Uraufführung 24.09.2010 › Schauspielhaus

Der Turm

Geschichte aus einem versunkenen Land
nach dem Roman von Uwe Tellkamp
für die Bühne eingerichtet von Jens Groß und Armin Petras
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Christine Hoppe, Bernd Lange, Anna-Katharina Muck, Lars Jung, Rafael Klitzing, Holger Hübner, Benjamin Pauquet, Henner Momann, Hannelore Koch
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Christine Hoppe
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Holger Hübner, Hannelore Koch
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Matthias Reichwald, Henner Momann, Bernd Lange, Christine Hoppe, Werner Rehm, Lars Jung, Benjamin Pauquet, Benjamin Höppner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Hannelore Koch, Holger Hübner, Ina Piontek
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Pauquet, Anna-Katharina Muck, Philipp Lux
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Christine Hoppe, Helga Werner, Lars Jung, Hanns-Jörn Weber, Werner Rehm
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lars Jung, Holger Hübner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Bernd Lange, Hannelore Koch, Eike Weinreich, Matthias Reichwald, Benjamin Pauquet, Lars Jung, Christine Hoppe, Holger Hübner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Rafael Klitzing, Holger Hübner, Philipp Lux, Ina Piontek
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Bernd Lange, Benjamin Pauquet, Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck, Holger Hübner
Foto: Matthias Horn
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Holger Hübner, Benjamin Höppner, Benjamin Pauquet, Bernd Lange
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Holger Hübner, Philipp Lux, Werner Rehm
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Pauquet, Matthias Reichwald
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ensemble
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Matthias Reichwald, Helga Werner, Hanns-Jörn Weber, Ina Piontek, Benjamin Höppner, Philipp Lux
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Werner Rehm, Benjamin Pauquet, Matthias Reichwald, Helga Werner, Hanns-Jörn Weber
Foto: Matthias Horn

Handlung

die süße Krankheit Gestern Im Mittelpunkt des preisgekrönten Romans von Uwe Tellkamp stehen die Dresdner Arztfamilie Hoffmann, ihre Verwandten und ihr Leben in den letzten sieben Jahren der DDR. Es ist gekennzeichnet von den kleinen und großen Problemen des DDR-Alltags. Der Familienvater Richard Hoffmann ist angesehener Chirurg, seine Frau Krankenschwester. Man kann niemandem trauen, findet nur schwer einen privaten Rückzugsort. Und das angestrebte Medizinstudium des Sohnes Christian ist nur durch politisch korrektes Verhalten möglich. Die Familie will sich mit dieser frustrierenden Lebenssituation nicht abfinden, überlegt sogar, in den Westen zu gehen, arrangiert sich dann aber doch irgendwie mit ihrem Leben in der DDR unter Zuhilfenahme von Hausmusik, Büchern, ausgelassenen Feiern und Seitensprüngen. Mit dem Wissen um ein außereheliches Verhältnis setzt die Staatssicherheit Richard unter Druck. Resigniert, immer aber humorvoll, kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind, die der Stadt aber dennoch ihren besonderen Stempel aufgedrückt haben. Regie führt Wolfgang Engel, der von 1980 bis 1990 als Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden maßgebliche Inszenierungen schuf und von 1995 bis 2008 Intendant des Schauspiels Leipzig war.

Besetzung

Regie
Wolfgang Engel
Bühne
Olaf Altmann
Kostüme
Ines Nadler
Musik
Thomas Hertel
Dramaturgie
Jens Groß
Licht
Michael Gööck
Richard Hoffmann
Anne Hoffmann, Frau von Richard Hoffmann, Krankenschwester
Christian Hoffmann, Sohn von Richard Hoffmann
Benjamin Pauquet
Robert Hoffmann, jüngerer Bruder von Christian Hoffmann
Robert Höller
Meno Rohde, Bruder von Anne, Lektor
Benjamin Höppner
Ulrich Rohde, Direktor, Bruder von Anne
Bernd Lange
Barbara Rohde, Frau von Ulrich, Schneiderin
Josta, Sekretärin, Geliebte von Richard
Ina Piontek
Josta, Sekretärin, Geliebte von Richard alternierend
Ines Marie Westernströer
Timo Kaminski, neuer Untermieter
Robert Höller
René Kaminski, neuer Untermieter
Jonas Friedrich Leonhardi
Gerhard Stahl, ein Nachbar, Ingenieur
Dr. Müller, Chefarzt
Werner Rehm
Manfred Weniger, Arzt
Lars Jung
Thomas Wernstein
Barsano, Parteisekretär
Bernd Lange
Eduard Eschschloraque, Schriftsteller
Lars Jung
Albin Eschschloraque, Sohn von Eduard Eschschloraque
Gerhard Altberg, Schriftsteller, Verleger
Werner Rehm
Judith Schevola, Schriftstellerin
Judith Schevola, Schriftstellerin alternierend
Oda Pretzschner
Philipp Londoner, Wirtschaftsexperte
Ludwig von Arbogast, Wissenschaftler
Hanns-Jörn Weber
Gertrud von Arbogast, Frau von Ludwig von Arbogast
Helga Werner
Steffen Kretzschmar, genannt Pfannkuchen
Siegbert, ein Klassenkamerad von Christian
Jonas Friedrich Leonhardi
Ein DJ
Rafael Klitzing

Video

Pressestimmen

„Tellkamps Erfolgsroman auf der Bühne: Kann das gut gehen? In Dresden ist es geglückt.“
Die Zeit, Gerhard Jörder, 30.09.2010
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30.09.2010
„Tellkamps Erfolgsroman auf der Bühne: Kann das gut gehen? In Dresden ist es geglückt.
Olaf Altmanns Bühne: Eine Wand von Balkonen türmt sich auf, verbunden nur durch Leitern und Geländer. Ein Konstrukt, das Distanz und Annährung, Konfrontation und Isolation ermöglicht. Die einen nehmen feste Positionen ein, andere lavieren gefährlich. Beste Hanglage wie am Weißen Hirschen, ein Auf und Ab für Kraxler zwischen den Welten, Arbeitsterrain für Horch und Guck, der Raum weckt viele Assoziationen. Auf diese starke Bildmetapher vor allem verlässt sich die Regie, ebenso auf die Spielintelligenz der fünfzehn Akteure, und letztlich, in den langen Wortwechseln und Streitgesprächen der fast dreieinhalbstündigen Aufführung, ganz auf den Romantext selbst, den Jens Groß und Armin Petras für die Bühne geschickt montiert haben, ohne seine Komplexität und den schier unendlichen Detaillismus nachstellen zu können und zu wollen.
In der Summe verdient der Dresdner Turm großen Respekt.“
Gerhard Jörder, Die Zeit
„Wie ein Sog: die Wortgefechte haben beinahe shakespearesche Qualitäten. Schön, dass das Theater manchmal auch so direkt wirken kann.“
nachtkritik.de, Matthias Schmidt, 25.09.2010
„Die Übertragung von Uwe Tellkamps preisgekröntem Roman ‚Der Turm‘ auf die Bühne ist gelungen. Viel Beifall und ‚Bravo‘-Rufe.“
Focus Online, 25.09.2010
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25.09.2010
„Die Übertragung von Uwe Tellkamps preisgekröntem Roman ‚Der Turm‘ auf die Bühne ist gelungen. Viel Beifall und ‚Bravo‘-Rufe. Engel und der sichtlich gerührte Schriftsteller Tellkamp beglückwünschten sich gegenseitig auf der Bühne.“
Focus Online
„Ein bemerkenswert purer Theaterabend.“
Sächsische Zeitung, Johanna Lemke, 27.09.2010
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27.09.2010
„Ein bemerkenswert purer Theaterabend. Die Figuren sächseln bisweilen, erzählen unter viel Raunen und Kichern aus dem Publikum von Dresden-typischen Eigenheiten und debattieren über den Staat. Wenn jemand das darf, dann Engel.
Wolfgang Engel behauptet mit dieser Inszenierung ganz unbescheiden: So ist es nicht überall passiert. Doch es hätte überall passieren können. Es ist eine Fiktion, doch dies und jenes ist andernorts geschehen.“
Johanna Lemke, Sächsische Zeitung
„Mit der unumgänglichen Reduzierung der Personage erscheinen einzelne Figuren deutlich klarer profiliert. Engel nimmt alle Figuren gleich ernst und widmet ihnen inszenatorische Sorgfalt.“
Dresdner Neueste Nachrichten, Tomas Petzold, 27.09.2010
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27.09.2010
„Wolfgang Engel hat die von Jens Groß und Armin Petras aus fast 1000 Buchseiten gefilterte Bühnenfassung inszeniert. Und auch Olaf Altmann, der den Rahmen dafür schuf, muss ganz vorn erwähnt werden, denn sein das ganze Bühnenportal einnehmendes Konstrukt schafft entscheidende Voraussetzungen für Perspektive, Rhythmus, Tempo der Aufführung.
Mit der unumgänglichen Reduzierung der Personage erscheinen einzelne Figuren deutlich klarer profiliert. Engel nimmt alle Figuren gleich ernst und widmet ihnen inszenatorische Sorgfalt.
Er konzentriert sich weitgehend auf die Dialoge, muss aber den epischen Strukturen des Romans nicht nur Rechnung tragen, sondern machtg sie sich auch zunutze, indem er wichtige Passagen einfach erzählen lässt.“
Tomas Petzold, Dresdner Neueste Nachrichten
„Die Inszenierung von Wolfgang Engel entwickelt nicht nur kolossale eigene Sogwirkung, sie verweist auch alle vormaligen Zweifler am Reichtum der Romanvorlage noch einmal auf das Buch zurück.“
Dresdner Morgenpost, 27.09.2010
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27.09.2010
„Kaum eine Dresdner Theaterinszenierung der vergangenen 20 Jahre ist mit größerer Spannung erwartet worden als die Bühnenfassung des Romans „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. Am Freitagabend erlebte das Publikum im ausverkauften Schauspielhaus eine denkwürdige Uraufführung: Die Inszenierung von Wolfgang Engel entwickelt nicht nur kolossale eigene Sogwirkung, sie verweist auch alle vormaligen Zweifler am Reichtum der Romanvorlage noch einmal auf das Buch zurück.
Nach dreieinhalb wie im Fluge verstrichenen Stunden feierten die Zuschauer das Enemble und den sichtlich ergriffenen Autor mit ‚Bravos‘ und begeistertem Beifall.“
Dresdner Morgenpost
„Gekonnt puristisch haben Armin Petras und Jens Groß eine einzelne Qualität des überbordenden Werkes herausfiletiert. Sie setzen ganz auf die Vielstimmigkeit des Buches.“
Süddeutsche Zeitung, Florian Kessler, 27.09.2010
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27.09.2010
„Gekonnt puristisch haben Armin Petras und Jens Groß eine einzelne Qualität des überbordenden Werkes herausfiletiert. Sie setzen ganz auf die Vielstimmigkeit des Buches.
Ineinander verschliffen, kommentieren sich die zahlreichen Handlungsstränge zwischen Familienalltag und Spitzeltum, DDR-Literatur und Bildungshuberei, Armee und Berufsmilieus wie von selbst.
Was könnte dem Erinnerungsort Dresden besseres geschehen, als derart freischwingende Arbeit am Mythos? Eine erfrischende Theater-Lesart auch noch als Hommage, die Wolfgang Engel sich selbst und dem Dresdner Theaterpublikum erweist.“
Florian Kessler, Süddeutsche Zeitung
„Es ist nicht schief gegangen, es ist eine erstaunlich ordentliche, feinfingrige Inszenierung.“
Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau, Dirk Pilz, 27.09.2010
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27.09.2010
„Es ist nicht schief gegangen, es ist eine erstaunlich ordentliche, feinfingrige Inszenierung, für die eben jener Wolfgang Engel zuständig ist, der in den Achtzigerjahren in Dresden bedeutende Inszenierungen geschaffen hat.
Und Engel gelingt es, vorsichtig und vornehm, wie es die Art eines Theaters ist, diese Potemkin’schen Dörfer der Erinnerung abzubauen – hier ist einer mit dem Vergangenen noch nicht fertig.“
Dirk Pilz, Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau
„Das Ensemble, mehr als zwei Dutzend Rollen sind zu verkörpern, muss aus dem Stand heraus Figuren finden und behaupten. Mit beeindruckender Genauigkeit läuft das ab.“
Der Tagesspiegel, Christoph Funke, 27.09.2010
„Wer dabei war, kichert, schluchzt, staunt. Und wundert sich immer wieder.“
Kultiversum.de, Reinhard Wengierek, 30.09.2010
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30.09.2010
„Auf der Bühne des feinen Schauspielhauses der lieben Dräsdner reckt sich derweil termingerecht zum deutschen Einheitsjubiläum Uwe Tellkamps DDR-‚Turm‛. Von drei Stockwerken mit neun Balkonen prasseln Myriaden weher Miniszenen aus den buddenbröckelnden Winkeln eines angeblich ‚versunkenen‛ Ländchens herunter ins Publikum. Wie aus der Kalaschnikow geballert, und alle Einschläge treffen – irgendwie: Einige schmerzen schwer, viele jucken bloß, manche gehen ziemlich auf die Nerven. Wie das so geht bei Memory-Spielchen. Wer dabei war, kichert, schluchzt, staunt. Und wundert sich immer wieder.“
Reinhard Wengierek, Kultiversum.de
„Souveränes Schauspieltheater. Insgesamt eine beeindruckende und eindrückliche Inszenierung.“
Deutschlandfunk, Hartmut Krug, 25.09.2010
„Engels 100. Inszenierung ist deshalb so gut, weil er eine eindeutige Haltung zum Stoff bezieht.“
ZDF Theater.de, Torsten Hilscher, 25.09.2010
„Wolfgang Engel ist es 20 Jahre nach seiner legendären Faust-Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden wieder gelungen, Geschichte in der Gegenwart zu verhandeln.“
Dresdeneins, 27.09.2010
„Wenn sich das Ensemble zu Beginn als Chor versammelt und noch vor dem ersten Wort kollektiv jene Winzermütze von den Loschwitzhängen aufsetzt, die Tellkamp zu seinem Markenzeichen gemacht hat, dann gluckst das Publikum vor Vergnügen.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus, 27.09.2010
„Die Übertragung von Uwe Tellkamps preisgekröntem Roman ‚Der Turm‘ auf die Bühne ist gelungen“
Augsburger Allgemeine Zeitung, dpa, 28.09.2010
„Eine beeindruckende und eindrückliche Inszenierung: Souveränes Schauspielertheater, das vom Publikum heftig bejubelt wurde.“
Badische Zeitung, 29.09.2010
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29.09.2010
„Chefdramaturg Jens Groß schuf gemeinsam mit Armin Petras eine überzeugende Bühnenversion.
Der Gefahr einer direkten Widerspiegelung der Vergangenheit begegnet Regisseur Wolfgang Engel, von 1980 bis 1991 hier prägender Hausregisseur, mit einem klugen Verzicht auf jede äußerliche Rekonstruktion von DDR-Realität, die im Roman viel Raum einnimmt. Der Bühnenbildner Olaf Altmann hat für den Spielort Weißer Hirsch ein abstrakt-funktionales Bühnenbild gebaut, das die Menschen in einem offenen dreistöckigen Eisengerüst auf jeweils drei Balkonen zusammenführt.
Wie man hier miteinander redet, sich beobachtet oder belauscht, das ergibt mit den Bewegungen der Figuren ein wunderbares Bild vom gesellschaftlichen und politischen Beziehungsgeflecht.
Eine beeindruckende und eindrückliche Inszenierung: Souveränes Schauspielertheater, das vom Publikum heftig bejubelt wurde.“
Badische Zeitung
„Im Staatsschauspiel Dresden ist daraus jetzt ein Theaterstück geworden, ein vielfiguriges, dialogreiches Panorama, das fast alles, was Tellkamp im Gestus der Erinnerung erzählt, wieder Gegenwart werden lässt.“
die taz, Katrin Bettina Müller, 29.09.2010
„Klare einprägsame Bilder. Ein sehenswerter Abend.“
Mitteldeutsche Zeitung, 03.10.2010
„Tellkamp bleibt auch auf der Bühne ein Ereignis.“
Neues Deutschland, Hans-Dieter Schütt, 04.10.2010
„Aus der Vielzahl von Dialogen entsteht hier tatsächlich ein Bild der letzten DDR-Jahre. Manche Szenen sind von beeindruckender Intensität. Viel Beifall.“
Meißner Tageblatt, 07.10.2010
„Komisch und erschütternd tragisch zugleich prallen in diesen Kapseln gutbürgerliche und alternative Typen, Skeptiker, Altstalinisten und Idealisten aufeinander; großartig gespielt.“
BLITZ, Lilly Vostry, 15.10.2010
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15.10.2010
„Komisch und erschütternd tragisch zugleich prallen in diesen Kapseln gutbürgerliche und alternative Typen, Skeptiker, Altstalinisten und Idealisten aufeinander; großartig gespielt.
Herzlicher Beifall für einen Theaterabend der zwischen Gestern und Heute viel Stoff zum Nachdenken bietet.“
Lilly Vostry, BLITZ
„‚Der Turm‘ hat Gastspielpremiere, Wolfgang Engels Dresdner Romanuraufführung nach Uwe Tellkamp, Romane auf der Bühne, auch eines der beliebten Theaterdebattenthemen momentan. Für diesen Fall gilt: geht ziemlich gut.“
Berliner Zeitung, Dirk Pilz, 22.06.2011
„Wolfgang Engel ist schon biografisch ganz zweifellos der für Dresden ideale Regisseur für diesen Stoff. Es kam eigentlich kein anderer in Frage.“
Kulturradio.de, Peter Hans Göpfert, 24.06.2011
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24.06.2011
„Ich möchte es gleich sagen: nachdem wir beim Theatertreffen Roger Vontobels Inszenierung des ‚Don Carlos‘ gesehen haben, ist dies die zweite starke und bemerkenswerte Aufführung vom Staatsschauspiel Dresden, die hier innerhalb kurzer Zeit in Berlin gastiert. Wolfgang Engel ist schon biografisch ganz zweifellos der für Dresden ideale Regisseur für diesen Stoff. Es kam eigentlich kein anderer in Frage.“
Peter Hans Göpfert, Kulturradio.de

Ein kleiner Exkurs

Ererbt aus verschollener Bürgerlichkeit

Ein kleiner Exkurs zu der Frage „Woher kommt und wohin strebt das Dresdner Bildungsbürgertum?“ von Jens Groß
In einer misslaunigen Rezension zu Uwe Tellkamps „Turm“ im „Freitag“ vom 19. 02. 2009 stand: „Wenn man das gelesen hat, tun einem die Dresdner leid. Denn diese ganze DDR-Diktatur kann ja nichts anderes gewesen sein als eine Art Verwandtenstreit zwischen Ost- und Weströmern auf dem Dresdner Turm. Die einen waren kleinbürgerliche Funktionäre, die anderen waren Bildungsbürger, aber woher dieses Bürgertum gekommen war, bleibt völlig im Dunklen.“
 
Die Frage ist berechtigt, woher kommt das (Bildungs-)Bürgertum, das in Uwe Tellkamps Dresden-Roman der eigentliche Protagonist ist, war es doch in dem ehemaligen „sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat“ überhaupt nicht vorgesehen? Wie kann es sein, dass die Schilderung der letzten DDR-Jahre aus der Perspektive eines längst totgesagten Bildungsbürgertums, die Gemüter in Deutschland 2009.2010 dermaßen erregt?
 
Der überregionale Erfolg von Uwe Tellkamps „Der Turm“ kann nicht darauf beruhen, dass der größte Teil der West-Leserschaft sich diebisch daran freut, wie die deprimierten Bildungsbürger der DDR „durchgängig ihr Unbehagen an der Diktatur formulieren und dies in Worten und Wendungen, die auch der Nichtdiktaturerfahrene halbwegs versteht.“ (Freitag)
 
Obwohl Uwe Tellkamp eine spezifische (eben nicht unbedingt repräsentative) Gruppe von DDR- Bürgern in einer ganz bestimmten Zeit (den letzten Jahren der DDR) beschreibt, scheint er ­etwas viel Grundsätzlicheres und Phänomenaleres der deutschen Mentalität (und Geschichte) getroffen zu haben: Die Frage nach der Geschichte und Verfasstheit eines deutschen Bildungsbürgertums, aus dem wir fast alle (ob West oder Ost) stammen (zumindest, was Theaterinteressierte betrifft), und / oder von dessen Wurzeln und genetischem Erbmaterial wir heute noch immer leben.
 
Viele Soziologen haben die eigentliche Bewegung des Bildungsbürgertums entweder 1918 oder spätestens 1933 für tot erklärt. Tellkamps große Leistung besteht gerade darin, zu zeigen, dass es damit durchaus aber nicht beseitigt war, im Gegenteil, dass es zwei Diktaturen überleben konnte, dass es auch heute noch überaus lebendig ist und das bei weitem nicht nur in Dresden oder der ehemaligen DDR, nein in ganz Deutschland. Scheinbar hielt es sich in diversen jeweiligen Nischen versteckt, aber es ist präsent und bestimmt den politischen und sozialen Alltag heute in viel größerem Maße, als es öffentlich wahrgenommen wird.
 
Das 18. Jahrhundert
Das Bildungsbürgertum entstand in Abgrenzung zum industriellen Großbürgertum und dem Klein- und Mittelbürgertum der Händler und Arbeiter in der Mitte des 18. Jahrhunderts, also in der Hochblüte des sogenannten „Aufklärerischen Zeitalters“, in den Städten, den Zünften, den stadtbürgerlichen Kreisen. Das Bildungsbürgertum musste sich politische Macht erst mühsam erkämpfen und teilte sie immer mit dem Adel, später auch mit anderen Machthabern. Der Bildungsbürger kompensierte, was ihm an äußerem Rang fehlt, mit innerem Reichtum, eben Bildung. Der Bildungsbürger baute ein bestimmtes Wissen auf, das mehr war als Berufs- und Leistungswissen, eben Bildungswissen. Dadurch wird er heiratsfähig für den Adel und das Besitzbürgertum. Sittliche Erziehung durch humanistische Bildung, Literatur, Wissenschaft, Kunst, sein Engagement im Staate, Beziehungen und Verbindungen  sind sein Kapital. Der gebildete Bürger denkt im Gegensatz zum typischen Besitzbürger nicht nur an sich selbst und das Geld, sondern vor allem an die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Diese Denkfigur gibt es in keiner anderen Nation. Grundlegend dafür war ein aufklärerischer Wertekodex, der Begriffe wie Zuverlässigkeit, Gesetzestreue, Staatsernst, nationale Gesinnung beinhaltete und es dem Bildungsbürger erlaubte, in diesem Sinne ein guter Staatsbürger zu sein und ein Leben in geordneter Freiheit zu führen.
 
Im Bildungsbürgertum waren akademische und freie Berufe besonders stark vertreten: ­Professoren, Pastoren, Lehrer, Apotheker, Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Kaufleute, Musiker, Künstler, Ingenieure, leitende Beamte usw. Sie alle waren in ihre beruflichen (und damit auch gesellschaftlichen) Positionen nicht aufgrund eines geburtsständischen Anrechts, sondern aufgrund eigener Leistung gelangt.
 
Ausgehend vom Glauben an die befreiende Kraft der menschlichen Vernunft und an die Identität von Vernunft und Tugend, war das politische Hauptziel des deutschen Bildungsbürgertums dabei zunächst: in Deutschland einen gewaltsamen revolutionären Umsturz mit dessen grausamen Folgen (wie z. B. in Frankreich) zu verhindern. Ausgedehnte kulturelle Bildung soll einen gemäßigten, langsamen Übergang zu einer freieren, liberaleren Gesellschaft herbeiführen, durch den „kultivierte“ Mitglieder des Bürgertums dann auch in politische Funktionen gelangen konnten.
 
Im Rahmen dieser Politik richtete der Staat Bildungsanstalten ein, deren Zahl im Verhältnis zum übrigen Europa beachtlich war. Wissen und universelle Ausbildung und Erziehung zu ­einem moralischen und frei handelnden Individuum (d. h. auch größere Mobilität) war oberstes Ziel dieser Kultur und versprach einen Standortvorteil im Kampf um die neu zu verteilenden Ressourcen in Europa. Der Staat wusste sich die Loyalität dieses entstehenden Bildungsbürgertums dadurch zu sichern, dass die zu besetzenden Ver­waltungspositionen zusätzlich durch Steuerprivilegien, Befreiung vom Kriegsdienst und Bevor­zugung vor Gericht aufgewertet wurden. Auf diese Weise entstand eine neue außer­ständisch-bürgerliche Schicht, die sich weder politisch noch wirtschaftlich, sondern administrativ-kulturell definierte und somit entscheidend zur Entwicklung einer gesamtdeutschen Nationalidee auf kultureller Basis beitrug. Der eigentliche Sieger 1871 bei der Gründung des zentralistischen Kaiserreichs war das nun maßgebende und von der Regierung privilegierte Bildungsbürgertum.
 
In diesem Sinne bedeutete Bildungsbürgertum zunächst einmal, dass man selbstbewusst genug war, viele Einflüsse zuzulassen, tolerant zu sein, und sich nicht abzuschotten. Im Gegenteil: alles Fremde und Neue konnte zur Bildung beitragen und war zukunftsträchtig ganz im Sinne eines großen und schönen aufklärerischen, den Naturwissenschaften verbundenen Geistes. Fast alle dynamischen Anstöße und Entwicklungen in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur gingen im 19. Jahrhundert von dieser neuen bürgerlichen Schicht aus. Ihre Strategie war Emanzipation und Partizipation, d. h. maßvolle Beteiligung der Bürger an der immer liberaler werdenden Macht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien man dieser Idee relativ nahe gekommen zu sein. Machtpolitisch gesehen, feierte das Bildungsbürgertum dort seinen veritablen Höhepunkt.

Das 19. Jahrhundert
Doch nicht nur die Bürger strebten nach Selbstbefreiung, sondern zunehmend auch unterbürgerliche Schichten, die sogenannten Massen. Das war ein Phänomen, mit dem große Teile des Bürgertums nicht umgehen konnten. Sie verhielten sich genauso exklusiv und oppressiv wie nur wenige Generationen zuvor der Adel. Die aufklärerischen Maxime mit ihren Schlagworten Toleranz und Liberalität kehrten sich bald ins Gegenteil um.

Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts sind neue bedenklichere Wesensmerkmale des inzwischen den öffentlichen Geschmack prägenden Bildungsbürgers beschreibbar: Verhaltenheit im Ausdruck von Emotionen, ein eher gebrochenes Verhältnis zur Vitalität, zur Sexualität und zum Körper, Geburtenkontrolle, die Zähmung oder Mäßigung von jeglicher Direktheit, kurz: die Liebe zum Verfeinerten.
Das richtige Benehmen, die Sitten des Essens und Trinkens, des Kleidens, des Wohnens, die Normen des Gehörigen, Schicklichen und Anständigen ersetzen immer mehr die ursprünglichen neugierigeren humanistischen Ziele. Die bürgerliche Idee schuf sich das neue Refugium der Privatheit. Das Bildungsbürgertum war es, das ‒ auf Grund seiner besonderen Form der Arbeitsteilung und Produktionsentlastung ‒ der Frau eine neue Stellung in der Gesellschaft zuwies. Die Frauen sollten zuhause bleiben, sich selber mit kulturellen Aktivitäten weiterbilden, gesellschaftliche Repräsentationspflichten erfüllen und vor allem die Bildung der Kinder selber überwachen. Der neue Typus der modernen bürgerlichen Familie (wo es nur noch einen Geldarbeitnehmer gibt) war geboren, privat, individualisiert, intim. Doch das bedeutete gleichzeitig den Zusammenbruch der humanistischen Werte bürgerlicher Kultur, die Freiheit des Individuums schien schlagartig wieder sehr ­begrenzt zu sein. Bei zunehmender Verwissenschaftlichung und Kollektivierung der Gesellschaft durch technischen Fortschritt und den organisatorischen Anforderungen des fortschreitenden Imperialismus wurde die Leistung der Intelligenz zunehmend auf Organisation, Planung und technisch-wissenschaftliche Mittelbeschaffung fixiert. Neue Begriffe wie „entfremdetes Bewusstsein“ oder „entfremdete Arbeit“ machen die Runde. Der Betrieb, die Bürokratie, die Macht, die Stadt, die Gesellschaft, ja sogar die Geschichte - sie alle gerinnen zu einer Schicksalhaftigkeit, die dem Einzelnen allenfalls die Kultur seines Leidens als Rest seiner Individualität lässt. Selbstreflexion und Verallgemeinerung der eigenen, isolierten Situation, das Gefühl der Einsamkeit, Anonymität und Unverlässlichkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen macht sich unter dem Bildungsbürgertum in den Ballungsräumen als Grundgefühl breit.
 
Das 20. Jahrhundert
Spätestens mit dem 1. Weltkrieg schwindet dann auch der ungebrochene Glaube an eine rationale Möglichkeit der Auseinandersetzung und Einigung über Konflikte endgültig. In Städten wie Dresden, Weimar, Berlin und München - Städte voller Rentiers und Pensionäre, voller Studienräte, gebildeter Mütter und Künstler -entsteht spätestens dann eine unheilvolle Koalition zwischen einem sich als unpolitisch verstehenden Bildungsbürgertum und einer politischen Rechten. Beseelt vom Wunsch nach „kultureller Wiedergeburt der deutschen Nation“, setzt diese Koalition an, das klassische Erbe militant gegen die junge Republik umzudeuten. Sie vereinnahmt den „Geist von Weimar“ und sieht in der kulturellen Moderne (und dem Aufstand der Massen) eine Gefahr für das „Deutschtum“.
 
Die Republik und ihr demokratischer Geist werden unisono für die politische Demütigung durch Versailles, die ökonomische Krise und für die kulturelle Moderne verantwortlich gemacht. „Niggerjazz“ und „Niggertänze“, Dadaismus und Dokumentarismus, Film und Funk, Kommerzialisierung und die Totalrevision der Darstellungsmittel - all dies erscheint den Gralshütern der deutschen Kunst als „zersetzende“ Macht fremder Kräfte, als Gefährdung ihrer kulturellen Hegemonie.
 
Die Neigung des Bildungsbürgertums, gesellschaftliche Probleme für geistige Probleme zu halten, ist bekannt. So gesehen, musste die internationale kulturelle Moderne als eine Art Enteignung wirken, die einem das nimmt, womit man sich gegenüber anderen und mit anderen identifizierte und womit man von anderen als Gebildeter geachtet wurde: die „deutsche Kunst“. Von daher die (in Frankreich, England oder den usa undenkbare) kollektive Hysterie, wenn es um so harmlose Dinge wie Kompositionstechniken und Malweisen, um Opern- und Theateraufführungen, um das Flachdach oder das Saxophon ging.
 
Ab 1933 beginnt die Staatsmacht mit der Durchsetzung seiner rassistischen Kunstideologie, mit weitgehender Zustimmung der bildungsbürgerlichen Gralshüter einer reinen deutschen Kunst. „Es wäre völlig verfehlt, dieses Bildungsbürgertum parteipolitisch den Nationalsozialisten zuzuschlagen, zumal es häufig elitäre Vorbehalte gegen den braunen Pöbel pflegte. Doch allzu groß sind die Angst vor dem „Kulturbolschewismus“ und die Sehnsucht nach Rettung durch einen kulturbewussten Führer. So schaffte die Ablehnung der kulturellen Moderne eine breite antirepublikanische Koalition. Und wenn es um die Künste geht, dann spricht man eine gemeinsame Sprache. Das antimoderne Ressentiment der Gebildeten formuliert, wenn es der Volkstümlichkeit die Entwurzelung, der Einheit die Zersetzung, der Schönheit die Entartung gegenüberstellt, griffige Antithesen, die von den Nationalsozialisten adaptiert und propagiert werden.“ So schreibt Georg Bollenbeck in der zeit 1999 über „Das Ende des Bildungsbürgers“ und den tiefen Fall der deutschen Klassik in Weimar. „Gerade in Städten wie Weimar wird aber deutlich, wie dieses Bildungsbürgertum, verunsichert durch die kulturelle Moderne, dem Nationalsozialismus als dem selbsternannten Retter der deutschen Kultur entgegenarbeitet. Doch es ist gerade der Nationalsozialismus, der mit seiner „reaktionären Modernität“, mit seinem Nebeneinander von Kulturindustrie und steriler Höhenkunst, von schönem Schein und brutaler Wirklichkeit die Verunsicherung des Bildungsbürgertums noch beschleunigt.“ 
 
Eigentlich hätte damit das Bildungsbürgertum tatsächlich von der Bildfläche verschwinden müssen, zumal im neuen Deutschland nach den Nationalsozialisten, wo auf der einen Seite nun das Kapital und das Großbürgertum wieder das Sagen hatte und auf der anderen Seite die ehemaligen Kleinbürger, Arbeiter und Bauern.
 
Doch die Anpassungsfähigkeit des alten Bildungsbürgertums war groß genug, um sich sowohl in Ost- wie auch in Westdeutschland zunächst unauffällig zu verhalten und nach und nach wieder aus ihren Nischen hervorzuschlüpfen. Und so taucht es plötzlich wieder auf in den großen Romanen der Zeit, ob es Juli Zehs Romane im Westen sind oder Uwe Tellkamps „Der Turm“. Überall tummeln sich wieder Bildungsbürger und streben wie eh und je nach geistiger „Totalorientierung“ über das „Ganze“, d. h. über die grundlegenden Ziele, Werte und Normen der Gesellschaft. Im „Turm“ sind es die Bücher, Musik, Bilder und Photographien aus der Zeit des alten Dresden, die zu Zeitkapseln werden, in denen ein früherer Geist konserviert und in die Gegenwart gerettet wird. Tellkamp gelingt es hier meisterhaft, Bilder zu malen, die keineswegs nur klischeehafte Idyllen wiedergeben und auch im Schrecklichen großartig bleiben. Bilder eines ddr-Alltags, der sowohl ein Sonderbereich einer Nische der Privatheit als auch Teil des Lebens in einer durchherrschten Gesellschaft ist. Das Gefühl der intellektuellen Überlegenheit, gepaart mit dem Gefühl der totalen Ohnmacht und der daraus resultierenden Passivität gegenüber herrschenden Systemen, macht diesen Roman so durch und durch aktuell und trifft offenbar den heutigen Leser mitten ins Herz.
 
Das 21. Jahrhundert
Leben, denken wir heute in Dresden wirklich anders? Am 13. Februar 2010 ereignete sich etwas, was zu Hoffnung Anlass gibt: Nach jahrelanger Tolerierung neonationalsozialistischer ­Umtriebe und Versuche, den Gedenktag zur Bombardierung und vernichtenden Zerstörung Dresdens 1945 für ihre Ziele zu instrumentalisieren, begann sich (bildungs-)bürgerlicher Widerstand zu formieren. Im Zentrum der Stadt hatte Oberbürgermeisterin Helma Orosz zu ­einer Menschenkette aufgerufen zum Gedenken an 1945, aber auch gegen Tausende Rechte, die angereist waren, um die Feier für die Neonazis zu reklamieren. An dieser Menschenkette hatten sich 15.000 Bürger beteiligt. Ein historischer Tag. Zum ersten Mal hatte sich das Dresdner Bürgertum offen gegen braune Invasoren gestellt, Seite an Seite mit der linken und alternativen Szene.

Im Gespräch

Für die betroffene Figur ist es eine Katastrophe, für den Zuschauer ist es ungeheuer komisch

Dramaturg Jens Groß im Gespräch mit Regisseur Wolfgang Engel über seine Arbeit am „Turm“, seinen Versuch, „Warnzeichen“ zu setzen und die Aufarbeitung von DDR-Alltag.
Jens Groß: Was interessiert Sie besonders an Uwe Tellkamps „Der Turm“?
Wolfgang Engel: Mein enges Verhältnis zu dem Roman hat mich sofort Ja sagen lassen, als ich das Angebot bekam, den „Turm“ zur Uraufführung zu bringen. Das, was ich selber durchgemacht habe an eigener, persönlichster Aufarbeitung beim Lesen des Romans, das will ich gerne weitergeben. Das heißt, ich konnte mich mit meiner Geschichte, die zum Teil total anders aussieht als die hier beschriebene Geschichte, ins Verhältnis setzen zu diesem Roman und damit zur DDR. Und so eine Aufarbeitung von Alltag in der DDR hat, meiner Meinung nach, noch nicht stattgefunden.
 
Einer der Kritikpunkte an dem Roman ist, dass hier versucht wurde, die letzten sieben Jahre der DDR ausgerechnet über ein Bildungsbürgertum zu beschreiben. Inwieweit kann diese besondere Klientel tatsächlich als repräsentativ für den Alltag in der DDR gelten?
Grundsätzlich überhaupt nicht, habe ich erst mal gedacht. Auf der anderen Seite hat die Bürgerlichkeit, die in dem Roman untersucht wird, eben doch viel mit dem Alltag in der DDR zu tun. Der „Turm“ ist ein Bild für ein nicht selbst bestimmtes Leben mit anderen Idealen, als sie das herrschende System vertritt, und das wird wie unter einem Brennglas betrachtet.
 
Das Bildungsbürgertum ist Produkt und Fundament der europäischen Aufklärung, seine Ideale stehen plötzlich zur Disposition. Im „Turm“ sieht man eine der letzten intakten Enklaven, die, trotz zweier Diktaturen, ihre Traditionen und Ideale bewahren konnte. Dennoch scheint es für diese Art von Aufklärung kaum mehr eine Zukunft zu geben. Sie rettet sich in Rückwärtsgewandtheit.
Genau. Beziehungsweise: Man sieht, dass diese Art von Bürgerlichkeit, zumindest unter den beschriebenen Verhältnissen, totalen Schaden nimmt an sich selbst, an ihrer Seele. Doch mich interessiert daran besonders die Frage: Wie weit geht in einer Gesellschaftsordnung ein taktisches Verhalten eines einigermaßen mit Intelligenz ausgestatteten Menschen, und wo beginnt der Opportunismus?

Wenn Sie Gesellschaft sagen, geht es im Roman vor allem um den Kampf von Individuen gegen das Kollektiv, um individuellen Freiraum gegen sozialistische Gleichmacherei. Was ist daran heute aktuell?
Diese Gefährdungen von Menschen finden heute genauso statt. Und ich glaube, dass es Sinn macht – im Sinne von Heiner Müller –, Warnbilder aufzurichten, also eine Bühne vorzufinden, wo gezeigt wird, wie doch um Gottes willen die Realität nicht eingerichtet sein sollte.
Das halte ich für einen erstrebenswerten moralischen Vorgang. Verantwortlich zu sein. Eine der zentralen Figuren, Christian Hoffmann, wird im Verlauf der Geschichte mit all seinen wunderbaren Anlagen langsam, aber unaufhaltsam zu einem systemkonformen Menschen. Das ist das, was mich ungeheuer berührt an dem Buch, wie und woran ein Mensch kaputtgehen kann. Und er stirbt nicht einmal daran, man weiß nicht, was aus ihm am Ende wird, ob er die Kurve noch kriegt, oder was diese Art von Opportunismus aus ihm macht. Diese Art von Aufgeben, Aufgeben müssen. Da bleibt dann vielleicht nur Flucht oder das Beharren, was ja auch eine Art Flucht ist. Die Suche nach lebenswerten Dingen in der Vergangenheit. Also: Wie entsteht Konservatismus? Der ist ja nicht von vornherein einfach da. Es ist alles – auch das lehrt dieses Buch – gesellschaftliches Verhalten, und man ist ein Spiegelbild oder ein Abbild von gesellschaftlichen Umständen.
 
Sie haben es mit einem buntgemischten, großen Ensemble zu tun, ganz junge Schauspieler, erfahrene ältere West- und Ostschauspieler. Was können Sie über die Probenarbeit miteinander sagen?
Vielleicht kann das Unternehmen gelingen, eben weil es so eine bunte Mischung ist. Dadurch haben wir eine Chance, dass es nicht eine Veranstaltung wird, in der wir alten Knacker sagen, wir wissen, wie es war, wir sind im Besitz der Wahrheit. Es macht einfach Spaß, sich untereinander kennenzulernen und das zu tun, was es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht gab: nämlich die Aufarbeitung von Alltag, wo jeder gleichberechtigt gefragt ist und die unterschiedlichsten Erfahrungen und Fragen zusammenkommen. Ja, und das muss man alles unter einen Hut bringen. Das ist so ein bisschen wie auf der Suche sein nach einer Art von Wirklichkeit, die über das Theater hinausgeht.
 
„Spaß“ ist vielleicht ein gutes Stichwort. Es wird im Zuschauerraum während der Proben oft gelacht. Ist diese Komik Bestandteil des Buches, oder ist sie eher Ergebnis Ihrer Arbeit, Ihrer Betrachtungsweise?
Von einer sicheren Position aus hat man gut lachen. Komik auf dem Theater bedeutet ja immer, wenn es nicht gerade nur albern ist, dass sich Figuren in katastrophalen Zuständen befinden. Und wir unten können uns auf unserem sicheren Parkettsitz geradezu hämisch freuen über die Katastrophen, die da oben stattfinden. Für die betroffene Figur ist es eine Katastrophe, für den Zuschauer ist es ungeheuer komisch. Ich würde gerne wollen, dass man am Anfang viel lacht und am Schluss nicht mehr.