weise berichten fünf Zeitzeugen über ihre üblen Erfahrungen. Der hölzerne Kubus mit verschließbaren Lamellenwänden, den Cary Gayler auf die Bühne gebaut hat, wirkt nun erst recht wie ein Knast. Es geht zu wie im KZ, fürchterliche Dinge geschehen. Der militärische Drill, die Einzel- und Kollektivstrafen werden wiederum chorisch und körperintensiv zelebriert.
Das geht wirklich unter die Haut.“
Michael Bartsch, Dresdner Neueste Nachrichten
„Ein dicht choreografiertes Tableau von Dokument und Fiktion. Lösch beweist hier seine Fähigkeit, das Chorische mit dem Einzelnen so zu verbinden, dass eine ungeheure – sowohl gedankliche als auch darstellerische – Intensität entsteht.“
Theater der Zeit, Gunar Decker, Dezember 2017
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Dezember 2017
„Einen Nerv beim Publikum trifft Der ‚Weg ins Leben‘ von Volker Lösch. Es geht um Utopie und Ideologie, um Anton Makarenkos Erziehungsideal vom ‚Neuen Menschen‘ und dessen Ankunft in der Realität der Jugendwerkhöfe in der DDR, von denen der in Torgau besonders berüchtigt war.
Das Theater-Experiment funktioniert, es entsteht ein dicht choreografiertes Tableau von Dokument und Fiktion. Geschichte wird so zu etwas, in dessen Darstellung sich der Zuschauer sofort einmischen will, nicht rechthaberisch fremde Erfahrungen durchstreichen, sondern eigene hinzufügend.
Lösch beweist hier seine Fähigkeit, das Chorische mit dem Einzelnen so zu verbinden, dass eine ungeheure – sowohl gedankliche als auch darstellerische – Intensität entsteht. Zahlreiche junge Schauspieler des Ensembles sind dabei in der ersten Inszenierung ihres Erstengagements zu erleben, in aller vagen Frische des Anfangs, die eine sichere Form erst noch sucht. Einige von ihnen versprechen bereits jetzt viel, so Luise Aschenbrenner (Jahrgang 1995), die als Werkhofinsassin einen furiosen Monolog über die Fatalität von Schnürsenkeln hält, der an die Ausweglosigkeit von Heiner Müllers ‚Mann im Fahrstuhl‘ denken lässt. Welch Perfidie doch im kommunistischen Weltbild lag: Verkultung der Arbeit und zugleich Arbeit als Strafe! Die Inszenierung benennt pointiert das darin liegende Paradox.“
Gunar Decker, Theater der Zeit
„Ein zeigetheatralischer Bilderbogen jagt zur Musik von FM Einheit durch sozialistische Geschichte.“
neues deutschland, Hans-Dieter Schütt, 04.10.2017
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04.10.2017
„Regisseur Lösch in seinem Element der peitschenden Chöre und preschenden Arrangements. Er wird nie ein Psychologe sein. Es gibt genügend. Er wuchtet und kantet, aber mit Bedacht. Er ist ein fein arbeitender Grobmechaniker, er schraubt und hämmert, bis eine gesellschaftliche Motorik ihr Knirschen offenbart. Ein zeigetheatralischer Bilderbogen jagt zur Musik von FM Einheit durch sozialistische Geschichte.
Die Inszenierung verbindet schmissiges Massentheater, Schauspieler-Bilder der frontalen Ansprache und aufwühlende Erzählpassagen.
Dies nämlich steigert sich zum bedrängenden Kern der Aufführung: Fünf einstige Insassen des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau erzählen ihr Schicksal. Ilona Enskat, Anette Gebel-Kozian, Stefan Lauter, Andreas Richter, Detlev Sadrinna. Sie erzählen bewusst gemäßigt, sachlich – als solle der Schauder einer Distanz versucht werden, die es aber nicht wirklich geben kann. Denn da schuf ein Staat unglückliche Menschen, sperrte sie ins Gesellschaftsverhängnis. Wir erfahren mürbende Odysseen durch Heime (‚Ich hatte eine schweinische Sehnsucht nach einer richtigen Schule‘), und in Torgau regiert die brutale Praxis der Erzieher. Ein Chor trägt die ‚Belehrung über die Anwendung von Schlagstöcken‘ von 1964 vor: ‚… dabei ist der Schlag nur in die Weichteile des Gegners zu schlagen.‘ Das empfindlichste Weichteil ist die Seele. Die Folgen von Torgau: Angst vor geschlossenen Türen, kleinen Räumen, gedämpftem Licht; ein stolperndes Sozialleben zwischen Fließband und Arbeitsamt; Vergessenwollen und Nichtvergessenkönnen. Einer der Zeitzeugen konnte lange nur in dritter Person von sich erzählen, ‚anders hätte ich das nicht ertragen‘.
Es muss ein schreiendes Bedürfnis nach Gespräch und Gehör sein, das den Opfern diesen Mut zur Öffentlichkeit gab. Denn es ist erschütternd, was sie so böse ins Leben stieß und was sie nun von sich preisgeben: Keine Liebe, keine Herzensbildung, zerrüttete Familien, psychische Probleme (‚Ich war nie ein Normalkind‘). Vom seelenlosen Offiziersvater bis zur sexsüchtigen Mutter, vom Schulschwänzen bis zur brutalen Unbeherrschtheit (‚Wenn schon Liebe, dann konnte ich die nur immer umsetzen in Gewalt‘), die Verwahrlosung schließlich als Not, aber auch einzige Freiheit – so viele unglückliche Faktoren, die eine staatliche Fürsorge zwingend wie wünschenswert machten. Und dann: der vermeintliche Weg ins Leben als fortwährende Strafexpedition.
Da sitzen diese ‚Torgrauer‘, schauen ins Publikum, als wollten sie sagen: Träume sind schöner als ein Trauma. Denn Träume verbinden, ein Trauma aber bindet Atemzüge zu und macht einsam. Diese Zeugen wirken, als wollten sie einen Besitz nicht hergeben, die Angst.“
Hans-Dieter Schütt, neues deutschland