Premiere 21.03.2014
› Schauspielhaus
Antigone
Tragödie von Sophokles
Fassung von Sebastian Baumgarten
Nach den Übersetzungen von Ernst Buschor und Friedrich Hölderlin
Fassung von Sebastian Baumgarten
Nach den Übersetzungen von Ernst Buschor und Friedrich Hölderlin
Handlung
Der Krieg um Theben ist vorbei, die Toten sind gezählt. Unter ihnen: Eteokles und Polyneikes, Söhne des Ödipus’ und die beiden ehemaligen Könige der Stadt. Im Streit um Theben begannen sie den Krieg und töteten sich schließlich gegenseitig. Nun sitzt ihr Onkel Kreon auf dem Thron, und sein erster Befehl lautet: Eteokles soll in Ehren bestattet werden, Polyneikes aber, den Verräter, darf niemand begraben. Doch Antigone, die Schwester der beiden Toten, gehorcht nicht. Sie begräbt den toten Bruder, steht öffentlich zu ihrer Tat und bringt Gesetz und Ordnung ins Wanken. Denn was wiegt mehr: Der Befehl des Königs oder göttliches Recht? Die Sicherheit der Stadt oder Geschwisterliebe? Politisches Gesetz oder moralische Pflicht?
Sophokles' Tragödie stellt zwei Systeme gegeneinander – gegensätzlich und unversöhnlich. Antigone wird nicht wanken, und Kreon wird nicht nachgeben. Er wird die Gesetzesbrecherin zum Tode verurteilen, seine Nichte töten. Ihr folgt Haimon, Antigones Verlobter und Kreons Sohn, in den Tod – und schließlich auch Kreons Frau. Und so wirkt der Fluch, der auf Ödipus’Geschlecht liegt, weiter und häuft Tod auf Tod. Inszeniert wird die fast 2.500 Jahre alte antike Tragödie um die Fragen von Blut gegen Ordnung und Politik gegen Moral von Sebastian Baumgarten.
Sophokles' Tragödie stellt zwei Systeme gegeneinander – gegensätzlich und unversöhnlich. Antigone wird nicht wanken, und Kreon wird nicht nachgeben. Er wird die Gesetzesbrecherin zum Tode verurteilen, seine Nichte töten. Ihr folgt Haimon, Antigones Verlobter und Kreons Sohn, in den Tod – und schließlich auch Kreons Frau. Und so wirkt der Fluch, der auf Ödipus’Geschlecht liegt, weiter und häuft Tod auf Tod. Inszeniert wird die fast 2.500 Jahre alte antike Tragödie um die Fragen von Blut gegen Ordnung und Politik gegen Moral von Sebastian Baumgarten.
Besetzung
Regie
Sebastian Baumgarten
Bühne
Hartmut Meyer
Kostüme
Christina Schmitt
Musik
Christoph Clöser
Bearbeitung der Orff-Chöre
Tobias Peschanel
Video
Stefan Bischoff
Licht
Dramaturgie
Felicitas Zürcher
Choreinstudierung
Christiane Büttig
Musikalische Einstudierung
Kreon
Antigone / Führer des Teiresias
Lea Ruckpaul
Wächter / Teiresias
Ismene / Haimon / Eurydike
Cathleen Baumann
Chor der thebanischen Frauen
Jessica Magdalena Graeber, Franziska Graube, Zarah Hain, Hannah Jaitner, Anna Kienel, Teresa Lippold, Milena Müller, Johanna Quade, Katharina Rudolph, Marita Runck, Nele Schmidt, Martina Schulz, Jana Sperling
Chor der toten Familie
Jessica Magdalena Graeber, Franziska Graube, Zarah Hain, Milena Müller, Johanna Quade, Katharina Rudolph
Vibraphon, Keyboard, Elektronik
Christoph Clöser
Klavier
Video
Ausgehend von Sophokles’ antiker Tragödie denkt Frank Richter darüber nach, warum sich der Wert einer Demokratie vor allem im Konfliktfall erweist
Den Göttern sei Dank. Den Göttern sei’s geklagt: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Die neuen Fragen sind die alten. Ist ein einzelner Mensch – eine (junge) Frau zumal – in der Lage, sich dem Diktat eines übermächtig erscheinenden Königs zu widersetzen? Ist ein einzelner Mensch in der Lage, sich frei und unabhängig zu verhalten und sich dem Mainstream in den Weg zu stellen? Die Antwort lautet: Ja. Ja, Antigone hört auf die eine Stimme ihres Herzens mehr als auf die vielen Stimmen der Bedenkenträger. Sie gehorcht dem Spruch des Gewissens und beerdigt ihren Bruder. Sie verschafft Polyneikes ewigen Frieden und sich selbst innere Ruhe. Sie übt zivilen Ungehorsam. Sie begibt sich mit ihrem „moralischen Rigorismus“ nolens volens in die soziale Isolation. Nur wer gegen den Strom schwimmt, kann erkennen, wie viel Unrat mit dem Strom schwimmt. Gleichwohl: Gegen den Strom zu schwimmen kostet Kraft, die von irgendwoher bezogen werden muss. Gegen den Strom zu schwimmen ist per se noch kein Wert. Gegen den Strom zu schwimmen bedeutet, sich den (Selbst-)Zweifel zum Begleiter zu erwählen. Eine Ethik des Widerstands erfährt ihre soziale Satisfaktion post factum – allzu oft post mortem. Je später, umso stärker (und wohlfeiler).
Seit vielen Jahren marschieren Neonazis durch Dresden. Sie tun dies mit Vorliebe am 13. Februar. Seit vielen Jahren stellen und setzen sich vorzugsweise junge Leute in den Weg. Sie können und wollen die Legalität dieser Demonstrationen nicht erdulden – aus welchen Gründen auch immer. Dass Rechtsextreme im Dunkeln und mit Fackeln auf einer angemeldeten Route an der Synagoge vorbeimarschieren, ist legal. Ist es deshalb hinzunehmen? Ja, sagen die einen. Die Wahrung und Verteidigung des Rechts gegen die Willkürlichkeit der Meinungen ist Verpflichtung unseres Grundgesetzes, und dieses atmet den Geist der Nachkriegszeit. Nein, sagen die anderen – und manche von ihnen berufen sich auf ihr Gewissen. Wehret den Anfängen! Wegschauen ist moralisch verwerflich. Wir können und wollen nicht zulassen, dass sich die Feinde des Grundgesetzes ebenjenes Grundgesetzes bedienen, um es abzuschaffen. Und so haben wir den Streit.
Von dem für unser Staatsverständnis bis heute maßgeblichen französischen Verfassungstheoretiker Charles de Montesquieu stammt die Formulierung: „Vernimmt man in einem Staat keinen Lärm von Streitigkeiten, so kann man sicher sein, dass in ihm keine Freiheit herrscht.“ Warum sind Streitigkeiten so wichtig? Weil nur sie dafür sorgen können, dass die Demokratie als gesellschaftliche Ordnungs- und politische Herrschaftsform die wesentlichen Vorteile gegenüber allen autoritären, doktrinären und totalitären Ordnungs- und Herrschaftsformen behält: nämlich offen, freiheitlich, lern-, konflikt- und entwicklungsfähig zu sein. Wie sollte ihr dies gelingen, ohne dass wir die politische Auseinandersetzung zulassen, suchen, organisieren und öffentlich führen?
Seit vielen Jahren marschieren Neonazis durch Dresden. Sie tun dies mit Vorliebe am 13. Februar. Seit vielen Jahren stellen und setzen sich vorzugsweise junge Leute in den Weg. Sie können und wollen die Legalität dieser Demonstrationen nicht erdulden – aus welchen Gründen auch immer. Dass Rechtsextreme im Dunkeln und mit Fackeln auf einer angemeldeten Route an der Synagoge vorbeimarschieren, ist legal. Ist es deshalb hinzunehmen? Ja, sagen die einen. Die Wahrung und Verteidigung des Rechts gegen die Willkürlichkeit der Meinungen ist Verpflichtung unseres Grundgesetzes, und dieses atmet den Geist der Nachkriegszeit. Nein, sagen die anderen – und manche von ihnen berufen sich auf ihr Gewissen. Wehret den Anfängen! Wegschauen ist moralisch verwerflich. Wir können und wollen nicht zulassen, dass sich die Feinde des Grundgesetzes ebenjenes Grundgesetzes bedienen, um es abzuschaffen. Und so haben wir den Streit.
Von dem für unser Staatsverständnis bis heute maßgeblichen französischen Verfassungstheoretiker Charles de Montesquieu stammt die Formulierung: „Vernimmt man in einem Staat keinen Lärm von Streitigkeiten, so kann man sicher sein, dass in ihm keine Freiheit herrscht.“ Warum sind Streitigkeiten so wichtig? Weil nur sie dafür sorgen können, dass die Demokratie als gesellschaftliche Ordnungs- und politische Herrschaftsform die wesentlichen Vorteile gegenüber allen autoritären, doktrinären und totalitären Ordnungs- und Herrschaftsformen behält: nämlich offen, freiheitlich, lern-, konflikt- und entwicklungsfähig zu sein. Wie sollte ihr dies gelingen, ohne dass wir die politische Auseinandersetzung zulassen, suchen, organisieren und öffentlich führen?
Demokratie ist weder eine reibungslose noch eine konfliktfreie Veranstaltung. Sie ist darauf angewiesen, verschiedene Werte und Güter gegeneinander abzuwägen. Werte können eine Gesellschaft in ihrem Bestand nicht nur festigen, sie können sie ebenso auf heilsame Weise beunruhigen. Das, was wertvoll ist an der Demokratie, zeigt sich eindrucksvoll nicht in dem Moment, in dem alle irgendwie einer Meinung sind. Der Wert der Demokratie erweist sich im Konfliktfall, wenn und weil es gelingt, unterschiedliche Positionen und Interessen im offenen Streit auszutragen und zu einem tragfähigen Kompromiss zusammenzuführen. Legalität und Legitimität sind keineswegs dasselbe. Wer im Dilemma zwischen beiden feststeckt, kann nicht anders, als sich der maßgeblichen Werte zu vergewissern. Antigone steckte in einem Dilemma. Sie hat es für sich aufgelöst. Antigone ist Ethik.
Meine Erinnerungen an die erste Lektüre des Stücks (es gehörte zum Kanon des Literaturunterrichts in der DDR) und an die erste Aufführung im Staatsschauspiel verbinden sich mit einer Fülle eingewobener Konflikte: zwischen Alt und Jung, zwischen Vater und Tochter, zwischen Recht und Gerechtigkeit. Sie sind außerdem aufs Engste verbunden mit dem Begriff des Schicksalhaften. Die Welt und der Einfluss der Götter sind ständig gegenwärtig. Dieser Umstand mag den Zugang zum Stück erschweren. Die Tatsache, dass viele Zeitgenossen jedes Verständnis für das Fatum verloren haben, weil ihnen Welt und Leben vollständig als Gestaltungsmassen menschlicher Entscheidungen und Absichten erscheinen, erschwert ihnen den Zugang zu dem, worum es im Stück geht. Sophokles ringt um etwas Unbedingtes, das er in den Handelnden auf verschiedene Weise verankert sieht. Das Menschsein erschöpft sich nicht einfach in Berechnungen, Funktionen und Relationen. Menschen sind Personen. Durch sie hindurch klingt („personare“) ein Ton aus dem Raum des Transzendenten, der leiser und zugleich lauter ist als die irdischen Stimmen. Mit dem Tod endet die Feindschaft. Auch dann, wenn es verboten ist, gilt unbedingt: Jeder Mensch muss begraben werden, „weil er eine unantastbare Würde“ besitzt – so würden wir es heute sagen.
Den Göttern sei Dank. Den Göttern sei’s geklagt: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Die neuen Fragen sind die alten. Ist ein einzelner Mensch in der Lage, sich dem Diktat einer übermächtig erscheinenden Macht zu widersetzen? Die Antwort lautet: Ja.
Der Theologe Frank Richter gehörte während der Friedlichen Revolution der DDR zur „Gruppe der 20“ in Dresden. Von 2009 bis 2017 war er Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Zudem war Richter bis 2013 Moderator der AG 13. Februar in Dresden.
Meine Erinnerungen an die erste Lektüre des Stücks (es gehörte zum Kanon des Literaturunterrichts in der DDR) und an die erste Aufführung im Staatsschauspiel verbinden sich mit einer Fülle eingewobener Konflikte: zwischen Alt und Jung, zwischen Vater und Tochter, zwischen Recht und Gerechtigkeit. Sie sind außerdem aufs Engste verbunden mit dem Begriff des Schicksalhaften. Die Welt und der Einfluss der Götter sind ständig gegenwärtig. Dieser Umstand mag den Zugang zum Stück erschweren. Die Tatsache, dass viele Zeitgenossen jedes Verständnis für das Fatum verloren haben, weil ihnen Welt und Leben vollständig als Gestaltungsmassen menschlicher Entscheidungen und Absichten erscheinen, erschwert ihnen den Zugang zu dem, worum es im Stück geht. Sophokles ringt um etwas Unbedingtes, das er in den Handelnden auf verschiedene Weise verankert sieht. Das Menschsein erschöpft sich nicht einfach in Berechnungen, Funktionen und Relationen. Menschen sind Personen. Durch sie hindurch klingt („personare“) ein Ton aus dem Raum des Transzendenten, der leiser und zugleich lauter ist als die irdischen Stimmen. Mit dem Tod endet die Feindschaft. Auch dann, wenn es verboten ist, gilt unbedingt: Jeder Mensch muss begraben werden, „weil er eine unantastbare Würde“ besitzt – so würden wir es heute sagen.
Den Göttern sei Dank. Den Göttern sei’s geklagt: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Die neuen Fragen sind die alten. Ist ein einzelner Mensch in der Lage, sich dem Diktat einer übermächtig erscheinenden Macht zu widersetzen? Die Antwort lautet: Ja.
Der Theologe Frank Richter gehörte während der Friedlichen Revolution der DDR zur „Gruppe der 20“ in Dresden. Von 2009 bis 2017 war er Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Zudem war Richter bis 2013 Moderator der AG 13. Februar in Dresden.
Vor allem die Antigone ist wohltuend anders als das Klischee, das man von ihr im Kopf hat.“
Vor allem die Antigone ist wohltuend anders als das Klischee, das man von ihr im Kopf hat.“
Düster und farbig zugleich sind die Live-Kommentare von Thomas Mahn und Christoph Clöser, Tobias Peschanel hat die Orffschen Chöre bearbeitet, die statt von den Ältesten von einem 13-köpfigen Chor junger Frauen mit viel Power als Volkes Stimme vorgetragen werden (Einstudierung Christiane Büttig). Aus dem exzellenten Darstellerquartett ragt Torsten Ranft vor allem deshalb heraus, weil sich sein Kreon zur zeitlosen Hauptfigur entwickelt. Die eigentliche Überraschung: Ungewohnte Perspektiven, Vielschichtigkeit und unverhoffte Brüche führen bei der nunmehr dritten Dresdner Arbeit von Baumgarten (nach E.T.A. Hoffmanns ‚Goldenem Topf‘ und Schillers ‚Räubern‘) zu einer stringenten Verknappung und analytische Schärfe, die von bewussten Stilbrüchen eher noch gesteigert wird. Baumgarten forciert die Handlung der meistgespielten antiken Tragödie nicht zu sehr, sondern vertraut auf ihren Sog, der gerade in vermeintliche Ruhephasen spürbar wird, und lässt sie schließlich über ihr ursprüngliches Ziel hinausschießen in ein Nachspiel, das aus Welt der griechischen Mythologie in die der realen europäischen Geschichte führt (deren letzte 100 Jahre bis dahin als Projektionsfläche erscheinen).“