Premiere 11.02.2012 › Schauspielhaus

Der Meister und Margarita

nach dem Roman von Michail Bulgakow
Deutsch von Thomas Reschke
Für die Bühne eingerichtet von Felicitas Zürcher
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Philipp Lux, Matthias Reichwald, Picco von Groote, Sascha Göpel, Vera Irrgang, Dominik Schiefner, Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky, Philipp Lux, Picco von Groote
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sascha Göpel, Picco von Groote
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Thomas Braungardt
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Dominik Schiefner, Matthias Reichwald, Nele Rosetz, Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Matthias Reichwald, Nele Rosetz
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Philipp Lux, Nele Rosetz, Benjamin Höppner, Matthias Reichwald
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Nele Rosetz
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Philipp Lux, Benjamin Höppner, Nele Rosetz
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Nele Rosetz, Benjamin Höppner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Vera Irrgang, Thomas Braungardt, Thomas Eisen
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Picco von Groote, Thomas Eisen, Dominik Schiefner, Matthias Reichwald, Stefko Hanushevsky, Sascha Göpel, Vera Irrgang, Philipp Lux
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Matthias Reichwald, Benjamin Höppner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Dominik Schiefner, Matthias Reichwald, Picco von Groote, Benjamin Höppner, Philipp Lux, Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn

Handlung

Unheimliche, schwer erklärbare Vorfälle ereignen sich in Moskau: Ein atheistischer Redakteur gerät unter die Straßenbahn, ein Schriftsteller in die Irrenanstalt, ein geschmierter Hausmeister wird verhaftet, einem Kritiker die Wohnung verwüstet und einem schmierigen Entertainer der Kopf abgerissen ... Denn der Teufel persönlich stattet Moskau einen Besuch ab. Er feiert dieses Jahr hier seinen Frühjahrsball, für den er eine Ballkönigin mit dem Namen Margarita sucht, und räumt bei der Gelegenheit gründlich auf. Gemeinsam mit seinem Gefolge fördert er in Gestalt von Voland, Meister für schwarze Magie, mit den gängigen Mitteln der Staatsmacht ganz teuflisch den ganzen korrupten, opportunistischen Bodensatz der Stadt zutage. Ausgenommen bleiben allein zwei unglückliche Gerechte: der Meister, ein Schriftsteller, der mit seinem als konterrevolutionär gebrandmarkten Roman über Pontius Pilatus und den friedlichen Philosophen Jeschua Ha-Nozri ins Kreuzfeuer der Kritik geriet und in der Irrenanstalt verstummte, und Margarita, seine Geliebte, die sich auf einen Handel mit dem Teufel einlässt.

Bulgakows Meisterwerk, entstanden zwischen 1928 und 1940, verwebt in verschiedenen Erzählsträngen Fiktion, Satire und historische Begebenheiten und gilt als der „russische Faust“. Wie der Meister hatte auch Michail Bulgakow selber unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Der Roman konnte zu Lebzeiten Bulgakows nicht erscheinen und wurde erst 1966 veröffentlicht, 26 Jahre nach Bulgakows Tod. Regie führt Wolfgang Engel, der vergangene Spielzeit Uwe Tellkamps DER TURM in Dresden inszenierte und im Herbst 2011 mit dem deutschen Theaterpreis DER FAUST für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

Besetzung

Regie
Wolfgang Engel
Bühne
Olaf Altmann
Kostüme
Michael Sieberock-Serafimowitsch
Musik
Thomas Hertel
Dramaturgie
Felicitas Zürcher
Licht
Michael Gööck
Der Meister / Levi Matthäus, ein Schreiber
Benjamin Höppner
Margarita
Nele Rosetz
Voland, der Satan / Pontius Pilatus, Prokurator von Judäa
Korowjew
Behemoth, ein Kater
Stefko Hanushevsky
Asasello / Dwubratski, Schriftsteller
Dominik Schiefner
Gella, eine Hexe / Sagriwowa, Schriftstellerin / Ein Junge
Picco von Groote
Michail Berlioz, Redakteur der MASSOLIT / Afranius, Chef des Geheimdienstes / Dr. Strawinski, Psychiater / Partschewski, ein Zuschauer
Iwan Besdomny, Lyriker / Jeschua Ha-Nozri, wandernder Philosoph
Thomas Braungardt
Der Kritiker Latunski / Zenturio Marcus Rattenschlächter / Bengalski, Conférencier / Kantinenwirt
Sascha Göpel
Redaktionssekretärin / Steuermann George, Schriftstellerin / Verkäuferin / Oberschwester Praskowja Fjodorowna / Jekaterina Bossowa, Hausverwalterin / Ein Hausmädchen
Vera Irrgang
Pratschewskis Frau
Franziska Hauer / Annabell Schmieder
Der vom ersten Rang
Marcus Horn / Steffen Liebscher

Video

Pressestimmen

„‚Der Meister und Margarita‘ in Dresden ist ein Theaterfeuerwerk der Ideen – laut und voller Energie.
Ein exzellent spielendes Ensemble.“
Sächsische Zeitung, Sebastian Thiele
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„‚Der Meister und Margarita‘ in Dresden ist ein Theaterfeuerwerk der Ideen – laut und voller Energie.
Was für ein Bild in Zeiten der Finanzängste: Der Teufel und sein Gefolge mimen mit billigen Tricks Varieté fürs Volk. Gezinkte Karten. Witzchen. Hahaha. Plötzlich rauscht ein Theatergeldregen über die Köpfe der Zuschauer. Danach schwebt nur ein Vögelchen von der Decke, aber mit Extraaa-Ansage: Dieser 50-Euro-Schein ist echt! Definitiv echt ist das Ideenfeuerwerk von Wolfgang Engel, mit dem er seine dichte, dreistündige Inszenierung des russischen Faust-Romans ‚Meister und Margarita‘ lebendig auf die Bühne zaubert. Ein exzellent spielendes Ensemble.“
Sebastian Thiele, Sächsische Zeitung
„Engel setzt mit Spielwitz auf den Teufel und seine Bande, mit Emotionen und großen Bildern auf die Liebe und schafft es, uns meisterlich zu unterhalten.“
mdr figaro, Wolfgang Schilling
„Die mit Trampeln und Bravorufen gefeierte Inszenierung changiert zwischen dialogischem Spiel und epischer, kommentierender Erzählung, ohne dass dadurch die Spannung abfällt.“
Dresdner Neueste Nachrichten, Tomas Petzold
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„Die straff geführte und über weite Strecken sehr sinnliche, am Ende mit Trampeln und Bravorufen gefeierte Inszenierung changiert zwischen dialogischem Spiel und epischer, kommentierender Erzählung, ohne dass dadurch die Spannung abfällt ... dass das Theater damit wieder ein bisschen reicher geworden ist, scheint sicher.“
Tomas Petzold, Dresdner Neueste Nachrichten
„Engels Bulgakow ist so ungehemmt verrückt auf der einen Seite wie berührend weise und wahr auf der anderen. Was das Theater im Umgang mit einem formfremden Stoff zu leisten vermag, zeigt der alte Magier Engel her.“
Dresdner Morgenpost, Guido Glaner
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„Eine furiose Premiere. Eine aberwitzige und kluge Geschichte, starke Charaktere, verführerische Sprache. Felicitas Zürcher hat dem Roman eine erstklassige Bühnenform verpasst. Engels Bulgakow ist so ungehemmt verrückt auf der einen Seite wie berührend weise und wahr auf der anderen. Was das Theater im Umgang mit einem formfremden Stoff zu leisten vermag, zeigt der alte Magier Engel her: Er macht ihm den Roman auf eine Weise gefügig, die einen, wenn man’s nicht besser wüsste, an die reine Bühnenbestimmung des Stoffes glauben ließe.“
Guido Glaner, Dresdner Morgenpost
„Ein Feuerwerk zündender Ideen. Den Abend feierte das Publikum mit nicht enden wollendem Beifall und Getrampel.“
mdr 1 Radio Sachsen
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„Ein Feuerwerk zündender Ideen. Nach dem gut dreieinhalbstündigen Abend weiß der Zuschauer, dass der kürzlich mit dem deutschen Theater-Preis FAUST fürs Lebenswerk Ausgezeichnete auch seinen Spaß am Spaß hat. Den feierte das Publikum mit nicht enden wollendem Beifall und Getrampel.“
mdr 1 Radio Sachsen
„Eine tiefsinnige, gelungene und amüsante Inszenierung!“
Bild
„Tolldreistes, zirzensisch aufgeladenes Theater, bei dem ein vorwiegend jüngeres Ensemble, in wechselnden Rollen von Gut, Böse und Blöd, zur gelenkig spielerischen Hochform aufläuft.“
Neues Deutschland, Hans-Dieter Schütt
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„Tolldreistes, zirzensisch aufgeladenes Theater, bei dem ein vorwiegend jüngeres Ensemble, in wechselnden Rollen von Gut, Böse und Blöd, zur gelenkig spielerischen Hochform aufläuft; Theater, das sich ins aufgekratzt Komödiantische steigert, um plötzlich in tiefe Traurigkeit darüber zu stürzen, wie hilflos, brutal und unheilbar der Mensch im Teufelskreis selbstgemachten Elends steckt.“
Hans-Dieter Schütt, Neues Deutschland

Ein Gespräch mit Regisseur Wolfgang Engel

Wir müssen aufpassen, dass die Gullis nicht wieder aufgehen

Wolfgang Engel hat in der vergangenen Spielzeit den Roman „Der Turm“ von Uwe Tellkamp auf die Bühne gebracht. In der kommenden Saison widmet er sich wieder einem literarischen Stoff: „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow. In Moskau erscheint leibhaftig der Teufel. Unter dem Namen Voland, Professor für schwarze Magie, kündigt er einen Tod an, lässt Menschen verschwinden, treibt andere in den Wahnsinn, veranstaltet eine Varieté-Vorstellung und verhilft schließlich dem Meister, Autor eines unveröffentlichten Romans, und seiner Geliebten Margarita zu einem zweiten Glück. Wolfgang Engel spricht mit der Dramaturgin Felicitas Zürcher über persönliche Leseeindrücke, seine Erfahrungen in einer Diktatur und erste Ideen zur Umsetzung.

Herr Engel, Sie werden in Dresden den Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow auf die Bühne bringen. Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit dem Roman erinnern?

Wolfgang Engel: „Der Meister und Margarita“ war in der ddr ein Kultroman, zumindest unter den Intellektuellen. Ich war da wahnsinnig hinterher, und ich besitze sogar noch eine alte Ausgabe aus der ddr, mit einem Essay des Lektors und Verlegers Ralf Schröder, der auch Übersetzer war. Darin behauptet Schröder mit Nachdruck, es handle sich bei „Der Meister und Margarita“ um Gottes willen nicht um einen Schlüsselroman – um den Roman bei der Zensur durchzukriegen. Wenn man diesen Essay liest, könnte man Schröder für einen Opportunisten halten. Das war er aber nicht, im Gegenteil, er hat alles dafür getan, damit das Buch gedruckt wird.

Sie sagen, das Buch war in der DDR ein Kultroman. Wie hat das Buch die Leser, die Intellektuellen in der DDR beeinflusst?
Man hat ja immer nach Zeichen gesucht, die beschreiben, was eigentlich stattfindet. Wir haben frohlockt, einen solchen Roman zu lesen, zu sehen, dass das Land nicht tot ist, dass es Intellektuelle gibt, Schriftsteller, die etwas wagen. Man hat sehr viel von den Russen gelesen – nach der Wende habe ich erkannt, dass die ganze Westliteratur letztlich an mir vorbeigegangen ist. Aber ich kenne alle Bücher von Aitmatow und Schukschin. Deren Behandlung von Alltag war nicht verlogen, nicht geschönt, nicht ideologisch verbrämt – die andere haben wir in der Schule gelesen. Diese Romane waren alle weiter als die damaligen ddr-Romane. Deswegen auch das Frohlocken über den Bulgakow-Roman. Das hing natürlich damit zusammen, dass es eine fantastische Geschichte ist, in der man sich sehr viel Interpretation leisten konnte. Ich glaube, der Wiedererkennungseffekt hat einem Mut gemacht.

Können Sie etwas über das Russland der 1930er-Jahre erzählen, in dem Bulgakow gelebt hat?
Es gibt eine Tagebucheintragung vom 17. Juli 1939 von Jelena Bulgakowa, der Frau von Bulgakow: „Es geht das Gerücht, Sinaida Reich sei auf viehische Weise ermordet worden.“ Ich denke, wenn man dieses Tagebuch gelesen hat, weiß man genug über totalitäre Staaten. Das beschreibt die Situation von Intellektuellen und auch deren Privilegien. Ich finde dieses Buch wirklich bemerkenswert. Man weiß nicht genau, was daraus eliminiert worden ist, ursprünglich war es viel umfangreicher. Auch die Bulgakowa selbst hat Passagen rausgestrichen.
Ich habe 2008 in Leipzig Bulgakows „Molière oder Die Verschwörung der Heuchler“ inszeniert. Da haben wir Briefe gelesen, die Bulgakow an Stalin geschrieben hat, richtige Bettelbriefe, ihn wieder arbeiten zu lassen oder ihn rauszulassen aus der Sowjetunion.
In dem Tagebuch gibt es auch ein Fragment, „Was Michail Afanasjewitsch hätte passieren können“, eine Satire, in der Bulgakow und Stalin vorkommen. Stalin geht mit seinem ganzen Gefolge in die Oper. Und Bulgakow beschreibt, wer wann in Ohnmacht fällt, weil er denkt, er hätte etwas Falsches zu Stalin gesagt. Stalin, Woroschilow, Molotow, Kaganowitsch, Budjonny, alle tauchen auf. Das müsste man irgendwie verwenden.

Was reizt Sie besonders an dem Roman? Und warum gehört der Roman heute auf eine Dresdner Bühne?
Das Spannendste finde ich diese nicht greifbare Situation, diese Dumpfheit, was da an Üblem aus den Kloaken Moskaus kriecht. Die ständige Angst, das ständige Misstrauen, auch die Schlitzohrigkeit, die sich daraus entwickelt. Diese etwas diffuse Angst.
Man fragt sich natürlich, warum man ein Stück macht, das etwas über eine gesellschaftliche Situation erzählt – und sei es noch so verschlüsselt –, die Gott sei Dank vorbei ist. Es hat für mich etwas mit Warnbildern zu tun: Das könnte alles wieder passieren. Ich stelle mir das nicht als Vergangenheit vor, sondern eher wie Science-Fiction, wie im Film „Twelve Monkeys“. Was war, kann auch wieder kommen. Ein Menetekel. Gleichzeitig behandelt der Roman Dinge, die auch in Demokratien vorkommen. Opportunismus gibt es nach wie vor, wenn auch nicht so zugespitzt, aber er findet täglich statt. Was in der Politik gelogen wird, wie man für dumm verkauft wird und mit welcher Schamlosigkeit das passiert, das alles wird in dem Roman beschrieben. Außerdem ist das in vielen Staaten der Welt immer noch Realität. Das meine ich mit dem Bild des Kloakendeckels: Wir müssen schön aufpassen, dass der Deckel zubleibt, dass die Gullis nicht wieder aufgehen. Der Roman ist auch eine Metapher für eine Welt von Entfremdung, für die Schrecken der Zivilisation.
In dem Roman geht es um Zensur und Kontrolle: Leute werden wahnsinnig gemacht, abgeschoben, verhaftet, ermordet. Gleichzeitig ist es ein bunter, überbordender, fast burlesker Roman. Wie erklären Sie sich diese Lebensfreude?
Lebensfroh finde ich es nicht. Es ist immer ein Tanz auf dem Vulkan. Das stinkt alles, ist morbid, dieser Tingeltangel.
Ich habe in Schwerin „Der nackte König“ von Jewgeni Schwarz inszeniert und mich damals viel mit der Tradition der Revue beschäftigt. In Russland waren in den 1920er-Jahren Estradenprogramme mit Artisten, Clowns und Sketchen weitverbreitet. Was in Mitteleuropa die großen Revuen waren, war bei den Russen die Estrade. Schwarz hat alle seine Stücke als Estraden, als große Revuen getarnt und dann mit einem saftigen Inhalt versehen. In Märchen verpackt werden Alltagssituationen aus der Sowjetunion dargestellt. Und das Publikum saß schadenfroh und mit Häme drin, weil eigentlich seine Gegenwart reflektiert wurde.

Der titelgebende „Meister“, Autor, der mit der Zensur kämpft, schreibt im Roman einen Roman, ein Werk über die Begegnung zwischen Pontius Pilatus und Jeschua Ha-Nozri, das ist Jesus von Nazareth. Was ist das Subversive daran? Können Sie das erklären?
Richtig erklären kann ich das nicht. Außer dass es Gott gegeben hat bzw. dass es Jesus gegeben hat, das ist das Provokante. Das ist ein Angriff auf den Atheismus als Staatsreligion. Mir hängt – zumindest bei einer Reihe von Westkritikern – der Ruf an, dass meine Aufführungen kein Geheimnis haben, weil ich immer alles erklären würde. So bin ich groß geworden, ich bin ein Atheist. Ich denke, dass die Welt erklärbar ist. Davon muss man sich bei dieser Art von Geschichte trennen. Es ist nicht alles erklärbar. Horst Kleineidam, Autor einer Reihe von belanglosen DDR-Stücken, wagte sich einmal weiter vor und wurde gleich verboten: Das Stück heißt „Jerusalem“ und spielt in der letzten Nacht vor der Kreuzigung Christi. Barabbas und Jesus Christus sitzen gemeinsam in einer Gefängniszelle. Sie könnten beide bei der RAF sein, obwohl es die damals noch gar nicht gab. Der eine ist Pazifist und überzeugt, dass man ihn noch in Hunderten und Tausenden von Jahren kennen wird, der andere behauptet, dass das die Leute auf der Straße überhaupt nicht interessiert. Das ist Barabbas, ein linker Revolutionär, der Gewalt anwendet. Selbst wenn Jesus die Gesellschaft, die Menschheit insgesamt weiterbringt, interessiert das die Leute auf der Straße nicht. Dieser pazifistische Jesus und dass es ihn gibt, das ist die Provokation. Wie man mit der Geschichte von Pontius Pilatus auf der Bühne umgeht, da bin ich mir noch nicht sicher. Der Mythos müsste in der Realität stattfinden. Das heißt, diese Pilatus-Geschichte findet verschnitten in den anderen Szenen statt. Die Figuren würden sich vielleicht gar nicht berühren. Oder aber sie berühren sich, ohne es zu bemerken.

Haben Sie schon weitere Ideen für die Umsetzung des Romans? Für die fantastischen Elemente wie den Kater und die nackt auf Besen durch Moskau fliegenden Frauen? Oder für die Varieté-Vorstellung, in der dem Direktor der Kopf abgerissen wird?
Varieté muss man machen. Zaubern muss sein. Wer weiß, vielleicht wird jemand zersägt? Das dürfen aber nicht bloß vordergründige Zaubertricks bleiben. Es muss Varieté sein, auch mit einem Augenzwinkern, das kann die große Revue sein, gleichzeitig muss es aber auch erschrecken können. Diesen Revuestil würde ich gerne verfolgen. Und ich würde gerne mit viel Musik arbeiten. Es gibt unwahrscheinlich viel verschiedene Musik aus den 1930er-Jahren. Bekannte Chansoninterpreten, die Streichquartette von Schostakowitsch, oder Aram Chatchaturjan, die Maskerade-Suite, diese Musik ist so morbid. Es wäre toll, wenn die Truppe um Voland die Musik macht. Beim Kater reicht es unter Umständen schon, wenn der einen Schnurrbart hat. Große Revue schwebt mir vor und Livemusik durch die Truppe des Teufels.

Glauben Sie, dass man heute unter diesem Bunten, diesem Revuehaften die Atmosphäre von Bedrohung trotzdem spüren wird? Ist es Ihnen ein Anliegen, dass das auch für jüngere Zuschauer, die keine Erfahrungen mit diktatorischen Regimes haben, lesbar bleibt?
Ja, das denke ich schon. Es ist natürlich schwieriger geworden, das zu lesen, und es erfordert auch einen interpretierenden Zuschauer. Diese Bulgakow’sche Revue hat mehr was von Grand-Guignol, sie ist eine Art Groteske, die kippt. Die Tricks müssten kippen, und das Lachen müsste ersterben. Aber vielleicht sind wir ein bisschen wie Voland und können die Zuschauer verführen, auch durch die Art und Weise, wie erzählt wird, damit etwas von der Thematik hängen bleibt. Das ist hier in Dresden gut aufgehoben, denke ich. Dresden ist ja eine Stadt, in der man sich viel mit Vergangenheit beschäftigt.

Wolfgang Engel war lange Jahre fester Regisseur am Staatsschauspiel Dresden, wo ihn seine Inszenierungen zu einem der wichtigsten Regisseure der DDR machten. Ab 1983 reiste Engel auch zu Regiearbeiten in den Westen. 1991 ging er nach Frankfurt am Main und wurde fester Regisseur am dortigen Schauspiel. Von 1995 bis 2008 war Wolfgang Engel Intendant des Schauspiels Leipzig. Er eröffnete die Spielzeit 2010.2011 am Staatsschaupiel Dresden mit seiner viel beachteten Uraufführung von Uwe Tellkamps DER TURM, die von der mdr/arte aufgezeichnet und zu den Berliner Autorentheatertagen 2011 an das Deutsche Theater eingeladen wurde.