Am letzten Tag des europäischen Festivals für junge Regie FAST FORWARD fand am 17. November 2024, 22.30 Uhr, die Preisverleihung im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden statt. Die Festivaljury kürte die belgischen Brüder Guillaume und Clément Papachristou mit ihrem gemeinsamen Theaterabend UNE TENTATIVE PRESQUE COMME UNE AUTRE (EIN VERSUCH, FAST WIE JEDER ANDERE AUCH) zu den Fast Forward Preisträgern 2024. Der Preis besteht in einer Regiearbeit am Staatsschauspiel Dresden.
„Wir als Jury haben während der vier Festivaltage eine enorme Vielfalt an Ansätzen, Stilen und Formaten des zeitgenössischen Theaters gesehen. Wir sind sehr dankbar, dieser Vielfalt ausgesetzt gewesen zu sein, was unsere Aufgabe definitiv nicht leichter gemacht hat. Wir haben einen Paradigmenwechsel erlebt, was eine neue Generation von Theatermacher*innen betrifft. Das aktuelle Festival hat die Vorstellung davon erweitert, was zeitgenössische Theaterregie ist oder sein könnte. Die jungen Regisseur*innen traten als Autoren, Forscher und Darsteller ihrer eigenen Produktionen auf. Wir haben in jeder Inszenierung, die sich mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzten, inspirierende künstlerische Innovationen gefunden.“ – so die Festivaljury.
Die Begründung der Jury, der in diesem Jahr die Theaterkritikerin Lina Wölfel, der Kurator und Dramaturg Gábor Thury, die Regisseurin und Regieprofessorin Anja Suša und Jörg Bochow, Chefdramaturg und stellvertretender Intendant am Staatsschauspiel Dresden, angehörten: „Am Ende mussten wir uns zwischen zwei Inszenierungen entscheiden, nämlich UNE TENTATIVE PRESQUE COMME UNE AUTRE (EIN VERSUCH, FAST WIE JEDER ANDERE AUCH) und CONCERTO FETIDO SU QUATTRO ZAMPE (STINKER-KONZERT AUF VIER PFOTEN). Nach wirklich langen Diskussionen kamen wir zu folgendem Ergebnis: Die Aufführung UNE TENTATIVE PRESQUE COMME UNE AUTRE zeigte das ganze Potenzial des Theaters als Raum sozialer und intimer Begegnungen, als Raum äußerster Verletzlichkeit, und vor allem: Wir, die Zuschauer*innen, wurden eingeladen, an ihrer Performance auf äußerst subtile und einnehmende Weise teilzuhaben. Die beiden Darsteller teilten ihre sehr zärtliche und ehrliche Beziehung und warfen den Blick auf uns zurück: Was macht uns einzigartig, was trennt uns und wie zerbrechlich sind wir? Die Inszenierung war gleichzeitig kathartisch und humorvoll, provokativ und berührend, wir wurden als „Bernards“ und „Bernadettes“ behandelt – ohne Gnade. Die Zwillinge forderten die Realität heraus, indem sie eine Gegenerzählung zu ihr schufen und so einen utopischen Raum für neue gesellschaftliche Perspektiven eröffneten. Der Preis der Jury für junge Regie 2024 geht an Clément und Guillaume Papachristou.“
Guillaume und Clément Papachristou, sind Zwillingsbrüder. Guillaume lebt seit Geburt mit den Folgen einer Zerebralparese, einer Verletzung des Gehirns. Beider Theaterabend UNE TENTATIVE PRESQUE COMME UNE AUTRE ist eine Einladung der besonderen Art: eine Show und eine Tanzperformance. Ein manchmal verwirrendes Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, wie es nur Zwillinge treiben können. Ein Bericht aus dem Leben und ein Blick ins Innere.
Zum dritten Mal wurde auch ein FAST FORWARD Jugend-Jury-Preis verliehen, denn der Blick der jungen Generation auf die Regiearbeiten ist ein ganz eigner. Für den FAST FORWARD Jugend-Jury-Preis wurden ebenfalls Guillaume und Clément Papachristou ausgewählt. Zur Begründung: „Das Stück behandelt ein Thema, bei welchem wir uns wünschen würden, dass es auf der Bühne mehr gezeigt wird. Die Selbstverständlichkeit der Darstellung voller Vertrauen und Achtsamkeit hat uns zum Denken angeregt und nachhaltig sehr berührt. Der Mut, eine solche intime Verbundenheit auf diese Art mit den Zuschauenden zu teilen, ist inspirierend. Das Stück hat eine Gemeinschaft geschaffen, dabei Menschen verbunden und die Distanzen im Raum aufgehoben. Das aktive Einbinden des Publikums war dabei besonders mitreißend. Uns wurde ein einmaliger, magischer Moment geschenkt.“
Und schließlich wurde eine Produktion mit dem FAST FORWARD Publikumspreis ausgezeichnet, bei dem die Besucherinnen und Besucher eingeladen waren, ihren Festival-Favoriten zu küren. Hier wurde darüber abgestimmt, welche der künstlerischen Arbeiten am meisten berührt, überrascht, provoziert, begeistert oder zum Nachdenken angeregt hat. Gewinnerin des Publikumspreises ist die iranisch-französische Schauspielerin und Regisseurin Mina Kavani mit ihrer Inszenierung I’M DERANGED.
Mit der Preisverleihung am 17. November 2024 endete Fast Forward. Das Festival zeigte in vier Tagen acht Inszenierungen aus Belgien, Frankreich, Estland, Portugal, Serbien und Italien in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, im Labortheater und im OHA Café der Hochschule für Bildende Künste Dresden, im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden sowie in der robotron-Kantine des Kunsthauses Dresden.
Ein auffällig junges und interessiertes Publikum besuchte die Aufführungen sowie Künstler*innen-Gespräche, die Festival-Bar und sorgte für gut gefüllte und vor allem anregende Festivalveranstaltungen.
In Zusammenarbeit mit der European Theatre Convention ETC fand zum zweiten Mal das Fast Forward Festival-Forum mit europäischen Studierenden und Theater-Fachleuten statt. Das Programm 2024 wurde erneut von Charlotte Orti von Havranek kuratiert.
Das FAST FORWARD Festival fand statt in Kooperation mit HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste und der Hochschule für Bildende Künste Dresden sowie dem Kunsthaus Dresden. Mit Unterstützung des Fördervereins Staatsschauspiel Dresden e. V. und der European Theatre Convention ETC.