Premiere 19.03.2016 › Schauspielhaus

Das Schiff der Träume (E la nave va)

von Federico Fellini
Aus dem Italienischen von Trude Fein, Renate Heimbucher-Bengs, Beatrice Schlag
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Thomas Eisen, Yohanna Schwertfeger, Kilian Land, Anna-Katharina Muck, Jan Maak
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lou Strenger, Meik van Severen, André Kaczmarczyk, Thomas Eisen, Kilian Land, Yohanna Schwertfeger, Anna-Katharina Muck
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sven Kaiser, André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Anna-Katharina Muck, Yohanna Schwertfeger, Thomas Eisen, André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Lou Strenger, Sven Kaiser, Anna-Katharina Muck, Yohanna Schwertfeger, Kilian Land, André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Meik van Severen, Thomas Eisen, Lou Strenger, Anna-Katharina Muck, Yohanna Schwertfeger, Kilian Land, Jan Maak
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Kilian Land
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Yohanna Schwertfeger, Sven Kaiser
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: André Kaczmarczyk, Ensemble
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Kilian Land, André Kaczmarczyk, Yohanna Schwertfeger, Meik van Severen
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Kilian Land, Yohanna Schwertfeger, Jan Maak, André Kaczmarczyk, Anna-Katharina Muck
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Jan Maak, Kilian Land, André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Jan Maak, Yohanna Schwertfeger, Meik van Severen, Thomas Eisen, Kilian Land, André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Yohanna Schwertfeger
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Yohanna Schwertfeger, Kilian Land, Jan Maak, Thomas Eisen
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Kilian Land, Yohanna Schwertfeger, Thomas Eisen, Jan Maak, Statisterie
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Jan Maak, Thomas Eisen, Lou Strenger, André Kaczmarczyk, Statisterie
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Kilian Land, Anna-Katharina Muck, Statisterie, Meik van Severen, Thomas Eisen, Lou Strenger, Yohanna Schwertfeger, André Kaczmarczyk, Sven Kaiser
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Kilian Land, Anna-Katharina Muck, Sven Kaiser, Meik van Severen, Thomas Eisen, André Kaczmarczyk, Lou Strenger, Yohanna Schwertfeger, Statisterie
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Kilian Land, Anna-Katharina Muck, Sven Kaiser, Meik van Severen, André Kaczmarczyk, Thomas Eisen, Lou Strenger, Yohanna Schwertfeger, Statisterie
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Sven Kaiser, Kilian Land, Anna-Katharina Muck, Yohanna Schwertfeger, André Kaczmarczyk, Lou Strenger
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jan Maak, Anna-Katharina Muck, Meik van Severen, Lou Strenger, Yohanna Schwertfeger, Thomas Eisen, Kilian Land, André Kaczmarczyk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lou Strenger, Kilian Land
Foto: Matthias Horn

Handlung

Eine mondäne Gesellschaft aus Künstlern, Direktoren und Exzellenzen begibt sich an Bord des Ozeandampfers „Gloria N.“, um der größten Operndiva aller Zeiten das letzte Geleit zu geben. Man singt und speist, streitet und feiert, während der Dampfer auf die Insel Erimo zusteuert, vor der die Zeremonie für die Verstorbene stattfinden soll. Als der Kapitän unterwegs eine Gruppe in ­Seenot geratener serbischer Flüchtlinge aufnimmt, plant die illustre Trauergesellschaft, ihre ­Luxusreise weiterhin unbehelligt fortzusetzen. Doch als sich plötzlich ein österreichisches Kriegsschiff nähert, spitzt sich die Lage zu. Die Passagiere der Luxusklasse können die Not der Schiffbrüchigen und den sich anbahnenden politischen Umsturz nicht länger ignorieren.
„In Wahrheit liegt das eigentliche Ziel dieser Reise in der Reise selbst“, so Fellini über seinen Film. „Ihr zentrales Thema ist die schwierige Beziehung zur Wirklichkeit oder zu dem, was wir dafür halten.“ DAS SCHIFF DER TRÄUME lädt ein zu einer Kreuzfahrt mit ungewissem Ziel, auf der es phantastische, mal tragische, mal komische, fröhliche wie gefahrvolle Abenteuer zu erleben gibt.

Besetzung

Regie
Jan Gehler
Bühne
Sabrina Rox
Kostüme
Irène Favre de Lucascaz
Musik
Dramaturgie
Beret Evensen
Sir Reginald Dongby, Generalintendant
Lady Violet, Sir Reginald Dongbys Frau
Yohanna Schwertfeger
Ricotin, Stummfilmkomiker / Koch
Kilian Land
Aureliano Fuciletto, Tenor
Jan Maak
Ines Ruffo Saltini, Mezzosopranistin
Ildebranda Cuffari, Sopranistin / Conte di Bassano
André Kaczmarczyk
Großherzog / Geistlicher
Meik van Severen
Prinzessin Lerinia, Schwester des Großherzogs / Köchin
Lou Strenger
Kapitän
Serbische Flüchtlinge
Hilde Alice Behrens, Darnell Donat, Gloria Gruß, Mathilda Kaufhold, Konrad Neidhardt, Carlotta Panico, Ella Rox, Finn Seidel, Paul Terpe, Arthur Leo Weinhold, Mira Fanny Weinhold

Video

Pressestimmen

„Diese märchenhafte, sehr poetische Inszenierung ist vor allem eine Liebeserklärung an das Theater und seine Möglichkeiten.“
mdr Figaro, Stefan Petraschewsky
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„Diese märchenhafte, sehr poetische Inszenierung ist vor allem eine Liebeserklärung an das Theater und seine Möglichkeiten – da durfte zum Abschied der Sternenhimmel leuchten – und der Vollmond aufgehen – und es war unglaublich viel Musik: fast war das eine Oper – fast immer gab es Klavierbegleitung und dazu noch eine Geräusch- und Soundspur aus dem Computer – und es gab ein Leitmotiv: Puccinis ‚Tosca‘– die Arie des Cavaradossi – phantastisch improvisiert, zerlegt und wieder neu zusammengefügt – von einem singenden Schauspielensemble gut gestaltet – also ein Bilder- und ein Musiktheater – mit kleinen schauspielerischen Kabinettstückchen – und dadurch wurde das alles sehr leicht, sehr schwebend – und so wurde es wirklich ein angemessener Abschied.“
Stefan Petraschewsky, mdr Figaro
„Gehler huldigt nicht nur einer hintergründigen Poesie, er hat dabei auch in Gelassenheit eine seltsam berührende Form, das heißt zu einem poesievoll gelassenen Sarkasmus gefunden, um gesellschaftlichen Realitätsverlust zu versinnbildlichen.“
Dresdner Neueste Nachrichten, Tomas Petzold
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„Die letzte Premiere der Amtszeit von Intendant Wilfried Schulz im Dresdner Schauspielhaus. Sie ist Abschied und Hommage – an den Film, an das Theater, an Federico Fellini und seinen tief verstehenden Blick auf die kleinen Eitelkeiten und großen Irrungen des Menschengeschlechts. So etwa hat Jan Gehler in seiner jüngsten Inszenierung ‚Das Schiff der Träume‘ gedeutet. Seine sehr bildmächtige, musikalisch eindrucksvolle, dabei fast rührend minimalistische Fassung lässt er ablaufen wie auf einem altersschwachen Projektor. Klänge und Farben sind ebenso wichtig wie Worte, die man versteht, auch wenn anfangs italienisch gesprochen wird.
Das alles ist nicht als Klamauk, sondern mit subtiler Komik in einem fantasievoll historisierenden Rahmen inszeniert (Bühne: Sabrina Rox, Kostüme: Irène Favre de Lucascaz).
Gehler huldigt nicht nur einer hintergründigen Poesie, er hat dabei auch in Gelassenheit eine seltsam berührende Form, das heißt zu einem poesievoll gelassenen Sarkasmus gefunden, um gesellschaftlichen Realitätsverlust zu versinnbildlichen.“
Tomas Petzold, Dresdner Neueste Nachrichten
„Glanzvoll legt ‚Das Schiff der Träume‘ am Dresdner Staatsschauspiel ab. Jan Gehler nimmt die opulente Filmvorlage Federico Fellinis aus dem Jahr 1983 und breitet einen bildstarken Reigen aus.“
Sächsische Zeitung, Rafael Barth
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„Glanzvoll legt ‚Das Schiff der Träume‘ am Dresdner Staatsschauspiel ab. Jan Gehler nimmt die opulente Filmvorlage Federico Fellinis aus dem Jahr 1983 und breitet einen bildstarken Reigen aus.
André Kaczmarczyk lud in anderen Inszenierungen seine Figuren androgyn auf, hier nun ist er ganz Diva. Mit galant gelegtem Haar und Schleier, im rückenfreien Kleid oder Spitzenoberteil stolziert seine Sopranistin Ildebranda übers Deck, erpicht darauf, die nächste große Operndiva zu werden, und jederzeit bereit zum Schmollen. Wie viel Ehrgeiz, Gift, Witz sich hier mischen in einer einzigen Figur, das ist wunderbar.“
Rafael Barth, Sächsische Zeitung
„Die Passagiere der ‚Gloria N.‘ singen lieber im Untergehen: E la nave va – Und das Schiff fährt weiter. Wer braucht schon Realität, sagt dieser starke Abend, um von der Wirklichkeit zu erzählen.“
nachtkritik.de, Lukas Pohlmann
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„Als sich der Eiserne hebt, wird der Blick frei auf das setzkastenähnliche Innere des Schiffs. Zwischen niedrigem Unterdeck, Salon und Oberdeck lässt sich gut irren und verstecken, einander verfolgen und verfehlen – und das Ensemble lässt sich nicht lumpen. André Kaczmarczyk sucht als herrliche Diven-Persiflage Ildebranda im schwarzen Kleid nach dem Geheimnis von Edmeas Stimme und verzehrt sich als deren größter Verehrer nach der Verstorbenen. Opernintendant Dongby (Thomas Eisen) möchte die erotischen Ausflüge seiner aufreizenden Frau Lady Violet (Yohanna Schwertfeger) gern verurteilen, ist aber zu versessen darauf, jedes Detail ihrer Affären zu erfahren.
Kilian Land spürt als Stummfilmkomiker im Watschelgang zauberhaft den Gesten der großen Pantomimen nach. Gemeinsam mit den anderen gleichwertigen Mitgliedern des Ensembles bieten sie ein Panoptikum der Spielereien und Narrheiten. Wie Zügellose, die ihres Standes wegen keiner Norm folgen müssen und sich jeder Torheit hingeben können.
Dabei entstehen feine, skurrile Momente: Wenn der gerade einen Koch spielende Schauspieler Kilian Land dazu verdonnert wird, ein Huhn zu mimen und gerade noch dem Publikum versichert, ein ernsthafter Schauspieler zu sein, bevor er anfängt zu gackern. Oder wenn der Großherzog (Meik von Severen) als Kommentar zur internationalen Lage vom ‚Sitzen am Rand des Berges‘ fabuliert, um mit einem herzlichen ‚Bumm-Bumm‘ auf den Punkt zu kommen. Oder wenn jenes ‚Bumm-Bumm‘ auf der Probe für ein Requiem zum neuen Text der Europahymne wird. Szenen, in denen alle Beteiligten im Laufe des Abends ihr Können zeigen.
Überhaupt wird auf diesem Schiff der Träume sehr viel und sehr gut gesungen (so dass es selbst, wenn es nicht zu passen scheint, schon wieder passt) und Musik aus Klavier und Synthesizer ist auch immer da.
Schließlich kommt die Realität spät und ohne Knall wohltuend frei von Aktualisierungswut. Dann stehen elf Mädchen und Jungen im Grundschulalter in blauen Kleidchen und Hosen als serbische Flüchtlinge auf dem Unterdeck. Ganz still und leise. Und das ist schon gruselig-analogisch: Sie sind da, als hätte sie niemand kommen sehen, stellen keine Forderungen, klammern sich hilfesuchend an den Erstbesten und schaffen unter den Passagieren verunsicherte Überforderung.
Plötzlich sind sie zu hören, die Ressentiments der Bessergestellten. Aber nur kurz. Dann ist das gegnerische Kriegsschiff schussbereit. Die Kinder bekommen Schwimmwesten, die Trauernden dürfen noch die Asche verstreuen – zu Kyrie Eleison auf die Melodie der Ode an die Freude. Dann macht es Bumm-Bumm. So muss sich die feine Gesellschaft mit den Flüchtlingen nicht länger beschäftigen – ein Umstand, den sich zurzeit wohl viele wünschen. Die Passagiere der ‚Gloria N.‘ singen lieber im Untergehen: E la nave va – Und das Schiff fährt weiter. Wer braucht schon Realität, sagt dieser starke Abend, um von der Wirklichkeit zu erzählen.“
Lukas Pohlmann, nachtkritik.de
„Was Fellini mit einer Personage von über 100 Darstellern in 128 Minuten bewerkstelligte, hat Gehler in unterhaltsame 90 Minuten gepackt und auf neun Darsteller fokussiert. Bis ins Groteske ironisiert, lassen die Darsteller ihre Figuren deren Eitelkeiten und Egoismen ausleben: singend, streitend, buhlend …“
Dresdner Morgenpost, Jörg Schneider
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„Was Fellini mit einer Personage von über 100 Darstellern in 128 Minuten bewerkstelligte, hat Gehler in unterhaltsame 90 Minuten gepackt und auf neun Darsteller fokussiert. Bis ins Groteske ironisiert, lassen die Darsteller ihre Figuren deren Eitelkeiten und Egoismen ausleben: singend, streitend, buhlend … Große Szenen bieten André Kaczmarczyk als übersensible Sopranistin Cuffari, Kilian Land als Stummfilmkomiker Ricotin mit Charlie-Chaplin-Touch oder Yohanna Schwertfeger als notgeile Gattin des Generalintendanten. Berühmte Filmszenen, wie das Glasflaschenkonzert in der Schiffskombüse, die Hypnose eines Huhns (Kilian Land) mittels Gesang (Anna-Katharina Muck als Mezzo Saltini), finden ihre gelungene Entsprechung auf der Bühne. Cinemascopereife Bilder machen diese Welt der Illusion, die zuletzt mit dem Schiff untergeht, komplett.“
Jörg Schneider, Dresdner Morgenpost

Von der Kunst, ein Huhn zu hypnotisieren

Der Journalist Tobi Müller zieht Parallelen von Fellinis Film aus den 1980er-Jahren zur Gegenwart
Federico Fellini schuf 1983 mit „Das Schiff der Träume“ einen Film, der die Moderne zugleich fürchtet und feiert. Der italienische Filmemacher fürchtet sie, wenn er eine bourgeoise Schiffsgesellschaft am Beginn des Ersten Weltkriegs zeigt, die ihrem Ende entgegensieht. Um die Asche einer Opernsängerin vor der Küste ihrer Heimatinsel zu verstreuen, reisen Dirigenten, Tenöre, Sopranistinnen, Musiker, melancholische Adelige und ein erzählender Reporter auf einem Luxusdampfer, den ein österreichisch-ungarisches Kriegsschiff kurz vor Schluss versenkt. Das ist die Furcht vor jener Moderne, die den Massenmord industrialisiert hat. Keinen Trost zieht der Zuschauer aus dem Umstand, dass der feindliche Zerstörer aus Pappe ist und kein Kapitän ihn zu lenken scheint. Im Gegenteil, das beginnende 20. Jahrhundert wirkt dadurch wie ein führerloses Geisterschiff.

Zur Furcht kommt die Freude, denn Fellini feiert die künstlerischen Errungenschaften der Moderne und ihrer Avantgarden, die er für ein breites Publikum so sinnlich gestaltete. Manche seiner Mittel findet man bereits im 18. oder auch noch im 19. Jahrhundert auf den Theaterbühnen, in den Tableaux vivants oder Lebenden Bildern, wenn Schauspieler ein berühmtes Gemälde nachstellten. Auch Fellinis Bildsprache schimmert manchmal wie Öl auf Leinwand, obwohl er damit nichts imitieren will. Doch die Schauspieler sind bei ihm Abbilder oder Typen, nicht psychologische Seelendarsteller, wie es das bürgerliche Theater vorsah.

Im „Schiff der Träume“ sind die meisten Schauspieler keine italienischen Muttersprachler, sie wurden für die Originalversion synchronisiert. Nicht die Sprache als Fenster zur Innerlichkeit ist wichtig, sondern der Körper, das Gesicht, der Ausdruck. Fellinis Typen spielen in einem szenischen Reigen, der dem Tanz näher steht als der Dramaturgie des bürgerlichen Theaters. Es sind Episoden, Nummern, Arien, Wimmelbilder. Und Tänze eben. Ein Weltstar des Tanzes wirkt übrigens als Schauspielerin mit: die Choreografin Pina Bausch aus Wuppertal. Der Originaltitel des Films sowie die englische Übersetzung treffen die Form gut: „E la nave va“, „And the ship sails on“. „Und das Schiff fährt weiter“ verweist auch auf den Fluss der Filmerzählung, während „Das Schiff der Träume“ auf der Tiefenpsychologie beharrt (und unfreiwillig an die Fernsehserie „Das Traumschiff“ erinnert, mit der das ZDF ab 1981 Kreuzfahrtromantik produzierte).

Aber Fellini macht es uns nicht leicht. Er spielt nicht einfach die alte gegen die neue Welt aus. Er ist Modernist, klar interessiert ihn die Zeit seines Films auch aus kunsthistorischen Gründen. Strawinski hatte 1913 mit „Le sacre du printemps“ („Das Frühlingsopfer“) die Musik zu einem Ballett geschrieben, die mit dem 19. Jahrhundert brach. Dissonanzen und ungerade Metren treffen auf Volksmusik, Neue Musik trifft auf Pop, würde man heute sagen. Im „Schiff der Träume“ hat die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts ihren endzeitlichen Auftritt, aber Fellini zeigt viele soziale Berührungspunkte. Alles Highlights. Weil sie starke Bilder finden und weil sie verdeutlichen, dass der Film mehr kann als Parodie.

Wenn die Sängerinnen und Sänger im Heizraum am Geländer stehen und für die rußverschmierten Arbeiter einen Wettstreit der Arien aufführen, ist das zum einen lächerlich, weil eitel. Zum anderen zeigt es die Kraft einer populären Musik, selbst jene zu begeistern, die von ihr ausgeschlossen scheinen. Und wenn der russische Sänger in der Küche ein Huhn verlangt, um es mit seinem Bass in den Schlaf zu singen, bleibt von der Kunst nur ein Kunststücklein übrig. Und doch erinnert diese Szene daran, dass Dünkel ein Zeichen von Zerfall ist, von Angst, das Territorium mit anderen teilen zu müssen. Dieser Sänger hat keine Berührungsängste mit dem Koch. Die Möglichkeit zum Quatsch, etwa ein Huhn zu hypnotisieren, ist zentral für die Freiheit der Kunst. Wer die potenzielle Zweckfreiheit der Kunst negiert, läuft Gefahr, sie ganz in den Dienst einer Idee zu stellen und erst damit zu banalisieren.
Spätestens da sind wir in der Gegenwart: Wie geht die Kunst mit sozialen Verwerfungen um? Ist es ihre erste Aufgabe, einer politischen Agenda zu folgen? Die Kippfigur in Fellinis Film ist der Flüchtling, die serbische Gruppe in Seenot, die der Kapitän des Luxusliners aufnimmt. Die Serben sind als „Zigeuner“ markiert. Die dunklen Haare, die Kleidung und die Tänze weisen darauf hin und das Klischee, dass sie selbst die erste Klasse besetzen. Fellini zeigt ein Zerrbild, um das Aufeinandertreffen der Kulturen und Klassen deutlich zu machen. Manche bringen den Flüchtlingen vom Buffet etwas zu essen, andere bewirken beim Kapitän, dass man sie ins Unterdeck verbannt. Zur Begegnung kommt es aber nur in der Kunst, bei nächtlicher Musik und Tanz. Es knistert erotisch, exotische Vorstellungen über die Fremden werden als Kitsch vorgeführt, oder: Sie wirken heute so.

Viele Parallelen sind möglich zwischen 1914 und 2014, als die Pegida-Demonstrationen in Dresden losgingen. Die Vorstellung, dass etwas zu Ende geht, der Umgang mit Flüchtlingen, der entscheidend sein wird für die Zukunft einer europäischen Idee, die Operettenhaftigkeit nationalistischer Ideen, die trotz ihrer Erbärmlichkeit geschichtsmächtig werden können. Aber „Das Schiff der Träume“ zeigt auch einen großen Unterschied: Die Menschen sind genussfähig. Das hat mehr mit 1983 zu tun als mit 1914, mit Fellini und den 1980er-Jahren. Mit dem letzten Jahrzehnt also bevor die Zeitenwende von 1989 / 90 nebst der Freiheit auch den Durchmarsch des Neoliberalismus ermöglicht hat. Wir sind zwar heute umgeben von Appellen des konsumistischen Genießens, aber das sind Befehle. Genuss als Arbeit, als Arbeit am Selbst. Philosophen wie Robert Pfaller oder Slavoj Žižek nennen das gleich Selbstbestrafung. Wir optimieren uns zu Tode, reduzieren dabei auch den anderen auf seinen Wert. Das führt dazu, dass wir uns immer stärker ähneln. Und dass wir die sogenannten Fremden ablehnen.

„Das Schiff der Träume“ zeigt trotz der historischen Tragik eine Utopie. Es ist eine Welt der Freaks, der Sonderlinge, der Empfindsamen, der Untauglichen, der Spezialisten. Es ist eine Welt, die Differenz hervorbringt, während wir ständig über Differenz sprechen, aber immer gleicher aussehen. Matchentscheidend in Fellinis Spiel der Farben, Gesichter, Lüste und Künste ist am Ende die Gattung: Es ist eine Komödie, und die handelt immer vom Gelingen. Sie führt das Verhalten der Leute vor, lacht darüber und sagt: Es geht, trotzdem, wir kommen da durch. Nur die Tragödie redet vom Schicksal und handelt einzig vom Scheitern. Nicht nur Dresden braucht mehr Komödien. Mehr Kunst. Vielleicht auch: mehr Quatsch.
 
Tobi Müller ist Kulturjournalist und Moderator. Er schreibt über Pop- und Theaterthemen und leitet Gesprächsrunden.