Premiere 12.04.2013
› Schauspielhaus
Der Drache
von Jewgeni Schwarz
Aus dem Russischen von Günter Jäniche
Aus dem Russischen von Günter Jäniche
Handlung
Eine Stadt ist vor hunderten von Jahren in die Hand eines Drachen gefallen. Er presst den Bewohnern Monat für Monat hohen Tribut ab. Einmal im Jahr muss ihm außerdem eine Jungfrau geopfert werden. Die Bewohner haben sich mit der Situation arrangiert. Immerhin garantiert sie Stabilität. Auch das mörderischste und ungerechteste Willkürregime kann funktionieren, solange es den Menschen vermeintliche Sicherheit bietet. Doch dann kommt ein junger Fremder in die Stadt und stellt die alte, zweifelhafte Ordnung in Frage.
In dieser vorgeblichen Naivität erzählt Jewgeni Schwarz 1943 seine Geschichte vom Drachen; wie stets verpackt er seine Erzählung ins Gewand eines Märchens – und liefert in Wahrheit ein hochbrisantes, zeitkritisches Stück, das die Diktatur des deutschen Nazi-Regimes an den Pranger stellt. Doch das Stück weist über seine Zeit hinaus. Auch die Diktaturen Osteuropas sahen sich rasch im „Drachen“ gespiegelt. Und heute? Heute ist die Diagnose dieses Stückes fast noch beängstigender geworden. Denn Schwarz führt in seiner Theaterparabel den Beweis, dass nur eines schlimmer ist als Oppression und Willkürherrschaft: nämlich die Verinnerlichung der Mechanismen und Werte eines solchen Herrschaftssystems. „Der Drache“ im Jahr 2013 gelesen, das bedeutet eine Hinterfragung unserer westlichen Gesellschaft. Ist nicht auch unser System mörderisch? Wissen wir nicht um die Opfer, die unser Lebensstil weltweit kostet; wissen wir nicht um den Preis, den andere zahlen? Und leben wir nicht trotzdem weiter, als ob es eben nicht so wäre? Und lächeln, so wie es die Figuren von Schwarz tun? Wir brauchen keinen Oppressor von außen, keinen Drachen – wir tragen ihn bereits in uns, wir haben ihn verinnerlicht. Was würden wir einem Ritter Lanzelot antworten, der vor uns träte und forderte, dass wir unser Leben ändern sollen?
In dieser vorgeblichen Naivität erzählt Jewgeni Schwarz 1943 seine Geschichte vom Drachen; wie stets verpackt er seine Erzählung ins Gewand eines Märchens – und liefert in Wahrheit ein hochbrisantes, zeitkritisches Stück, das die Diktatur des deutschen Nazi-Regimes an den Pranger stellt. Doch das Stück weist über seine Zeit hinaus. Auch die Diktaturen Osteuropas sahen sich rasch im „Drachen“ gespiegelt. Und heute? Heute ist die Diagnose dieses Stückes fast noch beängstigender geworden. Denn Schwarz führt in seiner Theaterparabel den Beweis, dass nur eines schlimmer ist als Oppression und Willkürherrschaft: nämlich die Verinnerlichung der Mechanismen und Werte eines solchen Herrschaftssystems. „Der Drache“ im Jahr 2013 gelesen, das bedeutet eine Hinterfragung unserer westlichen Gesellschaft. Ist nicht auch unser System mörderisch? Wissen wir nicht um die Opfer, die unser Lebensstil weltweit kostet; wissen wir nicht um den Preis, den andere zahlen? Und leben wir nicht trotzdem weiter, als ob es eben nicht so wäre? Und lächeln, so wie es die Figuren von Schwarz tun? Wir brauchen keinen Oppressor von außen, keinen Drachen – wir tragen ihn bereits in uns, wir haben ihn verinnerlicht. Was würden wir einem Ritter Lanzelot antworten, der vor uns träte und forderte, dass wir unser Leben ändern sollen?
Besetzung
Regie
Wolfgang Engel
Bühne und Kostüme
Hendrik Scheel
Musik
Thomas Hertel
Choreografie
Harald Wandtke
Licht
Michael Gööck
Dramaturgie
Robert Koall
Drache
Tom Quaas
Lanzelot
Matthias Luckey
Charlemagne, Archivar
Lars Jung
Elsa, Tochter des Archivars
Ines Marie Westernströer
Bürgermeister
Heinrich, Sohn des Bürgermeisters
Benjamin Pauquet
Kater / Chor der Bürger, Handwerker, Wachen u. a.
Christian Clauß
Chor der Bürger, Handwerker, Wachen u. a.
Christine-Marie Günther, Tobias Krüger, Max Rothbart
Bürger, Handwerker, Wachen, u. a.
sowie Hartmut Arnstadt, Veit Grasreiner, Henrike Großmann, Werner Koch, Silke Körner, Teresa Lippold, Bernd Oppermann, Matthias Wiegand
Trompete
Christian Rien
Video
Über Drachen, Revolutionen und politische Sackgassen
von Felicitas Zürcher
Sie sind riesig, haben Schuppen, mehrere Köpfe, rote Zacken auf dem Rücken und Tatzen mit mächtigen Krallen. Sie speien Feuer und haben einen giftigen Atem, wohnen versteckt in Höhlen oder unter Wasser in tiefen Seen. Sie fordern täglich zwei Schafe oder einmal im Jahr eine Jungfrau – wahlweise auch einen Jüngling –, liegen 1000 Jahre schon auf Schätzen, sind uralt und schier unbesiegbar. Ihre Bezwinger heißen Marduk, Tristan, Herakles, Siegfried oder Sankt Georg, sie sind Ritter, Helden, Halbgötter oder Heilige.
Es gibt zahllose Drachenmythen aus den verschiedensten Ländern und Kulturen. Der Sieg des Helden über das Ungeheuer verkörpert viele verschiedene Prinzipien und kann je nach Blickwinkel auch unterschiedlich gedeutet werden: als Erneuerung der kosmischen Ordnung und Sieg von Verstand und Logos über das Chaos; als Sieg des männlichen Prinzips über das weibliche: der Ritter in Stahl und Eisen gegen die weiche, ungeformte Natur, die unbeherrschte Sexualität; als Symbol für die Schwierigkeiten beim Erreichen von hohen Zielen; als Sieg des Ich über das Unbewusste; als Sieg des göttlichen Prinzips über das Böse, den Teufel.
Jewgeni Schwarz, der russische Märchendichter, benutzt den Mythos für eine politische Botschaft. Sein Drache ist ganz nach klassischen Vorbildern gestaltet: Er hat Krallen, drei Köpfe, kann fliegen und speit Feuer, und jedes Jahr fordert er eine Jungfrau. Er erscheint in verschiedenerlei Gestalt und wohnt in der Nähe einer Stadt, die er komplett in seiner Gewalt hat. Man hat sich arrangiert und die Bedingungen des Drachen akzeptiert, von dem man ja auch Gegenleistungen erhält: Der Drache hält Feinde fern und hat vor einigen Jahrhunderten die Choleraepidemie abgewendet, indem er das Wasser des Sees abgekocht hat. Deswegen – und hier beginnt die Umdeutung der klassischen Mythen durch Jewgeni Schwarz – kommt niemandem so recht gelegen, dass der Drachentöter Lanzelot in den Ort kommt: Angst regiert, und jeglicher Widerstand ist eingeschlafen. Niemand will ein Risiko eingehen, denn erstens glaubt man nicht, dass Dra-Dra, wie das Ungeheuer liebevoll genannt wird, besiegt werden kann, und zweitens: Wer weiß, ob einen die neue Zeit ebenso ungeschoren davonkommen lässt.
Doch Lanzelot bleibt seinem Auftrag, den er sich selbst gegeben hat, treu. Er zieht in den Kampf und tötet den Drachen – mithilfe von einigen Tieren und fahrenden Händlern, die ihn mit einem fliegenden Teppich, einem Tarnhelm und Waffen ausstatten.
Es gibt zahllose Drachenmythen aus den verschiedensten Ländern und Kulturen. Der Sieg des Helden über das Ungeheuer verkörpert viele verschiedene Prinzipien und kann je nach Blickwinkel auch unterschiedlich gedeutet werden: als Erneuerung der kosmischen Ordnung und Sieg von Verstand und Logos über das Chaos; als Sieg des männlichen Prinzips über das weibliche: der Ritter in Stahl und Eisen gegen die weiche, ungeformte Natur, die unbeherrschte Sexualität; als Symbol für die Schwierigkeiten beim Erreichen von hohen Zielen; als Sieg des Ich über das Unbewusste; als Sieg des göttlichen Prinzips über das Böse, den Teufel.
Jewgeni Schwarz, der russische Märchendichter, benutzt den Mythos für eine politische Botschaft. Sein Drache ist ganz nach klassischen Vorbildern gestaltet: Er hat Krallen, drei Köpfe, kann fliegen und speit Feuer, und jedes Jahr fordert er eine Jungfrau. Er erscheint in verschiedenerlei Gestalt und wohnt in der Nähe einer Stadt, die er komplett in seiner Gewalt hat. Man hat sich arrangiert und die Bedingungen des Drachen akzeptiert, von dem man ja auch Gegenleistungen erhält: Der Drache hält Feinde fern und hat vor einigen Jahrhunderten die Choleraepidemie abgewendet, indem er das Wasser des Sees abgekocht hat. Deswegen – und hier beginnt die Umdeutung der klassischen Mythen durch Jewgeni Schwarz – kommt niemandem so recht gelegen, dass der Drachentöter Lanzelot in den Ort kommt: Angst regiert, und jeglicher Widerstand ist eingeschlafen. Niemand will ein Risiko eingehen, denn erstens glaubt man nicht, dass Dra-Dra, wie das Ungeheuer liebevoll genannt wird, besiegt werden kann, und zweitens: Wer weiß, ob einen die neue Zeit ebenso ungeschoren davonkommen lässt.
Doch Lanzelot bleibt seinem Auftrag, den er sich selbst gegeben hat, treu. Er zieht in den Kampf und tötet den Drachen – mithilfe von einigen Tieren und fahrenden Händlern, die ihn mit einem fliegenden Teppich, einem Tarnhelm und Waffen ausstatten.
Das Interessanteste im Stück ist aber nicht der Kampf, sondern der Moment nach der Drachentötung. Die Köpfe sind abgeschlagen und der schwer verletzte Lanzelot wird in einer Höhle versteckt, wo er aufgepäppelt wird. In der Stadt aber passiert Unglaubliches: Statt zu jubeln und ein neues Zeitalter auszurufen, lässt sich die Bevölkerung weiter knechten. Wie geschieht das? Warum lassen sich die Menschen das gefallen? Warum bestehen sie nicht auf ihrer neu gewonnenen Freiheit, warum verteidigen sie den Sieg Lanzelots und ihr neues Leben nicht? „Ich habe ihre Seelen verkrüppelt“, sagt der Drache vor dem Kampf zu Lanzelot, und wenn er kurz darauf tot auf den Marktplatz fällt, erkennt der Bürgermeister sofort: „Der Verstorbene hat die Stadt so abgerichtet, dass sie jedem gehorcht, der die Zügel straff in die Hand nimmt.“ Es dauert ein weiteres Jahr, bis Lanzelot genesen ist und die Stadt wirklich befreit.
Jewgeni Schwarz hat das Stück 1943 unter dem Eindruck von Hitlers Schreckensherrschaft geschrieben. Doch das Märchen lässt sich leicht auf andere Epochen und ihr Ende beziehen: Die Drachentöter vom Tahrir-Platz sind tot oder mundtot gemacht worden, der demokratische Prozess in der arabischen Welt ist ins Stocken geraten, Militärregierungen agieren repressiv und Islamisten gewinnen an Macht. Und aus der kurzen Zeit der Hoffnung, die auf das Ende der DDR folgte, als die Akteure der friedlichen Revolution dachten, sie würden einen neuen Weg finden, ist der Anschluss an die BRD geworden.
Auch heute muss man sich fragen, wer eigentlich unsere Drachen sind, was uns so lähmt, dass es nicht möglich scheint, den gesellschaftlichen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen: der immer weiter geöffneten Schere zwischen Arm und Reich, dem Abbau des Sozial- und Gesundheitssystems, der Privatisierung von Bildung, der Einschränkung der für die öffentliche Hand aufgewendeten Mittel, der Gier von Bankern und der Verschuldung von Staaten etc. – die Fakten sind bekannt. Und ohne viel Hoffnung muss man sich fragen: Wer wird unser Drachentöter sein? Wer wird ihm Tarnhelm und einen fliegenden Teppich schenken? Wie lange wollen wir noch auf ihn warten? Und wie oft wird er uns befreien müssen?
Jewgeni Schwarz hat das Stück 1943 unter dem Eindruck von Hitlers Schreckensherrschaft geschrieben. Doch das Märchen lässt sich leicht auf andere Epochen und ihr Ende beziehen: Die Drachentöter vom Tahrir-Platz sind tot oder mundtot gemacht worden, der demokratische Prozess in der arabischen Welt ist ins Stocken geraten, Militärregierungen agieren repressiv und Islamisten gewinnen an Macht. Und aus der kurzen Zeit der Hoffnung, die auf das Ende der DDR folgte, als die Akteure der friedlichen Revolution dachten, sie würden einen neuen Weg finden, ist der Anschluss an die BRD geworden.
Auch heute muss man sich fragen, wer eigentlich unsere Drachen sind, was uns so lähmt, dass es nicht möglich scheint, den gesellschaftlichen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen: der immer weiter geöffneten Schere zwischen Arm und Reich, dem Abbau des Sozial- und Gesundheitssystems, der Privatisierung von Bildung, der Einschränkung der für die öffentliche Hand aufgewendeten Mittel, der Gier von Bankern und der Verschuldung von Staaten etc. – die Fakten sind bekannt. Und ohne viel Hoffnung muss man sich fragen: Wer wird unser Drachentöter sein? Wer wird ihm Tarnhelm und einen fliegenden Teppich schenken? Wie lange wollen wir noch auf ihn warten? Und wie oft wird er uns befreien müssen?
Ist doch schön, wenn das Traditionsbewusstsein der Dresdner sich nicht im Frauenkirchen-Wiederaufbau und in der Altstadt-Touristifizierung erschöpft, sondern ohne unnötige Scham auch die jüngere Geschichte einschließt. Sie gehen zu Uwe Tellkamps ‚Der Turm‘, schauen sich Christa Wolfs ‚Der geteilte Himmel‘ an und nehmen mit dem ‚Drachen‘ freudig und stolz ihr Theatererbe an.“
Matthias Luckey spielt den Ritter Lanzelot als Mischung aus Öko-Aktivist und gealtertem Rocksänger. Er kommt gutgelaunt in diese Stadt, in der seit Jahrhunderten ein Drache herrscht. Die Menschen haben sich darin eingerichtet, sie nennen ihn liebevoll ‚Dra-Dra‘, und so ein Drache auf dem Kopf hat ja auch was Beruhigendes. Blöd nur, dass das Biest jedes Jahr eine Jungfrau fordert. In diesem Jahr ist es Elsa, etwas zaghaft gespielt von Ines Marie Westernströer. Sie hat sich mit dem Schicksal arrangiert. Herrlich isst Lars Jung als ewig lächelnder Vater, der lieber seine Tochter opfert, als die Stimme zu erheben. Zum schießen auch Benjamin Pauquet als Elsas Verlobter und Sekretär des Drachen, der stramm in seiner königlichen Uniform steckt und nicht merkt, wie fremdgesteuert er ist. Nur der Fremde, Lanzelot, versteht in seinem jugendlichen Eifer nicht, wieso sich alle ergeben haben – und fordert den Drachen zum Kampf. Doch als die Bestie die Bühne betritt, offenbart sich das Problem: Der Drache sieht gar nicht aus wie ein Drache. Er kommt im schwarzen Anzug daher, akkurat frisiert und immer lächelnd. Ein Banker und Manager, dessen Tücke in seiner vermeintlichen Harmlosigkeit steckt. Dagegen ist selbst ein Ritter machtlos.
Wolfgang Engel überlässt es einem schwarzen Anzug und dem fulminanten Tom Quaas, den heutigen Drachen vor Augen zu führen. Quaas spielt diesen Drachen genial wechselhaft.“
Zum Schlussbeifall steigerte sich das Publikum in eine Begeisterung, die während der Aufführung in dem Maße kaum spürbar war – selten hat man einen so glücklichen und gerührten Regisseur gesehen.“
Am Ende war der Saal weitgehend happy. Und Wolfgang Engel war es sichtlich auch.“