Buchpremiere 24.11.2012 › Schauspielhaus

Staatsschauspiel Dresden – 100 Jahre Schauspielhaus

Das Jubiläumsbuch
Herausgegeben von Wilfried Schulz, Harald Müller und Felicitas Zürcher in Zusammenarbeit mit dem Staatsschauspiel Dresden im Verlag Theater der Zeit
Staatsschauspiel Dresden – 100 Jahre Schauspielhaus
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Staatsschauspiel Dresden – 100 Jahre Schauspielhaus
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Foto: Matthias Horn
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Foto: Bettina Katja Lange und Ansgar Prüwer
Staatsschauspiel Dresden – 100 Jahre Schauspielhaus
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Foto: Matthias Horn

Handlung

Vom Königlichen Schauspielhaus bis zum heutigen Staatsschauspiel Dresden – anlässlich der 100. Spielzeit veröffentlichen wir in Zusammenarbeit mit dem Verlag Theater der Zeit das Jubiläumsbuch „Staatsschauspiel Dresden – 100 Jahre Schauspielhaus“.
Der Autor und Kritiker Peter Michalzik liefert einen ausführlichen Überblick über die Geschichte des Staatsschauspiels Dresden, ein Artikel von Architekturkritiker Dieter Bartetzko mit einer separaten Bildstrecke widmet sich der Baugeschichte des Theaters, ein Fotoessay von Matthias Horn erlaubt überraschende Blicke auf das Theater, und eine Chronik listet sämtliche Schauspielpremieren seit Bestehen des Hauses auf.
Außerdem versammelt der Band über 30 Texte von Persönlichkeiten, die mit dem Staatsschauspiel Dresden verbunden sind: Friedrich Dieckmann, Rudolf Donath, Wolfgang Engel, Holk Freytag, Ursula Geyer-Hopfe, Gabriele Gorgas, Dieter Görne, Ralph Hammerthaler, Martin Heckmanns, Hannes Heer, Christoph Hein, Frank Hörnigk, Klaus Dieter Kirst, Hannelore Koch, Karla Kochta, Tilmann Köhler, Peter Kulka, Volker Lösch, Philipp Lux, Hans-Peter Lühr, Tobi Müller, Armin Petras, Karl-Siegbert Rehberg, Ilsedore Reinsberg, Uwe Tellkamp, B. K. Tragelehn, Klaus Völker, Hasko Weber u. a. m.

400 Seiten
durchgehend farbig illustriert
Format 230 x 270 mm
ISBN 978-3-943881-01-1
erschienen am 24. November 2012 im Verlag Theater der Zeit
Mit freundlicher Unterstützung des Förderverein Staatsschauspiel Dresden
Preis: 30,00 €

Ein Auszug aus der Chronik

Ein Blick auf 100 Jahre Theatergeschichte

Vom Königlichen Schauspielhaus bis zum heutigen Staatsschauspiel Dresden – anlässlich der 100. Spielzeit veröffentlichen wir in Zusammenarbeit mit dem Verlag Theater der Zeit das Jubiläumsbuch „100 Jahre Staatsschauspiel Dresden“. Der aufwändig gestaltete Band lädt zu einem lebendigen Streifzug durch ein Jahrhundert Theatergeschichte ein: mit spannenden Texten von prominenten Wegbegleitern, Zeitzeugnissen und einem Fotoessay. Der Autor und Journalist Peter Michalzik hat sich aus diesem Anlass ins umfangreiche Archiv des Theaters begeben und beschreibt in seinem Beitrag die Geschichte unseres Theaters von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Einen Auszug aus seiner Chronik finden Sie hier exklusiv.
Die Eröffnung des Neuen Königlichen Schauspielhauses fand am 13. September 1913 statt. König Friedrich August III. (Regent von 1904 bis 1918) war kein Theaterliebhaber, aber bei der Eröffnung stand er trotzdem im Mittelpunkt des Geschehens. Selbstverständlich war Seine Majestät bei der Eröffnung seines Theaters anwesend. Unter vielfachem Beifall und Jubelrufen schritt er zu seiner vergleichsweise bescheidenen Loge. Es war eine von Anfang bis Ende genau durchchoreografierte Veranstaltung. Als der König in seiner Loge ankam, begann die Jubelouvertüre Carl Maria von Webers, bei der Eröffnung von Dresdner Theaterbauten bestens erprobtes Standardrepertoire. Der erste und der zweite Semperbau waren 1841 und 1878 mit dem Weber'schen Prunkstück eröffnet worden.
Vor der Königshymne unterbrach die Musik, und der Dresd­ner Bürgermeister brachte ein Hoch auf Seine Majestät aus, dem das Theater von den Bürgern übergeben worden war. Es folgte ein szenischer Prolog mit drei Personen, in dem Herbert Eulenburg das Haus dem Wort weihte und untertan machte. Der Prolog ging in ein musikalisches Intermezzo über, das wiederum bruchlos zu Kleists „Robert Guiskard“ überleitete.
Kaum ein Stück ist eine solch explizite Zurschaustellung von königlicher Macht wie dieses Fragment von Kleist. In Dresden zeigte man es zur Eröffnung düster und schwer, ganz dem tragischen Ton hingegeben. Die Inszenierung war dementsprechend streng, das Bühnenbild opulent bis hin zum überwältigenden Schlussbild. Man sah das in der Ferne am Strand schimmernde Byzanz. Das Stück war gewählt worden, weil es die Möglichkeit bot, ein solches Bild zu zeigen. Man sollte sehen, was die neue Bühne konnte. Auf dieser Bühne sah man neben den vielen Normännern vor allem gestaffelte Felsen, Gemäuer, Wald, Lanzen, Schilde und die machtvoll wirkenden historischen Kostüme.
Dann folgte eine Pause. Allgemein war man äußerst zufrieden, wie gut man sah und hörte. Jetzt sah man sich das Theater genauer an. Viele betrachteten die Bilder mit den Dresdner Theatergrößen, wie sie zum Großteil heute noch im Parkettfoyer hängen. Vor allem waren die Besucher von dem vornehmen Grau-Weiß-Gold und der festlich-hellen Beleuchtung beeindruckt. Das Theater machte einen höchst modernen Eindruck. Anwesend waren zahlreiche Intendanten aus ganz Deutschland und Österreich, auch viele Dichter, darunter Gerhart Hauptmann, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Max Halbe und Carl Sternheim.
Der König hatte das „bürgerliche Hoftheater“ in der Pause verlassen, die Kronprinzen aber blieben und grüßten vielfach nach allen Seiten. Nach der Pause folgte die „Torgauer Heide“. Man sah Nebel und Lagerfeuer in diffuser Ferne. Der Einakter von Otto Ludwig bot wie der „Guiskard“ die Möglichkeit, dass sich die Dresdner Schauspieler vollständig auf der Bühne zeigen konnten. Hermine Körner etwa spielte in der „Heide“ eine Marketenderin. Paul Paulsen, der spätere Vertreter Erich Pontos als Intendant, war im „Guiskard“ als Normann dabei.
Außerdem hatte man die beiden Stücke gewählt, weil sie kurz waren und weil sowohl Heinrich von Kleist als auch Otto Ludwig eine nachhaltige Beziehung zu Dresden gehabt hatten: Kleist hatte hier eine seiner wenigen glücklichen Lebensphasen erlebt, Ludwig hatte hier zwei Jahrzehnte verbracht.
„Die Torgauer Heide“ wurde auch als passend empfunden, weil es ein Akt voll „schwellender Vaterlandsliebe und Soldatentreue“ ist. Trotzdem war die Eröffnung mit dem Soldaten- und Kriegsstück „Robert Guiskard“ und der preußisch-patrio-tischen „Torgauer Heide“ kein patriotisch-nationalistischer Abend. Dass beide nationale und militärische Stoffe und Stücke waren, wurde nicht unterstrichen, es wurde nicht einmal eigens erwähnt.
Die Eröffnungsveranstaltung, die um 21 Uhr begonnen hatte, endete kurz vor Mitternacht. Danach ging es zu einem glanzvollen Bankett im Europäischen Hof, das um Mitternacht mit zahlreichen Reden begann, auch wenn sich alles längst auf das Essen und vor allem das gesellige Beisammensein freute.
Es war nicht der günstigste Zeitpunkt, den sich Dresden für den Start des neuen Theaters ausgesucht hatte. Das Haus war in einer Zeit und für eine Zeit konzipiert, die genau jetzt zu Ende ging. Ein einziges Jahr hatten die Dresdner noch Gelegenheit, um den neuen Bau in Ruhe so zu genießen, wie er gedacht war. Diese erste Saison aber lief großartig. Man zeigte Tolstoi, Shaw, Hebbel, Wedekind, Gorki, Strindberg, Halbe, Holz, Schnitzler: all das, was man sich in den Jahren zuvor erobert und erarbeitet hatte.
Die Zeit unter dem weltgewandten Intendanten Grafen Nikolaus von Seebach gilt als glanzvolle und künstlerisch fruchtbare Epoche des Dresdner Schauspiels. Als Seebach hier 1894 begann, herrschte der Geist der Gründerzeit, Dresden hatte ein durch und durch konservatives Theater. „Ein Hauch von Theater und Musik umschwebte unsere Stadt. Stille Vornehmheit und Heiterkeit erfüllte Dresden“, erinnerte sich der 1865 geborene Theaterhistoriker Friedrich Kummer an die Tage seiner Jugend. So soll es damals gewesen sein, und so sieht sich die Stadt seitdem am liebsten. Das bedeutete aber auch die Ablehnung des Neuen. „In diesem wohltemperierten Talkessel brodelt kein revolutionärer Geist“, schrieb Erwin Le Mang damals. Seebach durchbrach diese Haltung Schritt für Schritt.
Er verbot das Werfen von Lorbeerkränzen und Blumensträußen auf die Bühne, er schaffte die Musik zwischen den Akten ab, er verkürzte die Pausen. Zum Umbau wurde der Vorhang heruntergelassen, nicht der Saal verlassen. 1200 Lampen wurden für die Bühnenbeleuchtung installiert. Es gab das klassische Repertoire von Schiller bis Otto Ludwig, das sah man in Dresden als eine Linie. Dann kamen die neueren Autoren dazu, Hebbel, Grillparzer, Sudermann, Hauptmann, Ibsen, Shaw, Wilde. Dafür war auch der Dramaturg Karl Zeiß verantwortlich, den Seebach bereits 1901 verpflichtet hatte. Ein von den Meiningern geprägter, sehr ehrgeiziger Demokrat, der später in Frankfurt und München noch zu höheren Ehren kam.
Schon im Beginn steckte mit dem „Robert Guiskard“ und der „Torgauer Heide“ eine Ahnung dessen, was nun kommen würde. 1914, nach der Sommerpause, in der das Theater vom Krieg überrascht worden war, sagte Zeiß: „Jetzt werden wir bei der Gestaltung des Spielplans unser Augenmerk richten müssen auf Werke, in denen es um die großen Fragen der Nation geht, in denen der heiße Atem und der gewaltige Rhythmus unserer Tage bebt. Werke von heißblütiger, nationaler Art werden uns willkommen sein.“
Es war die Zeit der Kriegsbegeisterung. Auch das Dresdner Theater ließ sich von militaristischer Hochstimmung ergreifen. Die zweite Saison des Schauspiels wurde am 5. September 1914 mit einem vaterländischen Abend aus der Zeit der Befreiungskriege eröffnet. Am 12. September folgte von Ernst von Wildenbruch das nachgelassene Drama „Der deutsche König“, ein Schauspiel vom Heldenaufstieg Heinrichs des Städtegründers, „kein Kunstwerk, doch für jene Tage sehr geeignet“. Es kam dazu, was das klassische Repertoire an Kriegsdramatik hergibt: „Götz von Berlichingen“, „Wilhelm Tell“, „Prinz Friedrich von Homburg“, „Die Hermannsschlacht“, „Wallensteins Lager“.
Es gab drei Abende vaterländischer Kunst, zwei davon in der Regie von Zeiß, einen über die Völkerschlacht von 1813, einen über den Krieg 1870 / 71 und einen über den Krieg 1914. Dafür fielen weg: die Stücke von Engländern, Franzosen und Russen. Am Anfang des Krieges war das Theater trotzdem schlecht besucht, es war wieder mal eine Zeit, in der es Aufregenderes zu tun gab als ins Theater zu gehen. Die Einnahmen brachen ein, und auch die hohen Subventionen des Theaters wurden zurückgefahren. Am Ende des Krieges aber war – bei einer Spielplanmischung aus Klassikern, Komödie und Kriegsmüdigkeit – der Besucherandrang enorm.
Mitten im Krieg wurde Karl Wollf Nachfolger von Zeiß, was damals viel böses Blut machte, da er der Bruder des Chefredakteurs der Dresdner Neuesten Nachrichten war, aber auch deswegen, weil er politisch links und weil er Jude war. Mit Wollf kam tatsächlich ein neuer Ton. „Die Troerinnen“ etwa gaben 1916 der Kriegsmüdigkeit Ausdruck, rechte Kreise begriffen das als Wehrkraftzersetzung. Auch Wollfs ästhetische Vorlieben waren ein ganzes Stück avantgardistischer als die von Zeiß. Er engagierte sich nicht nur für das expressionistische Drama, sondern auch für das sozialkritische oder politische Stück. Gleichzeitig gab es aber weiterhin nationale Dramatik („Struensee“, „Luther auf der Wartburg“) im Schauspielhaus.
1918, kurz vor Ende des Krieges, kam es dann mit „Seeschlacht“, einer Tragödie von Reinhard Goering, zum ersten großen Dresdner Theaterskandal. Goering galt als Expressionist, das Stück vergegenwärtigt mit Nachdruck die Schrecken des Krieges. Es spielt im Panzerturm eines Kriegsschiffes, das zu einer Seeschlacht unterwegs ist, und beginnt mit einem Schrei. Sieben Matrosen sind die Akteure, sie sagen Sätze wie „Wir werden für den Tod gemästet“. Das Stück war nicht als Schlachtbild konzipiert, aber es wurde trotzdem realistisch und vor allem illusionistisch auf die Bühne gebracht. Mit Geschütz, Schuss, Pulverdampf und Granateinschlag wurde der Krieg vergegenwärtigt. Ein fachkundiger Offizier war zu den Proben hinzugezogen worden. Die Reaktionen im Publikum waren heftig: Schreie, Ohnmacht, Protest, Flucht.
Die sieben Matrosen meutern, drehen durch und sterben. „Was Wahnsinnige wollen, müssen wir es tun?“, fragt einer von ihnen. Es war ohnehin nur eine geschlossene Aufführung als Sonntagmorgen-Matinee erlaubt worden, und sie blieb auf Anordnung des Königs auch die einzige Aufführung.
Ein paar Monate später, im November 1918, endeten der Krieg und die Theaterzensur, und der König musste abdanken. Es war ein echter Neubeginn, der am Anfang von großen Hoffnungen begleitet wurde. Überall im Land wurden Schauspielerräte gegründet und die Hoftheaterintendanten abgelöst. Seebach blieb bis 1919. Aber auch in Dresden gab es ein genossenschaftliches Modell der Leitung durch die Künstler. Paul Wiecke, Schauspieler und Regisseur seit 1895, der dabei eine wesentliche Rolle spielte, sagte 1918: „Was das für uns Bühnenkünstler heißt, in Zukunft unter freier Selbstverantwortlichkeit in einem den übrigen Kulturanstalten staatlich gleichgestellten Verhältnis zu arbeiten, können nur die ermessen, die einem zugestandenermaßen durchaus autokratischen System jahrelang unterworfen waren.“
Ein Regiekollegium wurde gebildet, aus dem Königlichen Schauspielhaus wurde das Sächsische Landestheater und bald darauf, 1920, das Sächsische Staatstheater. Das blieb es bis 1983, als es zum Staatsschauspiel Dresden wurde.

Peter Michalzik ist Journalist, Theaterkritiker und Autor und arbeitet als Feuilletonredakteur bei der Frankfurter Rundschau. Zuletzt erschien seine Kleist-Biografie „Kleist – Dichter, Krieger, Seelensucher“.