Uraufführung 20.09.2009 › Kleines Haus 2

Adam und Evelyn

von Ingo Schulze, eingerichtet für die Bühne von Jens Groß
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka, Torsten Ranft, Anna-Katharina Muck, Doreen Fietz
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Karina Plachetka, Tom Quaas
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Nicola Gründel
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Karina Plachetka, Nicola Gründel
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka, Anna-Katharina Muck, Doreen Fietz
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Karina Plachetka, Nicola Gründel
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka, Anna-Katharina Muck Doreen Fietz
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Benjamin Höppner, Karina Plachetka, Lore Stefanek, Torsten Ranft, Anna-Katharina Muck, Doreen Fietz
Foto: David Baltzer
Adam und Evelyn
Auf dem Bild: Karina Plachetka, Torsten Ranft
Foto: David Baltzer

Handlung

DDR. Adam ist im Paradies. Denn der Schneider hat den besonderen Blick dafür, was Frauen begehrenswerter macht. Er schenkt ihnen das, was sie selbst oft nicht einmal mehr ahnen: ihre Schönheit. Und wenn sie mit seiner Hilfe perfekte sinnliche Wesen geworden sind, fotografiert er seine Geschöpfe. Und die bedanken sich bei ihm mit ihrer ganzen neu gewonnenen Schönheit. Für Adam ist es eher bedeutungslos. Er liebt nur Evelyn. Adam im Paradies. Evelyn allerdings durchlebt die Hölle. Sie fühlt sich ohnehin in ihrem „Kaff“ eingesperrt, „beerdigt und begraben“. Und dann überrascht sie auch noch Adam im Adamskostüm mit einer seiner Kundinnen. Schluss mit dem Paradies. Statt mit Adam zum gemeinsamen Urlaub nach Ungarn zu fahren, ergreift sie die Flucht und fährt mit einer Freundin und deren Westcousin an den Balaton. Adam setzt sich in seinen alten Wartburg. Nichts wie hinter den dreien her. Für Evelyn würde er bis ans Ende der Welt fahren – und vielleicht muss er das auch, wenn er will, dass alles so bleibt, wie es ist. Es ist Spätsommer 1989. In der Ausnahmesituation jener Monate, der unverhofften und plötzlich sich ergebenden Wahlfreiheit, entdeckt Ingo Schulze die menschliche Urgeschichte von Verbot und Verlockung, Liebe und Erkenntnis und nicht zuletzt der Sehnsucht nach dem Paradies. Doch wo ist das zu finden? In der Verheißung des Westens, der Ungebundenheit eines endlosen Feriensommers am Balaton oder doch im vertrauten eigenen Garten?
Der gebürtige Dresdner Ingo Schulze wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Berliner Literaturpreis, der Peter Weiss-Preis und der Preis der Leipziger Buchmesse. Er ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Besetzung

Regie
Julia Hölscher
Bühne
Alex Harb
Kostüme
Ulli Smid
Musik
Tobias Vethake, Gregor Schwellenbach
Licht
Dramaturgie
Karla Kochta
Adam
Benjamin Höppner
Evelyn alternierend
Sonja Beißwenger
Michael
Tom Quaas
Katja
Nicola Gründel
Ein Engel
Lore Stefanek, Torsten Ranft, Anna-Katharina Muck, Doreen Fietz

Über das Stück

Die Schöpfung als Arbeit in der Dunkelkammer

Über die Entstehung meines Romans Adam und Evelyn
von Ingo Schulze
Anfang Oktober 2001 erschien in Ungarn die Übersetzung von 33 Augenblicke des Glücks, das Goethe-Institut hatte mich eingeladen, ich lernte Lídia Nadori kennen, die das Buch übersetzt hatte, die Lesung war gut besucht, Imre Kertész schaute vorbei und gab Buch und Übersetzung seinen Segen.
Am Tag darauf traf ich den Regisseur Péter Bacsó und seine Mitarbeiter. Bacsó, der mit Der Zeuge einen der wichtigsten wie auch populärsten ungarischen Filme gedreht hatte, fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, ein Drehbuch für ihn zu schreiben; die Hauptfigur sollte ein Schneider aus der ostdeutschen Provinz sein, der mit seiner Frau Ende August 1989 an den Balaton gerät. Als Bilder aus diesen Tagen waren ihm vor allem die langen Reihen der Trabants und Wartburgs in Erinnerung, die die Ostdeutschen auf ihrer Flucht in den Westen zurückgelassen hatten. Mir gefiel die Idee mit dem Schneider. Doch weder sah ich mich in der Lage, ein Drehbuch zu schreiben, noch wollte ich meine Arbeit an dem Manuskript von Neue Leben unterbrechen. Ich sagte jedoch gern zu, mir das Drehbuch, wenn es später mal eins gebe, anzusehen.
Einige Wochen oder Monate später ließ Bacsó erneut nachfragen, ich wehrte ab doch dann geschah etwas Seltsames: Ich hatte kaum den Hörer wieder hingelegt und wollte weiterarbeiten, da fing ich Feuer. Was mich plötzlich an dem Stoff interessierte, war die Wahlmöglichkeit, die im September 1989 in Ungarn entstand, eine Wahl, wie es sie für Ostdeutsche davor nicht gegeben hatte und wie es sie bald darauf für alle nicht mehr geben sollte. Zum anderen war es die Möglichkeit, die verschiedenen Auffassungen von Arbeit aufeinandertreffen zu lassen.
Mir war schnell klar, dass die Frau des Schneiders ihren westlichen Liebhaber bitten würde, noch eine Weile zu bleiben (was ihm wegen seiner Arbeit unmöglich erscheint), weil sie das Dazwischensein genießt, den Urlaub ausdehnen möchte und sich vielleicht für einen Ungarn entscheidet statt für den Ost- oder den West-deutschen.
Ich skizzierte den Anfang, gab ein paar kurze Ausblicke und stellte Bacsó frei, diese Ideen zu verwenden; mir erbat ich im Gegenzug die Freiheit, ausgehend von seiner Idee eine Novelle zu schreiben. Nach einigem Hin und Her brach dann der Kontakt ab. Was aus dem Filmprojekt geworden ist, weiß ich nicht.
Anfang 2005 fragte mich Elisabeth Ruge, meine Verlegerin, ob ich denn Lust hätte, mich an der Mythenreihe, die im Berlin-Verlag erscheinen sollte, zu beteiligen. Einen Mythos weiterzuerzählen interessierte mich nur, wenn ich es in einer Geschichte aus unserer Zeit tun konnte. Und da fiel mir nichts ein.
Ein paar Monate später, ich steckte bereits tief im Lektorat von Neue Leben, las ich in Rüdiger Safranskis Buch Über das Böse, das bei Adam und Eva beginnt. Es ist schwer zu erklären, wie Ideen entstehen, doch plötzlich war mir klar, dass mein Schneider und seine Frau sich
in einer klassischen Adam-und-Eva-Situation befanden, denn Adam und Eva können auch zum ersten Mal wählen, ob sie im Status quo verharren oder das Verbotene probieren. Merkwürdigerweise trug der Schneider in meinen Skizzen bereits den Namen Adam.
Doch wollte ich nach Neue Leben nicht gleich wieder in die Welt von 1989 zurück und setzte mich an die Geschichten, die im Frühjahr 2007 in dem Band Handy erschienen.
Die Idee von Adam und Evelyn, der Titel stand vor Beginn der Arbeit fest, nahm ich mit nach Rom, in mein elfmonatiges Villa-Massimo-Stipendium. Sollte es sich ergeben, wollte ich mich an dieser Novelle versuchen und mir den lang gehegten Wunsch erfüllen, endlich ein ganz dünnes Buch zu schreiben.
In Rom riss mir beim Fußballspiel die rechte Achillessehne, ich wurde operiert und saß nun, es war Ende Juni, die große Hitze hatte gerade begonnen, mit Gips und Krücken im Paradies fest. Um nicht gänzlich melancholisch zu werden, versuchte ich zu arbeiten. Monate zuvor hatte ich Hans Blumenbergs Buch Begriffe in Geschichten in die Hand bekommen. In seiner Einleitung erinnert er sich an seinen Vater und dessen Dunkelkammer: Einer, der an die Schöpfung nicht glaubt, versteht ihren Begriff doch immer noch, wie er ihn in der Dunkelkammer anschaulich vor sich produzierte. Die Schöpfung als Arbeit in der Dunkelkammer sollte der Anfang sein.
Statt wie bei Neue Leben drei Jahre zu suchen, fand ich den Tonfall diesmal in drei Tagen. Es sollte kein Ich-erzähler sein, das hatte ich in Handy ausgiebig praktiziert. Die Novelle sollte in Adam beginnen und in Evelyn enden, ein Vorhaben, das ich während des Schreibens aus den Augen verlor, doch am Ende kehrte ich zu dieser Idee zurück. Ich versuchte, jeden Tag tausend Worte zu schreiben, jeden Tag ein kurzes Kapitel. Es war eine Trotzreaktion. Meine Enttäuschung, den Sommer angepflockt an den Gips verbringen zu müssen, reagierte ich auf diese Art und Weise ab. Jeden Morgen glaubte ich, dass ich es nicht schaffen würde. Doch spätestens abends hatte sich dann doch eine Idee eingestellt, ich wusste ja, wohin die Reise gehen sollte.
Um den 10. August herum, ich konnte mich nun schon humpelnd fortbewegen, hatte ich es bis zum 40. Kapitel gebracht. Adam und Evelyn waren im Begriff, die ungarisch-österreichische Grenze zu überschreiten. Wegen Auftragsarbeiten musste ich die Arbeit abbrechen. Das fiel mir schwer, ich sehnte mich nach meinen Figuren, ich wollte selbst wissen, wie es weiterging.
Anfang September flog ich für vier Tage nach Ungarn, mietete mir einen Wagen, besuchte die Kirche von Budapest-Zugliget dort war das berühmte Zeltlager der Malteser gewesen und fuhr an den Balaton, den ich zuvor erst einmal gesehen hatte 1998 bei einem ungarisch-deutschen Schriftstellertreffen. Es war merkwürdig, ein Quartier für meine Figuren zu suchen.
Ich kam erst in den letzten Tagen des Jahres wieder dazu, mich an die wie ich noch immer glaubte Novelle zu setzen. Bis Mitte Januar, nun wieder in Berlin, hatte ich die erste Rohfassung geschrieben, auch wenn mir ein richtiger Schluss noch fehlte.
Ich war selbst überrascht von dem großen Raum, den die Dialoge einnehmen. Im Nachhinein, so glaube ich, konnte es aber gar nicht anders sein. Der Herbst 1989 war die Zeit des Redens, der grundsätzlichen Rede.
Das Überarbeiten des Manuskriptes, von vielen Reisen und kleineren Arbeiten unterbrochen, brauchte wesentlich mehr Zeit als das Schreiben der Rohfassung. Die Arbeit war genussvoll und beinah entspannt zumindest nachdem ich Ende März endlich den Schluss gefunden hatte (vor lauter Erleichterung verfiel ich für Tage in regelrechte Lethargie).
Vom Schluss her begann ich Motive, die ich nach wenigen Kapiteln verloren hatte, wieder aufzugreifen oder manche, die sich erst spät ergeben hatten, auch in die ersten Kapitel einzuarbeiten. Der biblische Mythos war eine enorme Hilfe. Er war nicht nur der Kompass, der jedem Kapitel unterlegt werden konnte und scheinbar nebensächlichen Details Aufmerksamkeit sicherte. Bei der Bibellektüre begriff ich auch, dass es ja nicht nur um die Erkenntnis von Gut und Böse geht, sondern dass da ein zweiter bedeutungsvoller Baum im Paradies steht, sogar in der Mitte des Gartens, der Baum des ewigen Lebens. Damit wir nicht auch noch von diesem essen und dann tatsächlich werden wie Gott (nachdem wir schon gut und bös unterscheiden können), müssen Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden, Cherubim bewachen den Garten Eden mit dem Flammenschwert. Das Streben nach Unsterblichkeit oder wenigstens nach einem sehr langen, einem verlängerten Leben wurde plötzlich wichtig. Das Ziel aller Wissenschaft und Technologie ließe sich auch als Zugewinn an Lebenszeit oder zumindest als deren Verbesserung beschreiben, und Wissenschaft und Technologie in ihrer avancierten Form stehen für den Westen.
Worum geht es? Um den Wechsel der Abhängigkeiten und Freiheiten die Freiheiten des Ostens konnte man erst erkennen, als der Osten schon verschwunden war, als man den Westen kennenlernte; zum Beispiel die relative Bedeutungslosigkeit von Geld, aber auch die Abwesenheit von Konkurrenz und Existenzkampf immer verglichen mit heute.
Was wollte ich eigentlich mit diesem Buch? Ich wollte eine Art Gegenstück zu Neue Leben, den Weltenwechsel diesmal als Parabel erzählt.
Ich glaube, dass dies auch formal ein End- und Wendepunkt ist. Wie in einzelnen Geschichten in Handy ist hier das ganze Buch geradlinig und mit geradezu reduziertem Vokabular, reduzierter Syntax erzählt, ein Stück in C-Dur ohne Begleitung. Ich warf mir sozusagen den Schafspelz der sogenannten Unterhaltungsliteratur über. Denn je weniger ich inhaltlich und formal abschweifte, umso deutlicher so meine Hoffnung würden die Linien hervortreten, die von den Lebenswegen der Figuren gezeichnet werden. Wie sie ihre Souveränität verlieren, gewinnen oder wiedergewinnen, würde etwas über den Weltenwechsel sagen, der eben auch sonst wäre es nicht so brisant der Umbruch des Westens ist, die große Zäsur nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Nicht zuletzt sollte es auch die Fallhöhe deutlich machen, die zwischen 1989 und heute liegt. Wenn Evelyn im letzten Kapitel sagt, dass ihr Kind in die schönste Welt, die es je gegeben hat kommt, und Adam daraufhin skeptisch dreinblickt, fragt sie: Na, dann sag, wann es besser gewesen ist!? In welche Zeit willst du zurück? Er bleibt ihr die Antwort schuldig. Ihre berechtigte Hoffnung ist unsere Scham, dass es anders gekommen ist. Dazu gehört auch, dass Adam und Evelyn Flüchtlinge sind. Das Maß an Hilfe und Aufmerksamkeit, das ihnen zuteilwurde, ist heute schon unvorstellbar geworden.

Der Autor Ingo Schulze ist gebürtiger Dresdner. Sein Beitrag basiert auf einem Text für das Goethe-Institut Ungarn.